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und verzog die Lippen zu einem einzigen Strich. Remboldt stand vor mir; ein Riese mit Glutschlieren in den kürbisgroßen Augen und einem geifernden Maul, die Zähne gefletscht – ganz wie früher der Vater, der mich als kleiner Bub auf der Baustelle zusammengestaucht hatte. Wir sahen uns an. Zwei Blicke – ein eisiger, ein verstörter – schossen aufeinander zu, trafen sich mitten im Raum, verschlangen einander und lösten sich auf. Schweigen, durchwoben vom Prasseln und Knacken des Ofenfeuers, lag wie dichter Tüll über uns. Das Atmen fiel mir schwer.

      »Hahaha! Zu köstlich! Einfach zu köstlich! Holl, Ihr solltet Euch sehen!« Remboldt klatschte sich auf die Schenkel, seine Augen blitzten. »Euer Anblick … Mir fehlen die Worte!«

      Augenblicklich richtete ich mich auf.

      »Ich verstehe nicht.«

      »Holl! Ich hab’s Euch heimgezahlt! Und nicht schlecht, wie es scheint. Das kommt davon, wenn man den guten alten Remboldt narrt.«

      Er ging auf mich zu, räusperte sich und nahm Haltung an. »Verzeiht mir die kleine Komödie, aber es musste sein. Ich hoffe, Ihr gönnt mir ebenfalls die Revanche?«

      Ich nickte, noch immer betreten.

      In bester Landsknechtsmanier klopfte Remboldt mir auf die Schulter. »Jetzt sind wir quitt, Holl. Reicht mir die Hand!«

      Ich stand auf und nahm die seinige entgegen. Beherzt griff er zu. »Und jetzt mal ohne Schmarrn: Herzlichen Glückwunsch! Euer Entwurf ist perfekt! Damit krieg ich alle im Rat.«

      »Ich habe noch einen zweiten gemacht, vom Ger…«

      »Nein, Holl, lasst ab! Ein zweiter tut nicht Not. Ihr habt Eure Arbeit getan. Geht nach Hause und ruht Euch aus. Jetzt bin ich an der Reihe. Und ich versprech’s Euch: In drei Tagen habt Ihr den Zuschlag fürs neue Rathaus. Mein Ehrenwort!«

      Ich bedankte mich, rollte Skizzen und Gerüstplan säuberlich zusammen, steckte sie zurück in den Köcher und schwang ihn um die Schulter.

      Remboldt brachte mich an die Tür und hob die Hand zum Abschied. »In drei Tagen, Holl! Und grüßt mir Eure Frau.«

      Als ich den ersten Schritt auf die Gasse gesetzt hatte, rief er mir hinterher: »Ach, Holl! Augsburgs Stadtgöttin heißt Cisa, nicht Circe!«

      Ich hob die Brauen. »Hatte ich das nicht gesagt?«

      Remboldt schüttelte den Kopf und verschwand im Portal.

      Den Blick starr aufs eingeschneite Pflaster gerichtet, schritt ich in Gedanken an Remboldts groteske Inszenierung nach Hause. Ich hatte ihn ein wenig gefoppt, schon, eine harmlose Schelmerei; aber er hatte es mir doppelt, ja dreifach retourniert, der Hund, und ich war ihm wie ein Lehrbub auf den Leim gegangen, Wie hochnotpeinlich. Vielleicht hatte Vater ja doch Recht gehabt? Ich hatte, so verblüfft wie ich war, versäumt, Remboldt zu sagen, dass das unter uns zu bleiben hatte. Jetzt konnte ich nur hoffen, dass er selbst so viel Anstand bewahrte, es nicht beim Ratstreffen zum Besten zu geben. Die Chancen standen schlecht; Remboldt wollte stets brillieren, da war es ihm im Grunde einerlei, wer dafür herhalten musste. Und hatte ich tatsächlich Circe gesagt? Das fiel mir schwer zu glauben, ich konnte doch wohl unsere Stadtgöttin und die griechische Zauberin auseinanderhalten. Egal, jetzt zählte nur eines: Remboldt hatte meine Lösung akzeptiert, mehr noch, er war begeistert von ihr! Die Arbeit hatte sich gelohnt! Eine Nacht! Nur eine gottgefällige Nacht konzentrierter Arbeit, gebettet in Fleiß und Ausdauer, hatte ich gebraucht für einen entscheidenden Schritt: Das neue Rathaus! In drei Tagen schon würde ich den Auftrag erteilt bekommen und endlich den lang ersehnten, größten und schönsten Bau meiner Karriere schaffen. Das musste ich unverzüglich Rosina erzählen!

      Von Euphorie getragen, eilte ich die Treppe nach oben zur Wohnstube. Ich durfte Rosina keinen Moment länger warten lassen. Die freudige Nachricht würde ihr mithelfen, einen Teil der verlorenen Kräfte zurückzugewinnen.

      Adelgund wies mich an der Zimmertür zum Wochenbett zurück. »Geht nicht hinein. Eure Frau ist müde.«

      »Aber ich muss ihr Wichtiges erzählen.«

      »Nein, Meister Holl. Ich bin froh, dass sie ihren Teller Suppe gegessen – und behalten! – hat. Sie soll jetzt schlafen.«

      »Dann schläft sie eben ein paar Minuten später.«

      »Habt Ihr schon vergessen, was Doktor Häberlin gesagt hat? Ruhe ist die oberste Pflicht! Erzählt es ihr morgen oder besser erst in ein paar Tagen.«

      »Dann ist es keine Neuigkeit mehr.«

      »Für Euch nicht, aber für jeden anderen, der nicht davon weiß, schon. Es gibt sogar ein Wort dafür … wie heißt es nur? Der Doktor spricht immer davon.«

      »Ich weiß nicht, was du meinst.«

      »Na, gerade hab ich es gesagt, für Euch ist es jetzt ganz neu und für Eure Frau erst, wenn Ihr es ihr erzählt. Es ist also beides neu, nur jedes Mal anders.«

      »Ach so, du meinst ›relativ‹.«

      »Ja, rellatief, so sagt der Doktor immer. ›Alles ist rellatief.‹«

      Ich fühlte, wie die Freude in Enttäuschung umschlug; wem, wenn nicht meinem holden Eheweib sollte ich die gute Nachricht antragen? Sie war immer die erste, der ich erzählte, wenn sich etwas Neues ergeben hatte. Aber ich verstand auch Adelgund, die gute Seele. Wie war ich froh, sie im Haus zu haben. Wenn sie nicht hier wäre … Gott im Himmel … nicht auszudenken.

      »Meine Zeit hier geht zu Ende, Meister Holl. Habt Ihr schon eine Haushilfe gefunden?«

      »Nein, leider nicht. Deine Empfehlungen entpuppten sich als Reinfall. Ich muss weitersuchen. Kannst du nicht noch ein paar Tage bleiben?«

      »Ich glaube nicht. Doktor Häberlin braucht mich.«

      Ich senkte den Kopf. Ich hatte die Tage verstreichen lassen, ohne mich auf die Suche nach einem Kindermädchen zu begeben. Stattdessen hatte ich von morgens bis abends meine Zeit im Atelier, im Amt und auf den Baustellen zugebracht.

      »Kopf hoch, Meister Holl. Drei Tage bin ich noch hier. Bis dahin könnt Ihr eine finden.«

      Ich nickte und dachte an Remboldts Äußerungen über die schlechten Chancen. Doch gänzlich Unrecht hatte Adelgund nicht.

      Als Adelgund aus dem Haus war – sie musste zum Eiermarkt –, ging ich zur Wochenstube. Ich öffnete eine Handbreit die Tür, schaute durch den Spalt und sah Rosina schlafen. Ich schlich mich ins Zimmer, setzte mich an ihr Bett und betrachtete schweigend ihr Gesicht. Es war etwas Farbe in ihre Wangen zurückgekehrt, und das Grau um die Augen würde wohl auch bald verschwinden. Ich fuhr mit der Hand unter die Decke und hielt die ihrige. Sie fühlte sich schon viel wärmer an. Das machte mich glücklich.

      3

      Zum elften Mal überpinselte Matthias den Vorhang des Freskos – eine Replik Raffaello Santis Sixtinischer Madonna –, das er auf die Westwand seines Ateliers übertragen hatte. Nur diese Wand war für das Kunstwerk der geeignete Ort, selbst wenn er dafür den

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