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des Weberhaus’ hatte er mir das Heft entrissen und es Matthias in die Hand gespielt. ›Kager, Ihr seid womöglich der größte Künstler, den Augsburg zu Zeit aufzubieten vermag …‹, blabla. Nichts als Bauchpinselei. Matthias’ Fresken, so meisterhaft sie sein mochten, interessierten Garb einen Dreck. Er veranstaltete dieses Szenario allein, um mich vor den anderen ein wenig in den Staub zu drücken – seit der Venedigreise vor vierzehn Jahren waren wir, gelinde gesprochen, einander nicht gut Freund. Wir standen lediglich noch in Geschäftsbeziehung; dass diese irgendwann ein Ende haben würde, war abzusehen.

      »Die Westfassade zeigt die vier Erdteile und das Feuerland, fünf Statuen mit Weberwerkzeugen und die fünf Tätigkeiten des Weberhandwerks. Die Schildkröte symbolisiert die Häuslichkeit der Weber. Und der Fackelträger steht als Allegorie für deren Fleiß bei Tag und Nacht.«

      Ich hatte es geahnt. Matthias konnte nicht umhin, doch noch zwei Erklärungen beizufügen, obwohl Garb sein Desinteresse gegenüber der hohen Kunst der Symbolik unmissverständlich geäußert hatte.

      Gewiss, Matthias’ Malerei war kunstvoll und zeugte von Gabe. Aber was war mit mir? Was war mit meiner Kunst? Was brauchte es alles, um Häuser, Türme, ja Burgen und Kirchen zu bauen? Nicht nur zu zeichnen? Angefangen vom Grundriss bis zum Hochmauern der Wände bedurfte es großen Wissens, großen Verstandes und großer Geschicklichkeit. Es schien jedoch, dass Auge und Herz des gemeinen Mannes, einerlei welchem Stande er angehörte, gemalten, das hieß, mit bloßer Farbe aufgetragenen Figurenszenen eher angetan sein mochten, als von dem Werk, das ihre Existenz erst ermöglichte: die bloße Architektur dahinter. Das Wahre wurde verkannt, das Lob flog dem Gefälschten zu, der Betrachter zeigte sich fasziniert von der dahingepinselten Illusion der Dreidimensionalität, statt die wahrhaftige, in Lot und Waage gemauerte, zu honorieren; ein Umstand, der mir, wie wohl jedem anderen nachdenklichen Kopf, ein Schütteln abverlangte.

      »Meister Holl!«, tönte eine helle Stimme vom Perlachplatz herüber, »Meister Holl!«

      Ein Junge kam in den Bau gehetzt. Der Atem stieß mit Dampf hervor, die Wangen feuerrot.

      »Hier hinten!«

      »Eure Frau! Das Kind!«

      »Na endlich! Was ist es? Ein Bub? Ein Mädel?«

      »Weiß nicht. Ihr sollt kommen!«

      »Ich kann hier jetzt nicht weg! Wir haben wichtige Dinge …«

      »Aber Ihr müsst! Eurer Frau geht es schlecht!«

      Garb platzte hervor: »Ich weiß von keinem Weib, dem es bei der Niederkunft gut ginge.«

      Halt doch einmal nur dein blödes Maul, Garb, war mir auf der Zunge gelegen. Ich eilte zum Ausgang, der Junge hintendrein. Beim Hinausgehen hörte ich Garb noch spotten: »Seht nur, wie der Holl rennen kann.« Ich hielt abrupt an, um sogleich weiterzumarschieren – jetzt war nicht die Zeit für eine Fehde.

      »Was ist los daheim?«, fragte ich den Jungen, während wir übers zugeschneite Pflaster den Hinteren Perlachberg hinunterschlitterten.

      »Der Arzt ist da und sie haben was vom Herrn Pfarrer geredet!«

      Wir rannten durch den Schnee die Sterngasse entlang, einmal rutschte der Bub aus, einmal ich, gerieten an den Vorderen Lech und waren in wenigen Minuten an meiner Wohnung in der Bäckergasse. Am Antritt zum Treppenhaus gab ich dem Jungen einen viertel Kreuzer in die Hand, klopfte den Schnee von Mantel und Hosenboden, zerrte hastig die tropfnassen Schuhe von den Füßen und stieg – zwei Stufen auf einmal nehmend – nach oben. Flüchtig bekreuzigte ich mich vorm Kruzifix über dem Türstock und trat in die Wochenstube. Hitze und der Geruch von Kreuzkümmel und Myrrhe waberten durch den dunklen Raum, schlugen mir ins Gesicht und machten mich schwanken. Ich fand Halt am Bettpfosten.

      Gottlob, das Kind lag bereits gewickelt an Rosinas Herz. Adelgund und Doktor Häberlin standen bei ihr. Der Pfarrer war nicht zugegen. Ich atmete auf und schloss kurz die Augen.

      »Sie schläft. Tief und fest, Meister Holl. Geht zu ihr, das wird sie spüren.«

      Doktor Häberlin wies auf den Stuhl am Bett. Ich setzte mich neben Rosina und nahm ihre Hand. Kalt wie die meinige war sie, obwohl Rosina in mehrere Laken gehüllt war. Still saß ich neben ihr und sah sie an.

      »Meister Holl.«

      Die Schwangerschaft hatte sie arg mitgenommen. Sie war bleich, das Haar, sonst so glänzend, ganz stumpf.

      »Meister Holl …«

      Mit jedem Streicheln über ihre kalte Hand wurde mir dumpfer ums Herz. Das Atmen fiel mir mit einem Mal schwer.

      »Meister Holl, hört Ihr …«

      Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter und wandte mich um.

      »Wollt Ihr bitte mitkommen? Es ist nur für einen Moment.«

      In der Wohnstube offenbarte Doktor Häberlin mir, dass Rosina dieses Mal bedenklich viel Blut verloren habe. Sie leide unter starkem Fieber und sei geschwächt wie nach keiner ihrer vorherigen Geburten.

      »Euer Weib war bislang eine der zähesten im ganzen Sprengel. ›Nach der Geburt aß sie für zwei und trank wie ein Mann‹, hat Adelgund sie immer gelobt.«

      »Mein Weib war die einzige, die so wohlauf war, dass sie bei der Taufe zugegen sein konnte!«

      »Mit dem fünften Kind, scheint eine Wendung eingetreten. Das Kind selbst ist gesund. Es ist größer und stärker als die vorigen. Das ist der Grund, warum es Eurem Weib so schlecht geht. Das Kind hat ihr die ganze Kraft genommen.«

      »Aber sie wird sie doch wieder zurückbekommen?«

      Doktor Häberlin schwieg.

      »Was muss ich tun, damit es ihr bald wieder besser geht, Doktor?«

      »Ruhe und beten ist das oberste Gebot. Stündlich Kräuterwickel, viel Hühnerbrühe und getrockneter Ingwer; Adelgund weiß Bescheid. Sie wird noch eine Woche bleiben, dann müsst Ihr um ein Haus- und Kindermädchen schauen, unbedingt. Mich wundert ohnehin, dass noch keines bei Euch in Diensten steht. Bei Eurem Stand ist ein Hausmädchen längst anempfohlen.«

      »Rosina wollte nichts aus der Hand geben. Sie sagte immer: ›Bei uns zuhause hatten wir das auch nicht.‹ Und bislang hat sie ja auch alles bestens bewerkstelligt. Jedes unsrer vier Kinder ist wohlauf.«

      »Jetzt wird sie aus der Hand geben müssen. Zumindest für die nächste Zeit. Da führt kein Weg vorbei.«

      »Ich werde mich umgehend um eine Hilfe kümmern. Wann, meint Ihr, wird es Rosina wieder besser gehen?«

      »Ich meine gar nichts, werter Holl. Außer unsrem lieben Herrgott weiß das niemand.«

      »Aber sie wird doch nicht … Ich meine …«

      »Wir wollen es nicht heraufbeschwören. Aber ausschließen können wir es nicht.« Doktor Häberlin legte seine Hände auf die meinen. »Betet fleißig zu unserem Herrn und er wird Euch erhören.«

      »Als ich kam, war ich heilfroh, dass der Herr Pfarrer nicht zugegen war, jetzt spricht er aus Euch heraus.«

      Die Instrumententasche umgehängt, schritt der Doktor aus der Tür und verließ das Haus. Ich sah aus dem Fenster und ihm nach, wie er im Trippelgang durch den Schnee die Werbhausgasse hinunterschlitterte. Lange noch blieb ich

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