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Drohende Stürme hatten Kapitän de Arce zu diesem zeitraubenden Kurswechsel veranlaßt. Alles Übel, so glaubte er jetzt, hatte begonnen, seit er jene Entscheidung getroffen hatte.

      Mein Gott, mein Gott, dachte er in diesem Moment, vielleicht hätte ich doch lieber die Stürme abwettern sollen!

      José Tragante, der Feldscher, stürzte aus dem Vordecksschott auf die Kuhl, hastete zum Steuerbordniedergang des Achterdecks und erstieg das Deck, indem er jeweils drei hölzerne Stufen mit einem Schritt nahm. Es war ihm sonst nicht erlaubt, das Achterdeck zu betreten, denn dieser Platz des Schiffes war dem Kapitän und seinen Offizieren vorbehalten, doch in dieser Ausnahmesituation war es Don Gaspar mehr als selbstverständlich, seinem „Medico“ den Zutritt zu gewähren. Tragante hingegen wünschte inständig, es hätte sich niemals ein Grund für diese Sondergenehmigung ergeben.

      „Tragante!“ rief Don Gaspar. „Santa Madre, wo bleiben Sie denn? Sehen Sie doch, wie es dem armen de Rivadeneira ergeht, dabei war er vor zwei Stunden noch völlig auf der Höhe. Sie …“

      Er unterbrach sich.

      Juan de Rivadeneiras Hände rutschten vom Schanzkleid ab. Er kippte rücklings auf die Planken, streckte die Arme und Beine von sich und rührte sich nicht mehr.

      José Tragante beugte sich über ihn und horchte an seiner Brust. Er sah wieder auf und meldete seinen Kapitän, der das Entsetzen in seinen Zügen nicht mehr zu verbergen vermochte: „Senor Capitán, er ist nur ohnmächtig geworden. Ich brauche einen Helfer, um ihn ins Achterdeck schaffen zu können.“

      „Dieser Helfer ist schon zur Stelle“, sagte Gavena, der Profos, vom Steuerbordniedergang her. Seine Miene war starr, seinen Blick hatte er auf die Gestalt des Ersten Offiziers gerichtet.

      „Es ist – dieselbe Krankheit, nicht wahr, Tragante?“ fragte der Kapitän seinen Feldscher.

      „Ja, Senor.“

      „Es handelt sich um eine Seuche, oder?“

      „Die Befürchtung besteht, Senor“, antwortete José Tragante.

      „Ist es Cholera?“

      „Vielleicht. Vielleicht auch die Ruhr.“

      „Mein Gott“, stammelte Don Gaspar. „Warum können wir nichts dagegen tun, warum nicht?“

      „Die Arzneien, die wir an Bord mitführen, haben sich als wirkungslos erwiesen“, erklärte der Feldscher leise – so leise, daß weder der Profos noch der Rudergänger es hören konnten. „Ich kann den Kranken nur kalte Umschläge auflegen, die ihr Fieber etwas dämpfen, Senor.“

      „Wir werden alle erkranken, wenn nicht ein Wunder geschieht“, sagte Don Gaspar Nunez de Arce. „Und wir müssen alle sterben, ehe wir Manila, unser Ziel, erreichen. Wir sind verdammt dazu.“

      „Es gibt einen Weg zur Rettung, Senor.“

      „Diese Möglichkeit habe ich vorhin mit de Rivadeneira erörtert.“

      „Wir müßten die Kranken unter Quarantäne stellen“, sagte der Feldscher.

      „Wo?“

      „Hier, auf der ‚Vadavia‘, ist es kaum möglich, denn ich könnte die übrigen Schiffsräume kaum ausreichend gegen ein Übergreifen der Seuche abschirmen. Ich würde es mir nicht zutrauen, Senor.“

      „Folglich?“

      „Folglich müßten wir die Kranken mit einigen Betreuern auf einer Insel aussetzen. Anders kann ich es mir nicht vorstellen“, sagte Tragante, obwohl es ihm schwerfiel. „Ich selbst würde mich freiwillig dazu melden, bei den armen Teufeln zu bleiben.“

      „Wir könnten die Überlebenden erst auf der Rückreise von Manila nach Malaga wieder übernehmen“, sagte der Kapitän. „Sechzig Tage würden mindestens verstreichen, vergessen Sie das nicht.“

      „Senor Capitán, dieses Risiko müßten wir eingehen.“

      Don Gaspar wandte sich dem Profos zu, der sich jetzt anschickte, näherzutreten und sich nach dem bewußtlosen Juan de Rivadeneira zu bücken.

      „Senor Gavena“, sagte Don Gaspar. „Geben Sie folgenden Befehl an den Ausguck weiter: Ich will unverzüglich unterrichtet werden, wenn eine Insel vor uns auftaucht. Wir werden sie anlaufen, und ich werde feststellen lassen, ob sie unbewohnt ist, denn das ist die Grundvoraussetzung für unser Unternehmen. Falls wir eine Insel finden, die unseren Anforderungen entspricht, werde ich nicht zögern, unsere Kranken dort mit dem nötigen Proviant und Trinkwasser versehen zu isolieren.“

      Er blickte Pedro Gavena fest in die Augen und fügte hinzu, als müsse er sich für seinen Beschluß rechtfertigen: „Anders geht es nicht, wenn wir leben wollen. Zwei Drittel der Besatzung sind noch gesund, aber falls wir so weiterreisen wie bisher, wird es früher oder später uns alle erwischen.“

      „Si, Senor“, sagte der Profos.

      „Bringen Sie jetzt de Rivadeneira ins Achterdeck, und kümmern Sie sich um ihn“, befahl der Kapitän.

      „Si, Senor Capitán“, sagten Gavena und Tragante.

      Don Gaspar richtete seinen Blick voraus und dachte daran, was werden sollte, wenn innerhalb der nächsten Tage keine Insel gesichtet wurde.

      Messerscharf zeichnete sich nur der Rand des kreisrunden Ausschnittes gegen die Helligkeit des Tages ab, undeutlich hingegen war die Kimm, jene Linie, die sich dort bildete, wo der Himmel mit der See zusammenzutreffen schien. Nur verschwommen zeigten sich auch die Umrisse des kleinen Schiffes, das – tief im Wasser liegend – an der Kimm entlangsegelte, doch das Bild war ausreichend, um einige genauere Feststellungen zuzulassen.

      „Ein Einmaster“, sagte Philip Hasard Killigrew. „Sein einziges Segel scheint ein Lateinersegel zu sein. Der Form des Rumpfes nach könnte er einer der kleinen Küstenkähne sein, wie sie vor Malakka und Siam anzutreffen sind.“

      „Ein Praho also?“ fragte Bill, der Moses.

      „Nicht unbedingt. Ich glaube, diese Art von Einmaster hat einen anderen Namen.“

      „Ja, Sir. Wir könnten ihn aber auch als Schaluppe oder als Pinasse bezeichnen, oder? Wie genau, das ist letzten Endes doch egal, nicht wahr?“

      „Eben.“ Der Seewolf nahm den Messingkieker, durch den er angestrengt spähte, etwas weiter nach rechts und konnte nun die Konturen eines zweiten Schiffes erkennen, das noch etwas weiter hinter der nördlichen Kimm lag als das erste. „Wichtig ist etwas ganz anderes, nämlich, um wie viele Segler es sich handelt. Von diesem hier kann ich nur den Mast, die beiden Segel und ganz knapp den oberen Rand der Bordwand sehen, aber er scheint mir nicht größer als der andere zu sein.“

      Bill, der mit seinem Spektiv ebenfalls Ausschau hielt, sagte: „Das kann ich nur bestätigen, Sir. Aber wo steckt der dritte?“

      Hasard zog den Kieker noch eine Idee weiter nach rechts und forschte den Horizont gründlich ab, vermochte aber kein anderes Schiff zu entdeckten. Er bewegte die Optik wieder nach links und fing noch einmal die dunklen Schattenrisse der beiden Einmaster ein. Danach schwenkte er das Rohr noch ein Stück nach links, konnte aber wieder nichts anderes erkennen als die glitzernde Einöde der See.

      „Nichts, Bill“, sagte er. „Keine Spur von einem dritten Kahn.“

      „Ich bin aber ganz sicher, vorhin, als ich meine Meldung erstattete, drei Mastspitzen gesehen zu haben.“

      „Das bezweifle ich auch nicht.“

      „Sie meinen also, daß die drei in Dwarslinie segeln, wobei der letzte so weit nördlich querab des zweiten läuft, daß seine Mastspitze für uns jetzt ganz hinter der Kimm verschwindet?“

      Hasard ließ den Kieker sinken und blickte seinen Moses an. „Ich halte es für sehr wahrscheinlich. Und wer immer sich an Bord dieser Schiffe befindet, er beobachtet uns.“

      „Glauben Sie, daß er näher heransegeln wird?“ fragte Bill. Seine Züge verhärteten sich. Deutlich war ihnen

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