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      Impressum

      © 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

      Pabel ebook, Rastatt.

      ISBN: 978-3-95439-579-8

      Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]

      Inhalt

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

      1.

      Die Nacht war hereingebrochen und hatte ihren grauschwarzen Schleier über die zerklüftete Felsenlandschaft des Taurus ausgebreitet. Nur selten tauchte der Mond zwischen den vorüberziehenden Wolken auf und warf sein fahles Licht über die wilde, bizarre Landschaft, die sich an der türkischen Südküste, zwischen dem Golf von Antalya und Adana, entlangzog.

      Man schrieb das Jahr des Herrn 1591.

      Schon vor Wochen hatte der Winter damit begonnen, den Spätsommer zu verdrängen. Öfter als sonst waren peitschende Regengüsse niedergegangen, als wollten sie die schroffen Berggipfel freispülen vom Staub der vergangenen Jahrhunderte. Auch jetzt, in der Mitte des Monats Dezember, wehte eine frische Brise aus westlicher Richtung und ließ die wenigen Menschen, die dieses unwirtliche Gebiet bewohnten, frösteln. Trotzdem war das Klima der Wintermonate als mild zu bezeichnen, wie meist in den Küstengegenden des Mittelmeeres.

      Sobocan zuckte unwillkürlich zusammen, als die nächtliche Stille urplötzlich von erregtem Stimmengewirr unterbrochen wurde.

      Zunächst hatte es den Anschein, als würden sich die Männerstimmen nähern, doch niemand erschien an der rohgezimmerten Holztür des Verlieses, in das man ihn – die Hände und Füße mit derben Stricken zusammengebunden – eingesperrt hatte.

      Es war fast völlig dunkel in dem muffig riechenden Gewölbe. Nur der trübe Schein des Mondes fiel hoch oben durch eine winzige Maueröffnung und zeichnete gelbliche Muster auf die verwitterten Steinquadern.

      Der Geruch von Feuchtigkeit überlagerte den Raum, und der junge, etwa fünfundzwanzigjährige Mann mit den dunklen Haaren und dem markanten, sonnengebräunten Gesicht, hatte das Gefühl, für alle Ewigkeiten in eine finstere Grabkammer verbannt worden zu sein.

      Sobocan, der junge Türke, war ein drahtiger Bursche. Seine Kleidung war teilweise zerfetzt. Von seinen nackten Füßen ausgehend, kroch langsam eine feuchte Kälte über seinen Körper. Sein Rücken brannte wie Feuer. Die Neunschwänzige Katze, die gestern an Bord der „El Jawhara“ zwanzigmal auf seine braune Haut geklatscht war, hatte blutige Spuren hinterlassen.

      Angestrengt lauschte Sobocan in die Nacht.

      Das Stimmengewirr hatte sich gesteigert und ging nun in einen eigentümlichen, monotonen Gesang über. Er konnte sich lebhaft vorstellen, was da draußen auf dem Innenhof der ehemaligen Seldschuken-Festung geschah. Irgendwo, ganz tief in seinem Inneren, ahnte er, was das für ihn zu bedeuten hatte.

      Unwillkürlich glitten seine Blicke über die schroffen Mauern seines Gefängnisses, und immer wieder blieben sie auf dem kleinen Lichtfleck haften, den der Mond hereinwarf. Aber die Maueröffnung, die einer Schießscharte glich, war zu klein. Kein menschlicher Körper, und sei er noch so dünn und mager, würde sich jemals durch diesen schmalen Schlitz zwängen können. Der einzige Weg in die Freiheit lag dort hinter den dicken Holzbohlen der Tür. Und diese war verriegelt und höchstwahrscheinlich bewacht.

      Ein bisher unbekanntes Gefühl der Ohnmacht überfiel Sobocan. Wie sollte es ihm jemals gelingen, diese Tür zu öffnen? Selbst wenn ihm das gelang, würden ihm blanke Krummsäbel und scharfe Dolche den Weg in die Freiheit versperren – oder ihn sogar in jenes Paradies befördern, das Allah seinem Propheten Mohammed offenbart hatte.

      Sobocan nagte zweifelnd an seiner Unterlippe.

      Wäre es in diesem Paradies, von dem die Imame in den Moscheen immer wieder erzählten, nicht viel schöner und angenehmer als hier in diesem feuchten, muffigen Gemäuer, wo man ihn jederzeit herausholen konnte, um ihm mit einem Schwert den Kopf abzuschlagen?

      Die Gedanken hinter Sobocans Stirn begannen sich zu jagen, bis er plötzlich wieder an Slobodanka, jenes hübsche, schlanke Geschöpf dachte, das er so sehr liebte. Die Ungewißheit darüber, ob er das Mädchen jemals wiedersehen würde, jagte ihm kalte Schauer über den zerschundenen Körper.

      Nein, das Paradies, das der Prophet Mohammed verkündet hatte, war wohl doch nichts für ihn. Es war nichts Greifbares, und er fühlte sich unendlich weit davon entfernt. Und wenn es dem Willen Allahs entsprach, ihn zu einem zufriedenen und glücklichen Menschen zu machen, dann mußte er ihm die Möglichkeit verschaffen, auf dieser Erde zu bleiben – hier in dem wilden, gebirgigen Teil seiner Heimat, in dem die Felsen fast bis ins Wasser des Mittelmeeres ragten. Mit dieser Landschaft war er verwachsen. Hier war er Slobodanka zum erstenmal begegnet. Seitdem schlug sein Herz höher, wenn er an sie dachte.

      Sobocan wälzte sich zur Seite. Das monotone, rhythmische Singen war lauter geworden. Das sich ständig wiederholende „Dhikr“ und das Hersagen der mystischen Formel „Yah Allah“ beschleunigten sich, und nackte Fußsohlen stampften dazu in gleichbleibendem Rhythmus auf den Lehmboden des Hofes.

      Eine merkwürdige Erregung packte Sobocan. Sein Atem ging unwillkürlich rascher als sonst. Er fühlte, daß das Schicksal eine folgenschwere Entscheidung über ihn fällen würde, eine Entscheidung über Leben und Tod.

      Das unruhige Flackern der Fakkeln tauchte den Innenhof der Ruine in ein gespenstisches Licht. Das blanke Metall der Dolche und Stichwaffen, die rundum an den Wänden hingen, glitzerte im Schein des Feuers, das in der Mitte des Hofes aufloderte und gleichzeitig einen betäubenden Duft verbreitete. Es war der Geruch von Weihrauchkörnern und Gewürzkräutern, der den Schauplatz des merkwürdigen Rituals überlagerte.

      Eine Schar Derwische des Mewlewija-Ordens, eine mystisch-islamische Sekte von Bettelmönchen, hatte sich in lange, helle Gewänder gehüllt, die an den Hüften durch breite Ledergürtel zusammengehalten wurden. Dazu trugen sie hohe, kegelförmig zulaufende Hüte und bewegten sich in einem ekstatischen Wirbeltanz um das Feuer.

      Der monotone Gesang der Derwische wurde plötzlich durch einige schrille Schreie unterbrochen, die ein einzelner Mann ausstieß. In seinen Augen lag ein fast überirdischer Glanz, als er seinen Wirbeltanz etwas verlangsamte. Sein Blick schien in unendliche Weiten gerichtet zu sein.

      Der Mann stand einen Augenblick still, dann ging er mit langsamen Schritten zu einer Seitenmauer des Hofes hinüber und nahm einen langen Degen von der Wand. Damit ging er zum Feuer in der Mitte des mystischen Kreises, riß den Mund weit auf – und stieß sich langsam die Klinge der Waffe durch die rechte Wange, bis sie auf der linken Gesichtshälfte wieder heraustrat.

      Der Derwisch, der sich im Zustand der Ekstase befand, zuckte nicht einmal zusammen. Kein Blutstropfen rann über sein bartloses Kinn. Er schien jenen Zustand erreicht zu haben, den alle

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