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wurde.

      Als die anderen Derwische sahen, was geschah, steigerten sie ihren Gesang, der schließlich in heulende Klagetöne umschlug. Auch sie wollten so rasch wie möglich diesen Zustand erreichen, um – wie sie glaubten – mit Allah zu verschmelzen.

      Nur einer der Männer schien das Diesseits, die Welt der Realitäten, nicht aus den Augen zu verlieren. Er tanzte zwar auch, aber seinem stechenden Blick schien absolut nichts zu entgehen.

      Es handelte sich um Ibrahim Salih, das Oberhaupt der Derwische.

      Bereits vor einigen Jahren war auf sein Betreiben hin innerhalb des Mewlewija-Ordens eine Spaltung erfolgt, nach der er sich mit einer Schar von Getreuen in die Einsamkeit der alten Seldschuken-Festung, die direkt in den Felsen der türkischen Südküste lag, zurückgezogen hatte.

      Aber Ibrahim Salih, ein früherer Pirat, hatte es trotz aller fanatischen Frömmigkeit bald satt, das asketische Leben eines Bettelmönches zu führen. Es lebte sich viel einfacher, wenn man sich nahm, was man brauchte – und vielleicht sogar noch etwas mehr. So hatten sich mit der Zeit auch die Vorratsräume der Ruine gefüllt, die man durch den Anbau eines Minaretts in eine Moschee umgewandelt hatte.

      Ibrahim Salih war ein großer, hagerer Mann mit dichtem Bart und auffallender Hakennase. Seine Gesichtsfarbe wirkte fahl, seine Augen blickten hinterhältig und verschlagen. Auch jetzt ließ er seine Blicke mit einem kalten Grinsen in die Runde schweifen.

      Offenbar war der Zeitpunkt jetzt günstig für sein Vorhaben. Er sprang urplötzlich mit einem lauten Schrei in den Kreis der tanzenden Derwische. In seiner rechten Hand lag wie hineingezaubert ein Krummsäbel, den er mehrmals durch die Luft zischen ließ.

      „Bringt ihn her!“ schrie er wild. „Holt ihn! Er soll hören, wessen er angeklagt ist!“

      Das ekstatische Singen und Tanzen brach unvermittelt ab. Während die Blikke einiger Derwische erkennen ließen, daß sie noch in anderen Welten weilten, blickten die anderen keuchend und außer Atem zu ihrem Oberhaupt hinüber.

      „Warum gerade jetzt?“ fragte ein kleiner, rundlicher Mann, mit unwilligem Gesicht. Das härene Gewand reichte ihm bis auf die nackten Füße. „Hat das nicht bis später Zeit? Der Hund wird uns nicht davonlaufen.“

      „Halt den Mund, Naci!“ gab Salih unwirsch zurück. „Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Der Fluch Allah wird uns treffen, wenn wir diese Ratte länger in unserer Nähe dulden. Holt ihn!“

      Niemand wagte mehr einen Widerspruch. Sie kannten schließlich die Anfälle von Jähzorn, die ihren Führer von Zeit zu Zeit heimsuchten. Außerdem: wenn Allah ihm gezeigt hatte, daß jetzt der richtige Zeitpunkt war, dann muß-te es eben sein.

      Es dauerte nicht lange, und zwei der Derwische kehrten mit Sobocan in ihrer Mitte in den Schein der Fakkeln und des mystischen Feuers zurück.

      Das Hemd über der Brust des jungen Türken war zerfetzt. Auf dem Rücken war es mit Blut durchtränkt. Die Segeltuchhose endete direkt unterhalb der Knie, auch sie hatte schon bessere Zeiten erlebt. Sein schwarzes Haar wirkte strähnig, seine Hände waren nach wie vor auf den Rücken gebunden. Erwartungsvoll richtete sich sein Blick auf die gespenstischen Gestalten, die einen Kreis um ihn zu bilden begannen.

      In seinen Augen lag ein entschlossener Ausdruck. Nein, Angst hatte Sobocan nicht. Wenn Allah bestimmt hatte, daß er heute sein Leben lassen sollte, dann konnte er nichts dagegen tun. Nur der Gedanke an Slobodanka erfüllte ihn mit einer stillen Wehmut.

      Obwohl die Atmosphäre, die die Derwische umgab, alles andere als angenehm war, empfand Sobocan die plötzliche Wärme, die das hochauflodernde Feuer in seiner Nähe abgab, als wohltuend. Seine kalten, steifen Glieder begannen sich langsam zu erwärmen.

      Totenstille war eingetreten. Keiner der Derwische tanzte mehr oder sang den monotonen „Dhikr“ vor sich hin. Alle blickten gespannt auf Ibrahim Salih, ihren Führer.

      „Naci“, sagte dieser nun zu dem kleinen, rundlichen Mann, der außer ihm der einzige war, der des Lesens und Schreibens kundig war. „Bringe den Koran. Und dann lies laut vor, was im dritten Vers der vierundzwanzigsten Sure geschrieben steht. Dieser Hund, der da vor uns steht, soll seine Ohren weit öffnen, und er soll auf die Knie gehen, wenn das Wort Allahs an ihn ergeht!“

      Während Naci dienstbeflissen den Koran herbeiholte, wurde Sobocan von seinen Bewachern in die Knie gezwungen.

      Naci begann mit lauter Stimme vorzulesen: „So wurde dem Propheten zu Medina offenbart: Eine Hure und einen Hurer sollt ihr mit hundert Schlägen geißeln. Laßt euch nicht, diesem Urteil Allahs zuwider, von Mitleid gegen sie einnehmen, wenn ihr an Allah und den Jüngsten Tag glaubt. Einige Gläubige sollen ihre Bestrafung bezeugen.“ Nachdem er geendet hatte, blickte er abwartend zu Salih hinüber.

      „Hast du es gehört, du Ratte?“ fragte Ibrahim Salih zu Sobocan gewandt. In seinen stechenden Augen lag ein merkwürdiger Glanz, als er fortfuhr: „Du hast Slobodanka, die Tochter unseres Wohltäters Barabin in den Dreck gezogen. Ja, du Hund, du hast dich an das Mädchen herangepirscht, und dafür wirst du die hundert Schläge erhalten, von denen der Prophet gesprochen hat.“

      Einen Moment wirkte Sobocan wie erstarrt. Hundert Schläge! Erst gestern hatte er zwanzig Hiebe mit der Neunschwänzigen erhalten. Kämen jetzt noch weitere hundert dazu, dann würde das auch der stärkste Mann nicht verkraften. Es wäre das sichere Ende. Und außerdem: Was hatte er Slobodanka getan? Sie liebten sich, das war alles. Nie hatten sie etwas getan, was gegen die Gebote Allahs und seines Propheten verstoßen hätte.

      Rasch sprang der junge Mann auf.

      „Was du gesagt hast, ist eine Lüge!“ rief er mit lauter Stimme. „Eine elende Lüge! Und Allah wird auch die Lügner eines Tages bestrafen. Ich habe Slobodanka mit keinem Finger angerührt. Ja, ich liebe sie, und sie liebt mich. Und ich habe Barabin gebeten, mir seine Tochter zur Frau zu geben. Ist das vielleicht ein Unrecht? Auch du, Salih, hast nicht das Recht, Gutes in Böses zu verwandeln!“

      „Schweig, du Hund!“ brüllte das Oberhaupt der Derwische mit haßverzerrtem Gesicht. „Sei still, oder ich lasse dir augenblicklich den Kopf abschlagen!“

      Seine Augen funkelten tückisch, als er sich Naci zuwandte.

      „Lies weiter“, sagte er. „Wir wollen aus der neunten Sure des Korans den einundvierzigsten Vers hören.“

      Eilig küßte Naci den Koran, bevor er mit lauter und hoher Stimme zitierte: „Zieht in den Kampf, leicht und schwer, und kämpft mit Gut und Blut für die Religion Allahs; dies wird besser für euch sein, wenn ihr es nur einsehen wollt.“

      Nachdem Naci verstummt war, legte Ibrahim Salih eine kurze Pause ein, um die Wirkung seiner Worte zu erhöhen. Er verfolgte sein Ziel mit eiskalter Präzision.

      „Mit Gut und Blut haben wir für die Religion Allahs zu kämpfen“, sagte er zu Sobocan. „Und was hast du vor zwei Tagen getan, als die ‚El Jawhara‘ die ungläubigen Hunde samt ihrem Schiff vernichtet hat? Du hast feige den Schwanz eingezogen und Barabin, deinen Kapitän, sogar noch einen Meuchelmörder genannt. Du bist ein Verräter! Jawohl, ein ganz elender Verräter! Und als solcher wirst du sterben, und zwar gleich im ersten Morgengrauen. Allah sei mein Zeuge, daß ich dieses Urteil in seinem Auftrag gesprochen habe.“

      Wieder bäumte sich Sobocan auf, aber gegen die Übermacht der Derwische konnte er nichts ausrichten.

      „Auch das ist eine üble Verleumdung!“ schleuderte er Salih entgegen. „Ich bin kein Verräter, aber Barabin ist ein Meuchelmörder, er hat die Besatzung des venezianischen Schiffes mit eurer Hilfe in einen Hinterhalt gelockt. Alle Männer mußten sterben, obwohl das nicht nötig gewesen wäre, um die Beute zu übernehmen.“

      „Schweig!“ brüllte Ibrahim Salih und hob drohend den Krummsäbel, den er noch immer in der Hand hielt.

      Doch Sobocan fuhr unbeirrt fort: „Und nun öffne du deine Ohren, Salih. Wie Naci vorgelesen hat, sollen die Gläubigen mit Gut und Blut für die Religion Allahs kämpfen. Bei dem hinterhältigen Morden, das Barabin mit deiner Hilfe betrieben hat, ging es

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