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zu bedeuten hatte: vielleicht ein Ablenkungsmanöver, ganz sicher eine Warnung. Instinktiv griffen die Männer zu den Waffen und spähten aus zusammengekniffenen Augen zu den Klippen hinauf. Sie ahnten, daß gleich etwas passieren würde, aber als es geschah, hatten sie nicht die geringste Chance, etwas dagegen zu unternehmen.

      Jäh wurde es über ihnen lebendig.

      „Keine Dummheiten!“ brüllte jemand im Gewirr der Felsen auf der Hochfläche. „Laßt die Finger von den Waffen! Wenn ihr in der Gegend herumballert, durchlöchert ihr eure eigenen Leute, Freunde!“

      Ed Carberry holte tief Luft. Seine Augen waren dunkel vor Wut, sein zernarbtes Gesicht hatte sich verkantet.

      „Der Teufel ist dein Freund!“ brüllte er zurück. „Komm her, du Hurensohn, dann zeig ich dir, wohin der Wind bläst …“

      Der Profos stockte abrupt.

      Hoch oben über der Felsenkante tauchte eine Gestalt auf, eine hochgewachsene, breitschultrige Gestalt mit flatterndem schwarzen Haar und eisblauen Augen. Hasard, dachte Carberry erleichtert – und in der nächsten Sekunde wurde ihm bewußt, daß zur Erleichterung nicht der geringste Anlaß bestand.

      Philip Hasard Killigrew war gefesselt und geknebelt.

      Selbst die Füße hatten sie ihm zusammengebunden, so daß er sich nur mit winzigen Schritten vorwärtsbewegen konnte. Von dem Kerl, der hinter ihm stand und ihn an den gefesselten Armen festhielt, war nur ein Schatten zu sehen.

      Carberry erkannte graues Haar, eine große, hagere Gestalt – und die Pistole, die sich seitlich gegen Hasards Hals preßte.

      „Ich bin Jean Morro!“ schrie der Unbekannte. „Vielleicht hat euch der kahlköpfige Halunke dort unten genugüber mich erzählt, um euch klarzumachen, daß ich nicht scherze. Ich knalle diesen Bastard hier ab, wenn ihr Dummheiten versucht. Und er ist nicht der einzige – wir haben auch die fünf anderen, den verdammten Nigger und dieses großschnäuzige Bürschchen! Also was ist? Wollt ihr eure Leute über die Klinge springen lassen?“

      Ed Carberry war weiß vor ohnmächtiger Wut.

      „Du dreckige Bilgenratte!“ Keuchte er. „Wenn du ihnen auch nur ein Haar krümmst …“

      „Wir werden ihnen mehr als ein Haar krümmen, wenn ihr nicht spurt! Also los, werft eure Waffen weg! Alle schön auf einen Haufen! Und laßt euch nur nicht mit versteckten Messern oder so etwas erwischen! Ein einziger Trick, und wir schmeißen euch die erste Leiche vor die Füße!“

      Für einen Moment blieb es still.

      Auch links und rechts von Hasard wurden jetzt gefesselte, geknebelte Männer an den Klippenrand geschoben: Ferris Tucker, Smoky, dem Blut über das Gesicht lief, Matt Davies, Gary Andrews und Pete Ballie. Der Profos ballte die Hände, bis die Knöchel weiß und spitz hervortraten. Er starrte die anderen an. Luke Morgan, der schlanke, flinke Bursche mit dem jähzornigen Temperament, zerbiß sich fast die Unterlippe. Blacky, Bob Grey und Sam Roskill waren blaß geworden, und Jeff Bowie zerrte ratlos an seiner Hakenprothese.

      „Wir haben keine Wahl, nicht wahr?“ fragte er leise.

      „Stimmt“, knirschte der Profos. „O verdammt, ich …“

      „Wird’s bald?“ peitschte die Stimme des Kerl mit dem Namen Jean Morro dazwischen. „Waffen weg, habe ich gesagt! Oder wollt ihr erst Blut sehen?“

      „Du Bastard“, flüsterte der eiserne Profos mit bleichen Lippen. Und in seinen Augen stand kalter Mord, als er langsam Batutis Morgenstern von seinem Gürtel löste.

      Die schwere Waffe klirrte gegen einen Stein und rollte ein Stück über den Sand der Brandungsplatte. Säbel, Pistolen und Musketen flogen hinterher, ein paar Messer und Handspaken. Sam Roscill bückte sich und zog einen schmalen Dolch aus dem Stiefel. Bob Grey legte gleich drei von den Spezial-Wurfmessern ab, mit denen er wie kein zweiter umzugehen verstand. Mit einer wilden Bewegung warf er sein blondes Haar zurück und starrte zum Klippenrand hoch, wo sich das gespenstische Bild immer noch nicht verändert hatte.

      „Wunderbar!“ lobte der Grauhaarige hinter Hasard spöttisch. „Und jetzt klettert die Klippen hinauf. Schön einer nach dem anderen. Zuerst die Mißgeburt mit dem Haken.“

      „Mit meinem Haken reiße ich dir demnächst den Arsch auf“, murmelte Jeff Bowie erbittert, während er sich in Bewegung setzte.

      Das Kliff hinaufzuklettern, war ziemlich einfach, da es genug Kanten und Vorsprünge gab. Binnen weniger Minuten erreichte Jeff Bowie die Hochfläche. Einer der Piraten rammte ihm die Muskete in den Rükken, stieß ihn ein paar Schritte von der Felsenkante weg – und ein zweiter Mann schlug dem Opfer ohne viel Federlesens einen Holzknüppel über den Schädel.

      Bob Grey war als nächster an der Reihe.

      Auch er erhielt einen Schlag auf den Schädel – ganz offensichtlich hatten die Kerle da oben einen beachtlichen Respekt vor der Kampfkraft der Seewölfe und zogen es vor, auf Nummer sicher zu gehen.

      Sam Roskill, der ehemalige Karibik-Pirat, mußte als nächster die Klippen hinaufklettern, dann folgte ihm der Profos – fauchend vor Wut, weil der Anführer seiner Widersacher ihn als „häßlichen, narbengesichtigen Bullen“ tituliert hatte.

      Ed Carberry war zu wütend, um sich so einfach einkassieren zu lassen.

      Oben am Klippenrand gab es ein kurzes, heftiges Gerangel. Der Profos entriß dem Kerl den Knüppel und schlug ihn das Holz um die Ohren, beförderte einen zweiten Mann fast über die Kante, aber das war auch schon alles, was er erreichte. Sie fielen zu fünft über ihn her, und er ging zu Boden.

      Luke Morgan beobachtete die Szene voll hilfloser Wut und wartete auf das Zeichen, ebenfalls nach oben zu klettern.

      Auch er brannte darauf, wenigstens einem der Kerle ein paar Zähne auszuschlagen oder das Nasenbein zu brechen. Aber mit ihm hatte der Grauhaarige offenbar etwas anderes vor.

      „Hör zu, du halbe Portion!“ rief er. „Du wirst …“

      „Komm herunter!“ schrie Luke außer sich. „Dann zeige ich dir, wer eine halbe Portion ist, du verlauster Mistbock!“

      „Halt dein Maul, bevor wir es dir stopfen! Wir brauchen euer Schiff. Du setzt dich jetzt in das Boot und …“

      „Nie!“ knirschte Luke Morgan.

      „Nicht? Bist du sicher? Soll ich dem schwarzhaarigen Bastard hier eine Kugel in den Schädel jagen, damit du deine Meinung änderst?“

      „Wenn du ihm ein Haar krümmst …“

      „Das hatten wir schon“, sagte der Grauhaarige gelassen. „Und jetzt hör zu und quatsch nicht dauernd dazwischen, wenn du willst, daß deine Leute heilbleiben! Du pullst mit dem Boot zurück zu eurem Schiff. Richte den anderen aus, daß sie genau eine halbe Stunde haben, um uns das Schiff zu übergeben. Wir haben den Verrückten dort aufgeknüpft, damit ihr seht, daß wir es ernst meinen. In einer halben Stunde hängen wir den ersten von unseren Gefangenen daneben. Und dann alle Viertelstunde einen anderen. Solange, bis ihr weichwerdet. Oder bis keiner mehr am Leben ist, falls ihr euch stur stellt.“

      Luke Morgan schwieg.

      Es gab nichts mehr zu sagen. Jean Morro, der Südsee-Pirat, meinte jedes Wort seiner Drohung ernst, und es gab nicht den leisesten Zweifel daran, daß er alle Trümpfe in der Hand hielt.

      Die „Isabella“ lag am Westzipfel der Insel auf Reede.

      Eine weit vorspringende Felsennadel verdeckte die Sicht auf die Steilküste auf der Nordseite, aber dafür waren Riff und Strand einigermaßen gut zu überblicken.

      Bill hockte im Großmars und schwenkte immer wieder mit dem Spektiv die Insel ab, in der vergeblichen Hoffnung, etwas zu entdekken.

      Der Schimpanse Arwenack war in die höchsten Toppen geklettert, um nach seinem Liebling Dan O’Flynn Ausschau zu halten. Von dort aus beschimpfte er keckernd den Papagei Sir John, der sich lautstark revanchierte, da er wegen Carberrys Abwesenheit ebenfalls beleidigt

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