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die der Mann bei sich trug, war ein Dolch, der im Gürtel steckte. Der Bursche mußte sich ziemlich sicher fühlen, weil er den Gefangenen in Fesseln wähnte.

      Sobocan hatte sich flach gegen die Mauer neben dem Eingang gedrückt. Die Hand, in der der schwere Steinbrocken lag, war bereit zum Zuschlagen.

      Als der Derwisch den Gefangenen nirgends sah, reagierte er verblüfft.

      „Wo bist du, du räudiger Hund?“ stieß er hervor, aber weiter gelangte er nicht.

      Sobocans Hand mit dem Stein sauste nach unten – und traf.

      Mit einem erstickten Laut sank der Derwisch in die Knie, aber er schien, wie Sobocan zu seinem Erstaunen feststellte, hart im Nehmen zu sein. Der Tonbehälter der Lampe war seinen Händen entglitten und am Boden zerbrochen. Für einen Augenblick bildete der brennende Talg eine Lache auf dem Steinboden und tauchte den Raum in flackerndes Licht.

      Nachdem der Derwisch seinen Sturz abgefangen hatte, zuckte seine rechte Hand zum Gürtel, um den Dolch hervorzuholen. Schon blitzte die scharfe Waffe in seiner Hand auf, und er warf sich mit einer Verwünschung auf den Lippen herum, um Sobocan zu töten.

      Doch diesem gelang es, den gefährlichen Hieb abzublocken. Mit eisernem Griff umklammerte er das Handgelenk des Angreifers und schmetterte die Hand mit dem Dolch gegen die Felswand. Der Derwisch stieß einen Schmerzenslaut aus, als sich seine Hand öffnete und die Waffe auf den Steinboden klirrte.

      Aber er hatte sich schnell wieder gefaßt. Sein Gesicht wirkte haßverzerrt, als er das rechte Bein anwinkelte, um Sobocan mit einem Tritt aus seiner Reichweite zu befördern. Doch der junge Bursche reagierte blitzschnell. Ein zweites Mal traf der Steinbrocken den Schädel des Derwischs, und diesmal erschlaffte die hochgewachsene Gestalt. Der schwere Körper rutschte an der feuchten Mauer hinunter und schlug hart auf den Stein.

      Er würde sich vorerst nicht mehr rühren.

      Sobocan griff rasch nach dem Dolch des Derwischs und schob ihn in den Gürtel seiner, Segeltuchhose. Auch den Steinbrocken, der sich als brauchbare Waffe erwiesen hatte, vergaß er nicht, als er durch die Türöffnung huschte. Er schloß die Tür und schob den großen Eisenriegel vor.

      Sein Atem ging keuchend, und dennoch durchströmte ihn ein Gefühl des Triumphs. Es war ihm gelungen, sich aus eigener Kraft aus dem dunklen Gewölbe zu befreien. Doch dieses wohltuende Gefühl verflüchtigte sich rasch wieder, als Sobocan erkannte, daß wohl noch ein weiter Weg vor ihm lag. Noch war er nicht lebend aus dieser Felsenmoschee heraus, und er würde äußerste Vorsicht an den Tag legen müssen, wenn er Salih und dessen Meute entrinnen wollte.

      Wie ein dunkler Schatten tastete sich Sobocan den schmalen Gang entlang. Alles war still, niemand schien etwas von dem nächtlichen Zweikampf bemerkt zu haben. Nachdem er ungehindert zwei Treppen hinaufgestiegen war, befand er sich plötzlich in der Nähe eines Torbogens, der den Blick auf den Innenhof der Moschee freigab.

      An einer Mauer steckten noch zwei Fackeln in ihren Metallringen. Sie brannten nur noch schwach, ihr trüber Schein tauchte den Hof in spärliches Licht. Die Glut des Feuers, das während des nächtlichen Zeremoniells gebrannt hatte, war bereits erloschen. Trotz der frischen Nachtluft, die Sobocan tief in seine Lungen sog, hing immer noch der Geruch von Weihrauch und Gewürzen über diesem gespenstischen Ort.

      Einige vorsichtige Blicke überzeugten Sobocan davon, daß sich niemand im Hof aufhielt. Er beschloß deshalb, seine Ortskenntnisse auszunutzen. Schließ-lich war er vor einigen Monaten schon einmal in dieser alten Festung gewesen, als Barabin Kisten und Fässer hatte an Land schaffen lassen.

      Er erinnerte sich an die verhältnismäßig niedrige Mauer, die sich vom Innenhof aus zu einem kleinen Seitenflügel der Ruine hinüberzog. Sie war die einzige Mauer, die man ohne Hilfsmittel überklettern konnte. Dort wollte Sobocan sein Glück versuchen.

      Als er den Innenhof verlassen hatte, orientierte er sich mit Hilfe des fahlen Mondlichtes, das die ganze Umgebung in ein gelbliches Gewand hüllte. Ein plötzliches Rascheln ließ ihn heftig zusammenzucken, aber sein Körper entspannte sich wieder, als er den dunklen Schatten einer Ratte sah, die in einer Mauernische verschwand.

      Sobocan versuchte es zunächst mit einem Klimmzug, nachdem er den Steinbrocken, der sich für seine weiteren Pläne als hinderlich erwies, aus der Hand gelegt hatte. Er rutschte zurück und versuchte es noch einmal. Diesmal schaffte er es, doch im selben Moment glaubte er, sein Herz würde stillstehen.

      Ein lauter Schrei gellte durch die Nacht.

      Drüben, auf jener Seite des Hofes, auf der sich die Türen befanden, die zum Hauptgebäude der Felsenmoschee führten, stand eine Gestalt und deutete zu Sobocan.

      Der junge Bursche begriff augenblicklich, was das zu bedeuten hatte. Ohne weitere Zeit zu verlieren, sprang er auf der anderen Seite der Mauer hinunter und begann um sein Leben zu laufen.

      Sein Weg führte einen steilen Abhang hinunter. Seine nackten Füße tasteten sich geschickt über Steine und Geröll hinweg. Als er eine schmale Schlucht passierte, durch die man die Küste erreichen konnte, hörte er, wie das Geschrei der Derwische, die die Verfolgung aufgenommen hatten, immer lauter wurde.

      Sobocan war davon überzeugt, den richtigen Fluchtweg gewählt zu haben, denn die Pfade, die hinauf in die zerklüfteten Berge führten, wären zu zeitraubend gewesen. Zu leicht hätten ihm dort die Verfolger den Weg abschneiden können. So gab es im Moment nur ein Ziel für ihn – das Meer. Er mußte unbedingt so schnell wie möglich die nahe Küste erreichen.

      Mit Sicherheit würden die Derwische die Umgebung der Festung absuchen. Außerdem konnte jeden Moment der neue Tag hereinbrechen. Der nächtliche Himmel verwandelte sich bereits in einen zarten Schleier, und schon bald würde die Sonne wie ein glutroter Ball am Horizont auftauchen. Dann würde es hier keine Sicherheit mehr für ihn geben.

      Es mußte ihm gelingen, unten am Strand die Boote zu erreichen, die von den Derwischen zum Fischen benutzt wurden. Noch hatte er zwar kein klares Ziel vor Augen, aber er wußte, daß er nur dann eine Chance hatte, wenn es ihm gelang, die Küste zu verlassen. Zunächst mußte er ganz einfach weg von hier – weg von der mordlüsternen Meute, die hinter ihm her war.

      Sobocan atmete schwer. Seine Brust hob und senkte sich in einem immer rascher werdenden Rhythmus. Das Geschrei der Derwische rückte ständig näher. Laute Befehle schienen sich mit Wutgeheul zu vermischen. Man mußte erkannt haben, welche Richtung er eingeschlagen hatte.

      Jetzt hing alles davon ab, schneller zu sein. Ein Kampf schied aus. Gegen die Übermacht dieser Kerle, die höchstwahrscheinlich bis an die Zähne bewaffnet waren, hätte er keine Chance, auch nicht die geringste. So mobilisierte der junge Türke die letzten Kraftreserven seines drahtigen Körpers.

      Nach kurzer Zeit erreichte er den Strand und warf sich der Länge nach in den weichen Sand. Doch die Verschnaufpause war nur von sehr kurzer Dauer. Er raffte sich wieder auf und schob in fieberhafter Eile eins der kleinen Boote ins Wasser, nachdem er sämtliche Riemen – auch jene für die anderen Boote – über die Duchten geworfen hatte. Zwei davon würde er selbst brauchen, die übrigen würde er später, wenn er ein Stück weiter draußen war, ins Wasser werfen. Hauptsache, sie standen nicht seinen Verfolgern zur Verfügung.

      Ein grimmes Lächeln glitt über das sonnengebräunte Gesicht Sobocans, als er sich die Derwische vorstellte, wie sie in die Boote sprangen, aber außer ihren Händen nichts hatten, um die Wasserfahrzeuge vorwärtszubewegen.

      Unter Einsatz seiner letzten Kräfte pullte er aufs Meer hinaus. Er rundete gerade einen Felsvorsprung, der weit ins Wasser hinausragte, als die ersten Derwische drüben am Strand auftauchten.

      Einige Musketen- und Pistolenschüsse krachten hinter ihm her, aber er befand sich bereits außerhalb der Reichweite dieser Schußwaffen. Wie er feststellte, wurden auch die restlichen Boote nicht ins Wasser gebracht, also mußte man das Verschwinden der Riemen bereits bemerkt haben.

      Sobocan atmete erleichtert auf. Das war knapp gewesen, aber er hatte es geschafft, Ibrahim Salih und seinen Männern zu entwischen – kurz vor Tagesanbruch. Die hundert Peitschenhiebe und die angekündigte Hinrichtung würden

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