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      „Schon gut.“ Siri-Tong lächelte scheinbar freundlich. Sie kannte alle Überlegungen, die Hasard über Charangu und die merkwürdigen Verhältnisse auf Kahoolawe angestellt hatte. Und geradezu genüßlich fuhr sie fort: „Wir haben uns nämlich gerade überlegt, daß wir noch bis morgen oder übermorgen bleiben werden. Wir werden dann Zeit haben, frisches Wasser an Bord mannen zu lassen und vielleicht auch einige Proviantvorräte. Natürlich werden wir dafür einen Gegenwert an nützlichen Dingen zahlen, die die Leute hier gebrauchen können.“

      Charangu wurde grau im Gesicht. Er hatte sichtliche Mühe, seine Fassung zu wahren. Die Willenskraft, mit der er sich zur Höflichkeit zwang, mußte enorm sein.

      „Selbstverständlich sind Sie unsere Gäste, solange Sie wollen. Und ich würde es niemals zulassen, daß Sie für etwaige Vorräte bezahlen. Ich müßte das geradezu als Beleidigung auffassen.“

      „Wie Sie meinen“, sagte Siri-Tong mit unverändertem Lächeln. „Wir sind Ihnen sehr dankbar, Majestät. Schon im voraus.“

      „Oh, ich betrachte das als eine Selbstverständlichkeit.“ Charangu überhörte den unverhohlenen Spott im Unterton von Siri-Tongs Stimme und schaffte es sogar, wieder eine strahlende Miene aufzusetzen.

      „Wir könnten ihnen auch eine gewisse Menge an Perlen abkaufen“, sagte Hasard, ohne zu wissen, daß er damit den gleichen Gedanken hatte, der auch Dan O’Flynn bereits bewegt hatte. „Denn in Europa werden Perlen zu Schmuck verarbeitet.“

      Charangus Strahlen vereiste.

      „Ja, ich habe davon gehört. Aber die Polynesier werden ihre Perlen nicht hergeben. Sie brauchen sie für kultische Zwecke. Es sind Schätze, die den Göttern geopfert werden, weil sie von den Göttern auf den Muschelbänken gesät wurden.“

      Abrupt wandte sich der Inder ab und schritt mit wallendem Umhang zurück ins Dorf, wo die Musik und die ausgelassene Stimmung der Menschen lauter geworden waren.

      7.

      Die Nacht senkte sich rasch über Kahoolawe. Der Übergang vom hellen Tageslicht zur sanften Dunkelheit vollzog sich wie in einem Atemzug. Europäer, die dieses Phänomen in südlichen Breiten zum ersten Male erlebten, pflegten in Erstaunen zu geraten. Für den Seewolf und seine Männer war es indessen nichts Ungewöhnliches mehr.

      Auf der Insel war Ruhe eingekehrt. Die Menschen hatten sich auf Charangus Anordnung folgsam in ihre Behausungen zurückgezogen. Auch für die Gäste aus dem unbekannten Teil der Welt gab es hinreichende Unterkunft. Nur vereinzelt war noch das Gezeter der Gibbons zu hören. Weiter entfernt kreischten einige der wenigen Tropenvögel, die Kahoolawe bevölkerten.

      Am Rand des Palmenwaldes, der den Dorfplatz umgrenzte, hatten Hasard und Siri-Tong unter einem schrägen Schutzdach ihr Nachtlager aufgeschlagen. Es hatte sich nur wenig abgekühlt. Dennoch warfen sie sich die Decken über, die sie von der Galeone hatten herüberschaffen lassen. Während der Nachtstunden würden die Temperaturen noch beträchtlich absinken.

      Der Himmel war sternenklar, und eine dünne Mondsichel spendete fahles Licht. Dennoch war es unter den mächtigen Kronen der Palmen fast völlig dunkel. Nur auf der Lichtung, die das Dorf einnahm, waren die Konturen der Hütten mit verschwommenen Schattenlinien zu erkennen.

      Die Männer von der „Isabella“ hatten sich in verschiedenen Hütten für die Nacht eingerichtet – so, wie es sich durch die freundschaftlichen Kontakte, die sie tagsüber geknüpft hatten, ergeben hatte. Nach den ausgiebigen Gaumengenüssen waren sie alle augenblicklich in tiefen Schlaf gefallen. Diese angenehme Seite des Lebens hatte sie schläfriger werden lassen, als die härteste und knochenschindendste Arbeit an Bord der Galeone es vermocht hätte.

      Hasard hatte sich vor Einbruch der Dunkelheit auch mit Ben Brighton verständigt. Ben würde eine verstärkte Nachtwache auf der „Isabella“ aufziehen lassen, und die Männer erhielten ausdrückliche Order, die Ohren zu spitzen und die Insel in regelmäßigen Abständen mit dem Kieker zu beobachten. Zur weiteren Verständigung verfügten die Seewölfe über die bewährten Mittel aus Al Conroys Trickkiste.

      Arwenack, der mittlerweile jedes Interesse an den trägen und vollgefressenen Gibbons verloren hatte, kauerte neben dem schrägen Schutzdach aus Palmenblättern. Seine gedrungene Statur und sein schwarzes Fell verschmolzen mit der Dunkelheit, die ihn umgab. Tiefe Atemzüge zeigten an, daß auch der Seewolf und die Rote Korsarin zur Ruhe gefunden hatten. Eine wohlverdiente Ruhe nach den Strapazen der zurückliegenden Tage.

      Die Zeit verrann. Sekunden zu Minuten und Minuten zu Stunden. Arwenack harrte regungslos aus. Der Instinkt hielt ihn in der Nähe seines Herrn. Ein Instinkt, der aus der fremden Umgebung herrührte, in der der Schimpanse sich ebensowenig auf Anhieb heimisch fühlen konnte wie ein Mensch. Er brauchte das Vertraute, und das waren in diesem Fall Hasard und Siri-Tong.

      Auch das Zetern der Gibbons hatte mittlerweile nachgelassen. Nur vereinzelte Schreie von Vögeln waren noch aus größerer Entfernung zu hören.

      Doch diese Schreie reichten nicht aus, um jene kaum merklichen Geräusche zu überdecken, die Arwenack plötzlich vernahm.

      Ein leises Rascheln. Dann wieder Stille.

      Arwenack hob den Kopf. Aber er bewegte sich nicht.

      Wieder ein Rascheln.

      Es war eine Erfahrung, die den Schimpansen handeln ließ. Eine Erfahrung, die er seinem Leben an Bord der englischen Galeone verdankte. In unzähligen gefahrvollen Situationen hatte er das Verhalten der Menschen beobachtet. So wußte auch er jetzt, was er zu tun hatte.

      Langsam und völlig lautlos bewegte er sich auf den schlafenden Seewolf zu und zupfte an seiner Schulter.

      Hasard erwachte sofort, doch er rührte sich nicht, sondern schlug lediglich die Augen auf.

      Er sah die leuchtendweißen Zähne Arwenacks und das Helle seiner Augen. Unvermittelt legte der Schimpanse seinen langen schwarzen Zeigefinger vor die Lippen.

      Hasard begriff augenblicklich. Vorsichtig schälte er seine Arme aus der Dekke und berührte Siri-Tong sanft am Oberarm. Auch sie reagierte so, wie es in vielen Momenten der Gefahr zur lebensrettenden Gewohnheit geworden war.

      Der Seewolf und die Rote Korsarin blieben regungslos und stellten sich schlafend. Und nun hörten auch sie das, was den guten alten Arwenack alarmiert hatte.

      Schritte.

      Sie versuchten, sich so leise wie möglich zu bewegen. Doch auf dem mit Pflanzen und trockenem Gestrüpp überdeckten Boden war absolute Geräuschlosigkeit praktisch ausgeschlossen.

      Langsam, unendlich langsam, befreiten sich der Seewolf und die Rote Korsarin vollends von ihren Decken.

      Jäh waren die Schritte in ihrer unmittelbaren Nähe. Von allen Seiten.

      Arwenack stieß plötzlich ein helles Keckern aus.

      Im selben Moment geschah es.

      Dunkle Gestalten stürmten auf Hasard und Siri-Tong ein. Ihre Augen hatten sich so weit an die Dunkelheit gewöhnt, daß sie die Silhouetten der Männer erkennen konnten.

      Zischende Geräusche waren zu hören. Es blinkte metallisch. Knüppel und Messer.

      Der Seewolf und die Rote Karsarin schnellten hoch.

      Keins der Mordinstrumente traf sein Ziel.

      Arwenack suchte mit einem schrillen Laut das Weite.

      Ein dumpfer Schlag traf die Stelle, an der sich eben noch Siri-Tongs Kopf befunden hatte.

      Aus dem Aufspringen heraus wirbelte der Seewolf herum. Unmittelbar vor ihm war eine der schattenhaften Gestalten. Der Polynesier konnte seinen eigenen Sprung nicht mehr bremsen. Von seinem ganzen Körpergewicht getrieben, fuhr sein Messer an der Stelle in den Erdboden, an der er den Kapitän der fremden Galeone noch vermutete.

      Hasard schlug unbarmherzig zu. Der Mann sackte in sich zusammen und begrub das Messer unter sich. Aus den Augenwinkeln

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