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das Segeltuch, die „Dona Felipa“ fiel ab und lief vor dem Wind mit langsamer Fahrt in die Bucht. Jetzt war es die Bugdrehbasse, die sich brüllend entlud. Ihre Ladung aus gehacktem Blei prasselte zwischen die Eingeborenen, fegte den Strand leer, und auch die letzten Männer, die noch zur Verteidigung ihres Dorfs entschlossen gewesen waren, mußten einsehen, daß ihr einziges Heil in der Flucht lag.

      „Backbrassen!“ peitschte da Carrilhos Stimme. „Fallen Anker!“

      Die Galeone verlor an Fahrt. Die Fock wurde eingeholt, ein Mann warf das Besanfall los, während der schwere Stockanker ins Wasser klatschte. Minuten später lag die „Dona Felipa“ sicher in der Bucht. An Land wurde das Angst- und Wutgeheul der Papuas mit der Entfernung immer leiser.

      „Beiboote klarmachen!“ brüllte der Capitan. „Stürmt die Festung, Männer! Sie ist unser!“

      Die „Festung“ bestand aus einem Trümmerhaufen, und zu stürmen gab es nichts mehr.

      Capitan Gilberto Henrique Rosario da Carrilho war dermaleinst ein ehrlicher portugiesischer Seefahrer gewesen, ein kühner Entdecker und vorbildlicher Sohn seines Vaterlandes. In seinem Fall hatten die kühnen Entdeckungsfahrten allerdings fatale Folgen gezeitigt: je weiter sie ihn von der Zivilisation entfernten, desto klarer wurde ihm, daß es viel ungefährlicher und bequemer war, wehrlose Opfer auszuplündern, statt Festungen zu stürmen. Tropenhitze, Kokosnuß-Schnaps und lasches Leben hatten seine Mannschaft in einen verlotterten Haufen verwandelt. Und ihn selbst in einen verlotterten Kapitän, der sich nur noch zu Taten aufraffte, wenn leichte Beute winkte.

      Die Vorräte eines Eingeborenen-Dorfes, mittels schwerer Schiffsgeschütze erobert, waren leichte Beute.

      Da Carrilho sah zu, wie die Beiboote ins Wasser klatschten und seine Leute an Land pullten. Der Strand war leer, im undurchdringlichen Dickicht rührte sich nichts mehr. Das Papua-Dorf lag an einer der wenigen menschlicher Besiedlung günstigen Stellen, einer trockenen Erhebung, die sich keilförmig aus dem Landinneren durch die Sümpfe bis zum Meer hinzog. Die Eingeborenen ernährten sich von Fischfang und Jagd, sie brauchten die Nähe der See. Jahrhundertelang hatten sie hier friedlich gelebt. Erst in jüngster Zeit zeigte der Standort ihres Dorfes Nachteile: es war schutzlos jedem Piratengesindel ausgeliefert. Nur ihre Boote hatten die Papuas sicher versteckt, außerhalb des Schußfeldes der „Dona Felipa“. Aber primitive Eingeborenen-Boote waren ohnehin nicht die Art von Beute, auf die es da Carrilhos Schnapphähne und Halsabschneider abgesehen hatten.

      Wie eine Horde Vandalen fielen sie in dem zerstörten Dorf ein.

      Sechs Mann richteten ihre Musketen auf den Waldrand und hielten Wache. Die anderen durchstöberten die Trümmer, zerstörten vollends, was noch heilgeblieben war, und rafften alles zusammen, was sie irgend gebrauchen konnten. Achtlos stiegen sie über Tote und Sterbende hinweg. Der Überfall hatte Dutzende von Opfern gekostet. Für diejenigen, die nicht von ihren Stammesgenossen mitgenommen worden waren, gab es keinen Pardon. Die Plünderer wußten zu genau, daß der Haß auch einen Schwerverwundeten befähigen konnte, seinem Todfeind noch mit letzter Kraft einen Speer in den Leib zu jagen.

      Lästerliche Flüche ertönten, als die magere Ausbeute in die Boote verfrachtet wurde.

      „Hol der Teufel diese armseligen Schlucker!“ schimpfte der knebelbärtige Steuermann der „Dona Felipa“ – ungerührt von der Tatsache, daß die Papuas bestimmt nicht in Armut lebten, um räubernde Piraten zu ärgern. „Drecksgegend! Los, anzünden den ganzen Plunder!“

      Unter Gejohle setzten die Kerle auch noch die Trümmer in Brand.

      Flammen züngelten, Rauchfahnen stiegen in den blauen Himmel. Binnen Minuten verwandelte sich der Platz am Strand in eine lodernde Hölle. Die Piraten in ihren Booten grinsten wild und schrien triumphierend durcheinander, als hätten sie tatsächlich eine Festung gestürmt und Heldentaten vollbracht.

      Tief im Schatten des Mangroven-Dickichts kauerten nackte braunhäutige Gestalten und starrten mit haßglühenden Augen aufs Meer hinaus.

      „Scheiße!“ krähte jemand laut und deutlich. „Scheiße! Chinese, du Hackfleisch!“

      „Hihi!“ kicherte der kleine Philip und blickte dem roten Ara-Papagei Sir John entgegen, der im Gleitflug aus der schmalen Schlucht segelte, in der vorhin Smoky verschwunden war.

      „Du schlecht erzogen, Sir John!“ erklärte der kleine Hasard ernsthaft.

      Der Vogel ließ sich auf einem Zweig nieder, an dem blaue Blütendolden hingen.

      „Was willst du Stint?“ kreischte er.

      Und dann, in einem völlig anderen, leicht singenden Tonfall: „Umdrehen! Engländer! Hilo Palmeiro! Hilo Palmeiro …“

      Die Zwillinge wechselten einen Blick.

      „Vogel verrückt“, meinte Hasard junior.

      „Hmm“, äußerte sich Philip junior und legte den Zeigefinger an die Nase. „Klingt aber nach einer fremden Stimme, eh? Und woher kennt der Vogel den Namen Hilo Pal-Paldingsda?“

      „Palmeiro!“ krähte Sir John. „Hilo Palmeiro Lochstickerei!“

      Hasard runzelte die Stirn. „Was ist denn das – Lochstickerei?“

      „Weiß ich nicht. Aber Loch ist nie gut. Und Palmeiro klingt spanisch.“

      „Da hast du recht, beim Scheitan“, sagte Hasard.

      Die Zwillinge, bis zu ihrem siebenten Lebensjahr im Orient aufgewachsen, verwendeten zwar auch untereinander die englische Sprache, aber der Scheitan blieb nun mal der Scheitan und war dem Teufel, Satan, Beelzebub und Konsorten natürlich haushoch überlegen.

      „Schauen wir mal nach?“ fragte Philip.

      „Ja. Aber leise“, stimmte Hasard zu.

      Auf Zehenspitzen setzten sie sich in Bewegung.

      Für zwei schlanke, biegsame Bürschchen, die zudem noch eine akrobatische Ausbildung hinter sich hatten, war es nicht schwer, sich lautlos durch das Dickicht zu schlängeln. Minuten später erreichten sie steiniges Gelände, das nur noch dem wilden Gras Nahrung bot. Genau wie vorher Smoky hörten sie das Plätschern und Murmeln der Quelle. Als sie sich vorsichtig hinter einem Felsblock aufrichteten, begannen sie zu begreifen, wieso von „Scheiße“, „Hackfleisch“ und einem gewissen Hilo Palmeiro die Rede gewesen war.

      Der Träger dieses Namens fuchtelte dem Decksältesten der „Isabella“ mit einer schweren Steinschloß-Pistole vor der Nase herum.

      Smoky hatte die Stirn gefurcht, das Kinn vorgereckt, die Hände geballt und die Augen zu schmalen, gefährlich funkelnden Schlitzen zusammengekniffen. Die Zwillinge fanden, daß er furchterregend genug aussah, um ein halbes Dutzend Männer vom Kaliber Hilo Palmeiros in die Flucht zu jagen. Der wirkte denn auch ziemlich fahl – etwa wie ein Kurzsichtiger, der eine Hauskatze treten wollte und versehentlich einen Tiger erwischte.

      „Schön ruhig, du Chinese!“ fauchte er. „Wen ich mit Lochstickerei verziere, der steht nämlich bestimmt nicht wieder auf.“

      „Versuch’s doch, du Kanalratte“, knirschte Smoky. „Ein Schuß, und du hast die ganze Crew auf dem Hals. Die werden dich kielholen, kalfatern, vierteilen und an die Rahnock knüpfen – in dieser Reihenfolge.“

      Der Unbekannte lachte böse.

      Philip und Hasard wechselten einen weiteren Blick. Die Sache mit dem Chinesen und der Lochstickerei kapierten sie zwar immer noch nicht, aber sonst war die Situation so klar wie der Himmel nach einem handfesten Sturm.

      „Hauen wir ihm was auf die Nase, oder schmeißen wir ihm was an die Rübe?“ fragte Hasard flüsternd.

      „An die Rübe“, entschied Philip. „Sonst macht er doch noch Lochstikkerei.“

      Dabei tastete er bereits nach einem handlichen Stein, nahm kurz und konzentriert Maß und schleuderte das Geschoß.

      Ein perfekter Wurf.

      Locker aus dem Handgelenk, nicht

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