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seelische Stütze. »Wir können froh sein, dass du so viel Arbeit hast. Andere müssen Hunger leiden!«, hatte sie mich bestärkt, als ich in schwachen Momenten darüber grübelte, dass mir die ganze Rennerei über den Kopf wüchse: Von den Baustellen zum Amt, vom Amt zu den Baustellen, von dort zum Atelier. Vom Atelier zum Amt und von dort wieder zu den Baustellen und zurück und dann wieder von vorne. Ich selbst hatte nie Hunger leiden müssen. Schon als kleiner Bub hatte Vater mich an die Arbeit gestellt, und später in der Lehre mich angetrieben, niemals weniger oder schlechter zu arbeiten als die anderen. Ich sollte stets nach dem Fleißigsten schauen und versuchen, diesen zu übertreffen. Wenn ein Lehrling im vierten Jahr zwölf Steine trug, sollte ich, gerademal im ersten Jahr, sechzehn tragen, wenn einer einen Kübel Speis vermauerte, mussten es bei mir anderthalb, besser zwei sein. »Du bist des Meisters Sohn, das schafft Neid von Haus aus«, hatte er mir eingebläut, »guck, dass dir niemals einer am Kittel flicken kann. Sei rege und tu immer mehr, als das, was man dir anschafft!« Daran hatte ich mich alle Tage gehalten. Und der Erfolg gab mir Recht. Ich erreichte es, mit Verstand, Disziplin und nicht zuletzt mit meiner bloßen Hände Arbeit ein wohlhabender Mann zu werden, den man manierlich auf der Straße grüßte. Was jedoch nützte mir Geld, was Ansehen, wenn der Herrgott schon wieder drohte, mir meine Liebe zu nehmen – mein Eheweib und Mutter von fünf Kindern? Was hatte ich begangen, dass er mich erneut zu züchtigen suchte? Kümmerte ich mich zu wenig um Rosina und die Kinder? War ich ein schlechter Ehemann und Vater? Suchte ich fleischliche Befriedigung im Frauenhaus? Ging ich zu wenig in die Kirche? War ich gar ein Sünder? Nein und nochmals nein! Beileibe nichts von alledem! Niemals! Ich arbeitete viel, sehr viel! Über die Maßen und immer bis tief in die Nacht, manchmal sogar bis zum Morgengrauen. Doch ich wusste: Arbeit ist ein Geschenk Gottes! Hatten wir doch lange schwere Zeiten durchzustehen gehabt, da Handwerker die Obrigkeit um Arbeit ersuchen mussten. Das war jetzt nicht mehr so. Unser Augsburg strebte auf. Alle Welt sollte von uns erfahren. Wir hatten die vermögendsten Kaufleute und Geschlechter bei uns versammelt: die Fugger, Welser, Imhof, Paler, Rehlinger, … Sie waren es, die uns Aufträge gaben und Wohlstand brachten. So wollte ich die Arbeit stets in Ehren halten und überdies ein Gutmensch sein.

      »… ist es nicht so, Meister Holl? … Meister Holl! Ist es nicht so?«

      »Äh? Was?«

      »Ihr nickt die ganze Zeit und es kommt kein Wort der Gegenrede. Also, wie lautet nun Euer Vorschlag?«

      »Genickt? Habe ich …? Mein Vorschlag? Ja, … mein Vorschlag! Natürlich …«

      »Eure Entwürfe liegen doch schon seit Jahren bei Euch im Atelier. Immer wieder habt Ihr mich damit bedrängt und jetzt, wo die Zeit gekommen ist, druckst Ihr herum? So kenne ich Euch gar nicht.«

      »Verzeiht, ich war in Gedanken.«

      »Ah? Ihr hört mir also nicht zu?«

      »Meinem Weib ergeht es nicht gut.«

      »Wie bitte? Der Große Rat zählt, Euch eingeschlossen, dreihundert Mitglieder: Hundertvierzig Gemeine, achtzig Kaufleute, sechsunddreißig Mehrer und vierundvierzig Geschlechter. Glaubt Ihr, dass nur ein einziger darunter wäre, der mir nicht mit ganzem Ohr zuhörte, nur weil es seinem Weib ›nicht gut‹ erginge?«

      Es trat ein, was ich zu vermeiden suchte; ich hatte Augsburgs obersten Amtmann in seiner Ehre gekränkt. Das war bitter. Doch würde ich nicht zu Kreuze kriechen. Remboldt war wohl ein Herr des höchsten Dienstes und stand über mir, doch ich war nicht weniger ein Mann, der um seine eigenen Fähigkeiten und Ämter wusste. Freilich sprachen zwei Dinge gegen mich: Ich gehörte den oft nicht nur vom römischen Klerus ungeliebten Protestanten an und ich war nur von einfachem bürgerlichen Stand. Remboldt wusste das, doch niemals hätte er es ins Feld geführt. Er war nicht der klerikalen Obrigkeit ein Diener, sondern der weltlichen und ebenfalls nicht von Adel.

      »Das mag angehen, werter Remboldt. In diesem Fall ist es aber das Weib des Stadtwerkmeisters. Es gibt nur einen und der bin ich! Vor zwölf Jahren von den drei Baumeistern Wolfgang Paler, Constantin Imhof und Johann Bartholomäus Welser gewählt, und damit aufgestiegen zum Oberherrn des bedeutendsten Ressorts des reichsstädtischen Baumeisteramtes. Ich bin de facto für das komplette reichsstädtische Bauwesen verantwortlich!«

      Ich erzählte in einem fort, so, wie Remboldt es für gewöhnlich tat, und tischte ihm die große Palette meiner gängigen Aufgaben auf, angefangen vom Begutachten von Gebäuden mit Anordnung des Abrisses oder der Erhaltung, über die Planung neuer Projekte mit Vermessen von Grundstücken, dem Erstellen von Material- und Handwerkerlisten und der Kostenvoranschläge, zusätzlich dem Anfertigen von Aufrissen und Visierungen und der Konstruktion von Baugerüsten, Flaschenzügen und Lastkränen, letztlich meine Verpflichtungen zum bestmöglichen Ankauf und zur gewissenhaften Bewertung aller Materialien wie Steine, Sand, Kalk, Eisen, Holz zu deren sachgerechte Lagerung, gründliche Kontrolle und Verwaltung.

      »Ich renne Sommer wie Winter auf den Baustellen umher und bin mir nicht zu schade, mitanzupacken. Ich sorge dafür, dass Augsburg mit jedem Bau, den ich vollende, ein neues Meisterwerk erhält und sein reichsstädtisches Antlitz mehr und mehr verschönert. Ich arbeite achtzehn Stunden am Tag und ich …«

      »Selbst wenn ich das Doppelte bekäme … Ich habe nur dieses eine Weib, das todkrank im Bett liegt und, wenn es sich zum Schlechten wendet, sterben wird. Dann steh ich wieder allein da, und diesmal mit fünf Kindern. So seht’s mir nach, wenn ich abwesend war. Fasst in einem Satz zusammen, um was es geht. Ich werde sofort im Bilde sein.«

      Remboldt hob die Brauen, schwieg einen Moment, trank aus dem Steinkrug und sah mich an.

      »Also darum keinen Appetit … Holl, ich bin kein Unmensch, lasst Euch das gesagt sein. Als frommer Katholik weiß ich das heilige Sakrament der Ehe zu würdigen und auch die Gunst eines holden Weibes. Zudem besteht ein Unterschied zwischen ›nicht gut ergehen‹ und ›im Sterben liegen‹. Ihr hättet mir davon erzählen können.«

      »Ich wollte Euch nicht damit behelligen.«

      »Ihr müsstet mich gut genug kennen, um zu wissen, wann bei mir das Maß in punkto Behelligung erreicht ist. Ein paar Worte der Aufklärung und die Bitte um Verständnis hätten genügt. Also erzählt.«

      Ich fasste mich kurz. Remboldt nickte bestätigend; für einen Moment glaubte ich sogar Anteilnahme in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Als ich das Problem mit der Haushilfe ansprach, bekannte er, wie schwer es sei, eine nützliche und zuverlässige zu bekommen. Es helfe ja nichts, gab er mir zu bedenken, irgendeine anzustellen. Es müsse eine sein, die mit kleinen und großen Kindern umzugehen wisse, die Besen und Feudel beherzt in die Hand nähme, den Ofen schüre, günstig und gut Essen kaufe und schmackhaft zubereite.

      »Sie muss das Plätteisen beherrschen«, pflichtete ich ihm bei, »und ebenso den Umgang mit Nadel und Faden. Kinder zerreißen ständig was, da springt man nicht immer zur Näherin.«

      »Ich sag’s Euch, Holl, entweder taugen sie nichts oder sie stehlen. Die meisten schleppen Krankheiten an.«

      »Ihr macht mir Mut.«

      »So ist es aber. Bei mir waren fünf im Haus, bis die richtige kam.«

      »Dann hab ich noch drei gut – gleich am Tag der Geburt habe ich zwei in der Unterstadt aufgesucht, die mir die Amme empfohlen hat. Von denen hab ich mich verabschiedet, noch ehe drei Worte gesprochen waren. Die erste war noch magerer als mein armes Weib, die zweite war übersät mit Pusteln.«

      »Ein

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