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Westen!“ wiederholte Martin Correa. Er drückte die Ruderpinne herum, und die „Empress of Sea II.“ legte sich vor den Wind. Die Schoten wurden weggefiert, der Wind griff in die Segel und drückte das Schiff in den Meeresarm.

      „Der Kompaßkurs ist etwa Südwest“, sagte Old Donegal, als sie dem Verlauf des Armes folgten. „Mir soll’s recht sein.“ Mißtrauisch blickte er nach Backbord. Dort erstreckten sich Inseln über Inseln. Er richtete seinen Blick nach Steuerbord. Dort zog sich buchtenreich und auch mit Inselchen bestückt die Südküste von Nordandros entlang. „Na, was haltet ihr davon?“ fragte er dumpf.

      „Nicht allzuviel“, erwiderte Carberry. „Es stimmt schon, was der Kutscher erzählt hat. Hier kann man sich leicht verirren, wenn man zwischen den Inseln herumlaviert. Und hier gibt es keinen Faden wie im Höhlenlabyrinth, der einem wieder raushilft.“

      „Genau das meine ich auch“, sagte der Alte. „Aber jetzt sind wir schon mal drin und segeln hindurch.“

      Der Kutscher befaßte sich wieder mit der Karte und zeichnete die Inselchen ein. Die Zwillinge hatten unterdessen nicht aufgehört, die Wassertiefe auszuloten.

      „Hier wird’s flach!“ rief Hasard junior plötzlich. „Zweieinhalb Faden!“

      Martin Correa wich der Untiefe durch rasches Ruderlegen aus, aber dann wurde es ihm mulmig zumute.

      „He!“ rief er. „Hier ist eine starke Strömung, verdammt noch mal!“

      In der Tat: ein starker Strom setzte in Südwest-Richtung. Das ging ziemlich schnell – die „Empress“ wurde voll von ihm erfaßt und mitgenommen. Allen wurde es jetzt ungemütlich. Das sind die verfluchten Geister, dachte Old O’Flynn, aber er sprach es diesmal nicht offen aus.

      „Fock und Besan bergen!“ befahl er.

      Die Männer packten zu und tuchten die Fock und das Besansegel auf. Gerade noch rechtzeitig genug. Der Strom nahm zu und gewann immer mehr Macht über die kleine Karavelle. Sie schoß jetzt fast dahin. Aber das Bergen der beiden Segel verringerte ihre Fahrt wieder.

      Die Lotungen ergaben inzwischen widersprüchliche Tiefen. Mal wurde es beängstigend flach, mal erreichte das Lot keinen Grund.

      „Achtung!“ rief Nils Larsen. „Inseln voraus!“

      Alle richteten ihre Blicke voraus. Inseln und Inselchen tauchten vor der „Empress“ auf, eine nicht zu überschauende Anzahl. Old Donegal wurde es schwül, er mußte sich den Schweiß von der Stirn wischen.

      „Großsegel bergen!“ rief er.

      So schnell sie konnten, tuchten die Männer auch das Großsegel auf. Jetzt war es nicht mehr der Wind, der dem Schiff die Vortriebskraft verlieh. Nur noch der Strom schob. Er drückte die „Empress“ auf die vielen kleinen Inseln zu, bemächtigte sich ihrer, führte sie dorthin, wohin er wollte. Martin Correa vermochte den Kurs mit der Pinne kaum noch zu beeinflussen.

      Eine Stunde später lief die „Empress of Sea II.“ auf – ganz sanft. Die Männer und die Zwillinge merkten es eigentlich erst daran, daß das Land – oder die Inseln an Backbord und Steuerbord – nicht mehr vorbeiglitt.

      „Dreck!“ rief Martin Correa. „Ich habe keine Ruderwirkung mehr!“

      Die Männer beugten sich über die Reling. „Da haben wir die Bescherung“, sagte der Kutscher. „Seht mal, wie an Backbord und Steuerbord das Wasser vorbeigluckert.“

      „Ist ja deutlich zu sehen“, fügte Sven Nyberg hinzu, aber eigentlich war die Bemerkung überflüssig.

      „Mahlzeit“, sagte Carberry. Er fühlte sich unangenehm an die Abenteuer auf dem Nil erinnert. Er versuchte aber, die Gedanken sofort zu verdrängen.

      Der Kutscher, der mitgekoppelt hatte, setzte ein dickes Kreuz auf die Karte – dorthin, wo sie nach seinen Berechnungen aufgelaufen waren.

      Er ging mit der Karte zu Martin Correa, und dieser konnte nur grimmig bestätigen: „Stimmt, ja, genau hier sind wir aufgebrummt.“

      Gewissenhaft, wie er war, nahm der Kutscher eine Peilung nach beiden Seiten vor. An Backbord war es eine kleine Insel, auf der ein knorriger und großer, aber von einem Blitzschlag gespaltener Baum aufragte, an Steuerbord an der Südküste von Nordandros ein Creek, der sich in das Fahrwasser ergoß. Die beiden Peilungen mit ihren markanten Punkten trug er auf der Karte ein. Im Schnittpunkt der Peilungen saß die „Empress of Sea II.“ fest.

      Schweigen herrschte an Bord. Old O’Flynn und seine sieben Begleiter waren konsterniert und wütend. Was sollten sie jetzt unternehmen? Noch wußte es keiner.

       7.

      Was die kleine Crew der „Empress“ nicht wissen konnte: Dunkle Augenpaare beobachteten sie schon seit Stunden aus dem dichten, verfilzten Buschwerk der Insel Nordandros. Halbnackte Gestalten huschten durch den Dschungel, getuschelte Worte wurden gewechselt. Kanus glitten lautlos durch das Wasser der Creeks.

      Nordandros war nicht unbewohnt. Indianer lebten hier. Am Morgen hatte ein Späher das fremde Schiff gesichtet und seine Entdeckung dem Häuptling des Stammes mitgeteilt.

      Coanabo, der Häuptling, hatte seine Männer ausgeschickt. Sie sollten das Schiff auf seinem Kurs verfolgen und nicht mehr aus den Augen lassen. Er wollte wissen, was die Männer, die sich an Bord befanden, taten. Er traute ihnen nicht. Keinem Weißen durfte man trauen, hatte ihn die Erfahrung gelehrt, und die Gestalten an Bord des seltsamen Dreimasters hatten sich den scharfen Augen seiner Späher bereits als weiße Männer entpuppt.

      Coanabo saß vor seiner Hütte und verarbeitete innerlich die Nachrichten, die ihm von seinen Spähern überbracht wurden. Acht Fremde waren auf dem kleinen Schiff: ein alter Kerl mit weißem Haar, der sich humpelnd bewegte, ein Riese mit einem großen Kinn, zwei Jungen, die sich wie ein Vogelei dem anderen ähnelten, ein sehr schlanker, fast hagerer Mann sowie drei andere Männer, die die Späher nicht genauer zu beschreiben wußten. Es waren eben ausgewachsene Männer – der eine blond, der andere dunkelblond, der dritte dunkelhaarig. Ja, und einen großen Hund hatten sie auch an Bord.

      Spanier, dachte Coanabo, und sein Gesicht verfinsterte sich.

      Das Schiff segelte von Norden her an der Ostküste von Nordandros entlang, dann bog es in den großen Meeresarm ein. Auch diese Botschaften wurden Coanabo übermittelt. Schließlich traf ein Kanu ein, dessen Späher ihm berichtete, das Schiff mit den drei Masten säße jetzt fest.

      Gut so, dachte Coanabo. Dann beschloß er, sich das Schiff selbst anzusehen. Er kletterte in das Kanu und ließ sich von dem Späher zum Südufer bringen. Dort kauerten drei Posten im Dickicht, die das Schiff und seine Besatzung keinen Moment aus den Augen ließen.

      Coanabo war ein reinblütiger Arawak-Indianer – genauer gesagt ein Lucayaner. Dieses Wort bedeutete soviel wie „Insel-Leute“ und bezeichnete einen bestimmten Stamm der Arawaks. Über sechzig Jahre alt war Coanabo, doch man sah ihm sein Alter nicht an. Er war schlank und drahtig und außerordentlich zäh. Sein Gesicht war von Wind, Wetter und mannigfachen Erfahrungen gezeichnet. Pechschwarz waren seine Augen, leicht gekrümmt die Nase, etwas aufgeworfen seine Lippen. In seiner Jugend war er ein sehr gutaussehender Mann gewesen, doch auch jetzt vermittelten seine Züge noch den Ausdruck von Stolz, Kühnheit, Klugheit und Würde. Er war ein Mann, der dazu auserkoren zu sein schien, Häuptling eines Stammes zu sein.

      Vor über dreißig Jahren war es ihm mit ein paar Stammesbrüdern gelungen, von Bord eines spanischen Sklavenseglers zu fliehen. Sie riskierten ihr Leben. Sie setzten alles aufs Spiel. Doch die Götter, so war Coanabo überzeugt, waren ihnen damals wohlgesonnen gewesen. Sie hatten sie gerettet und sicher an Land geführt. Die Kerle des Sklavenfängers hatten sie nicht wiedergefunden, und auch die Haie hatten sie nicht verschlungen.

      Doch die Arawaks gerieten vom Regen in die Traufe. Auf Cat Island – Gigatio Gatas Gotas – wurden sie von den Spaniern gefangengenommen und verschleppt. Nun waren sie wieder Sklaven, zur Zwangsarbeit verurteilt. Man brachte sie nach Hispaniola,

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