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gelangte Sobocan nicht. Ein gewaltiger Fausthieb streckte ihn nieder. Das Feuer vor seinen Augen begann zu tanzen, dann griff eine kalte Dunkelheit wie mit tödlichen Klauen nach ihm.

      2.

      Über der Felsenmoschee der Derwische lag eine bedrohliche Stille. Das rituelle Singen und Tanzen, das nach der Verurteilung Sobocans fortgesetzt worden war, hatte inzwischen aufgehört. Nur vereinzelt drang der Ruf eines Nachtvogels durch die uralten Gemäuer der Ruine.

      Als Sobocan aus der Bewußtlosigkeit erwachte, glaubte er zunächst, die Welt drehe sich in einem rasenden Wirbel um ihn. In seinem Schädel explodierten tausend Pulverfässer, und er hatte ein Gefühl, als hielten ungeheure Lasten seinen Körper am Boden fest.

      Blinzelnd öffnete er die Augen, doch das einzige, was sich seinem Blick bot, war Dunkelheit. Als er dann noch die Kühle und Feuchtigkeit seiner Umgebung spürte, kehrte seine Erinnerung zurück.

      Der Körper Sobocans straffte sich. Mit einer reflexartigen Bewegung wollte er vom Boden aufspringen. Aber es blieb bei dem Versuch, denn man hatte ihm wieder Hände und Füße zusammengebunden.

      Während ihn diese bittere Erkenntnis wie ein Hammerschlag traf, fielen ihm die Worte Ibrahim Salihs ein. Und gleichzeitig stieg eine ohnmächtige Wut in Sobocan auf. Man wollte ihn beseitigen, und das im Auftrage Barabins, daran gab es für ihn keinen Zweifel mehr.

      Hundert Schläge sollte er erhalten. Außerdem hatten ihn die Derwische zum Tode verurteilt, und das eigentlich nur, weil er sich einen Rest von Menschlichkeit bewahrt hatte.

      Ein schmerzliches Lächeln quälte sich in Sobocans Gesicht. Man hatte ihn nicht ausreden lassen, sondern einfach niedergeschlagen. Dennoch grenzte es bereits an ein Wunder, daß er überhaupt noch am Leben war. Aber Ibrahim Salih, dieser eiskalte, berechnende Schurke, würde nicht davor zurückschrekken, das Urteil zu vollstrecken.

      Das Oberhaupt der Derwische hatte seinen Plan genau durchdacht. Unter dem Deckmantel der Religion würden auch seine Männer ohne weiteres mitspielen.

      Auch Salih mußte sich darüber im klaren sein, daß er die hundert Schläge nicht überstehen würde. Sollte das trotzdem der Fall sein, würde das zusätzlich ausgesprochene Todesurteil dafür sorgen, daß er, Sobocan, zu Beginn des neuen Tages nicht mehr unter den Lebenden weilte.

      Als Sobocans Blick die schmale Maueröffnung seines Verlieses streifte, durch die das spärliche Licht des Mondes auf die gegenüberliegende Mauer fiel, durchzuckte ihn plötzlich ein eisiger Schreck. Wieviel Zeit war seit der gespenstischen Szene im Kreis der Derwische überhaupt vergangen? Wie lange würde es noch dauern, bis das erste Morgengrauen hereinbrach? Konnten nicht jeden Moment seine Mörder die schwere Holztür öffen? Vielleicht stand derjenige, den das Los getroffen hatte, schon mit dem Richtschwert bereit?

      Sobocan wußte, daß er keine Zeit verlieren durfte. Aber was sollte er tun? Gab es überhaupt eine Möglichkeit für ihn, den Derwischen zu entrinnen?

      Schließlich war es der Gedanke an Slobodanka, der ihn aus seinen Überlegungen riß. Seine alte Entschlossenheit und ein eiserner Lebenswille packten ihn.

      Nachdem es ihm gelungen war, seinen Oberkörper aufzurichten, versuchte er mühsam, seine Umgebung mit den auf den Rücken gefesselten Händen abzutasten. Aber es waren nur kalte, feuchte Steine, die er berührte.

      Trotzdem gab er nicht auf. Es mußte eine Chance für ihn geben. Er konnte Slobodanka nicht allein auf dieser Welt, in der sich die Menschen gegenseitig wie wilde Tiere zerfleischten, zurücklassen. Er liebte sie, und er wußte, daß sie auf ihn wartete.

      Ein Hoffnungsschimmer durchzuckte Sobocan, als seine Fingerspitzen plötzlich über eine schroffe Steinkante glitten. Damit mußte er es versuchen. Die Kante war zwar nicht messerscharf, aber vielleicht würde es ihm gelingen, seine Fesseln damit durchzuscheuern.

      Sofort ging der junge Bursche an die mühsame und schmerzhafte Arbeit. Er achtete nicht darauf, daß ihm schon bald die Haut in Fetzen von den Handgelenken hing. Der Wille, am Leben zu bleiben, ließ ihn den Schmerz vergessen. Der Gedanke an die unaufhaltsam fortschreitende Zeit verlieh ihm neuen Antrieb. Wann würde der neue Tag anbrechen? Würde er es noch schaffen, seine Fesseln zu lösen? Verbissen arbeitete er weiter, bis er einen plötzlichen Ruck verspürte – dann konnte er seine Hände frei bewegen.

      Ein Gefühl der Dankbarkeit durchströmte Sobocan. Er hatte es geschafft, seine Hände waren frei. Sofort warf er seinen Körper herum, um auch die Fußfesseln zu bearbeiten. In den Druck seiner Beine konnte er mehr Kraft legen, so daß auch die dünnen Taue um die Fußgelenke in kurzer Zeit durchgescheuert waren.

      Sein Atem ging schwer, als er sich wieder völlig frei bewegen konnte. Sofort stand er vom Boden auf, seine Glieder waren kalt und steif geworden. Mit zusammengekniffenen Lippen rieb er sich die schmerzenden Handgelenke. Nur langsam spürte er, wie ein wenig Wärme in seinen drahtigen Körper zurückströmte.

      Die anfängliche Zuversicht Sobocans klang rasch wieder ab, denn auf dem Weg in die Freiheit gab es noch gefährliche Hindernisse zu überwinden.

      Wie wollte er je aus diesem dunklen Verließ herauskommen, ohne von den Derwischen bemerkt zu werden?

      Es gab nur einen einzigen Weg, und der führte durch die Tür, die aus dikken, grobbehauenen Planken bestand und verriegelt war. Niemals würde ihm gelingen, sie von innen zu öffnen.

      Da fielen ihm die Wachen ein.

      Mit ziemlicher Sicherheit ließ Ibrahim Salih das Gefängnis bewachen, obwohl die Voraussetzungen für eine Flucht äußerst gering waren. Sobocan hoffte es jedenfalls, denn ohne Hilfe von außen war er verloren, auch wenn es ihm gelungen war, die Fesseln abzustreifen.

      Sobocan beschloß, es mit einem simplen Trick zu versuchen. Würde er durch lautes Rufen oder Schreien die Aufmerksamkeit auf sich lenken, dann würde man sich wahrscheinlich nicht darum kümmern, sondern es als ein Zeichen seiner Todesangst werten. Außerdem bestand dabei die Gefahr, daß der Lärm von den anderen Derwischen gehört wurde.

      In fieberhafter Eile wog Sobocan seine Möglichkeiten und Chancen gegeneinander ab, während seine Hände über das kalte Gestein tasteten. Als es ihm schließlich gelungen war, einen etwa faustgroßen Steinbrocken aus dem zum Teil unbehauenen und geröllhaltigen Fels zu lösen, umklammerten seine Finger die primitive, aber notfalls recht wirksame Waffe.

      Sobocan tastete sich in die Nähe der Tür und pochte einige Male mit dem Stein dagegen.

      Er hielt den Atem an. Aber nichts rührte sich.

      Da klopfte er erneut gegen die Bohlen und wartete.

      Plötzlich drang ein lautes Gähnen zu ihm herein. Es folgte ein scharrendes Geräusch, dann tönte eine verschlafen klingende Stimme durch die Tür.

      „Was ist los? Warum klopfst du da drin?“ Die Stimme klang verärgert, als sie fortfuhr: „Das wird dir auch nicht mehr helfen, du Bastard. Hast dich wohl an die Tür geschleppt, um mir das bißchen Schlaf zu rauben, was? Wenn du keine Ruhe gibst, komm ich rein und gab dir was auf den Schädel.“

      Ein glucksendes Lachen folgte, dann kehrte wieder Stille ein.

      Sobocan atmete auf. Es hatte nur ein Mann gesprochen. Wahrscheinlich hatte man doch nur einen Wächter abkommandiert.

      Er schlug abermals mit dem Stein gegen die Bohlen.

      „Möge dich Allah verderben, du Hund!“ schnaufte es draußen. „Du gönnst wohl einem rechtschaffenen Mann nicht mal eine Mütze voll Schlaf? Nun gut, wenn du es nicht anders haben willst, dann werde ich dich eben zur Ruhe bringen, das wirst du gleich merken.“

      Sobocans Herz klopfte bis zum Hals, als der schwere Eisenriegel mit einem quietschenden Geräusch zurückgeschoben wurde.

      Die Tür schwang auf und ein kleines Tranlämpchen warf sein trübes Licht in das finstere Gemäuer.

      In der Türöffnung erschien eine vierschrötige Gestalt, deren Körper in

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