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Brotkrumen und Apfelkerne auf der ausgestreckten Hand entgegenhielt, war auch bei ihm das Eis gebrochen. Er ließ sich auf ihrer Hand nieder und pickte alles auf, dann watschelte er über ihren Arm auf ihre Schulter und rieb seinen Schnabel zärtlich an ihrem Ohrläppchen.

      Lächelnd kehrte sie auf das Achterdeck zurück.

      „Ich sehe, Sie verstehen sich mit meinen Männern, Gisela“, sagte der Seewolf. „Für uns ist es wirklich eine Ehre, Sie bei uns an Bord zu haben. Aber würden Sie mir jetzt Ihre Geschichte erzählen? Mich interessiert vor allen Dingen, wie es Hugo von Saxingen gelang, Sie gefangenzunehmen.“

      Nils Larsen war ihr gefolgt und setzte seine Tätigkeit als Dolmetscher fort.

      „Ja“, sagte Gisela von Lankwitz. „Ich will Ihnen alles berichten, Sie haben ein Anrecht darauf, das zu erfahren. Am besten fange ich dabei an, wie Hugo von Saxingen Ende Januar dieses Jahres überraschend bei den Manteuffels in Kolberg als angeblicher Beauftragter des polnischen Königs auftauchte. Er erklärte, daß er im Namen des Königs handele, pochte aber auch auf seine erloschenen Rechte des Schwertordens. Er verlangte, daß künftig der Bernsteinhandel nur über die polnische Krone und damit über ihn als den ‚königlich-polnischen Handelsbeauftragen‘ abgewickelt werden dürfe.“

      „Verrückt!“ stieß Old O’Flynn empört hervor.

      „Heller Wahnsinn“, sagte auch Ben Brighton. „Was bildet dieser Mann sich eigentlich ein?“

      „Warten Sie, das ist noch nicht alles“, sagte Gisela von Lankwitz. Hugo von Saxingen sagte weiter, es sei der polnischen Krone bekannt, daß die Manteuffels illegalen Bernsteinhandel betrieben, und das habe künftig zu unterbleiben. Widrigenfalls werde die polnische Krone Mittel und Wege finden, den illegalen Handel zu unterbinden.“

      „Was sie ja auch bereits im Fall des Kaufmanns Jens Johansen in Wisby auf Gotland getan hat“, sagte der Seewolf und erinnerte die Männer dadurch an das Abenteuer, das sie auf Gotland erlebt hatten. Johansen war ermordet worden – wegen des Bernsteinregals, das den Handel mit dem „Gold der Ostsee“ in ganz bestimmte Bahnen lenken sollte.

      Dieses Bernsteinregal, das Monopol oder hoheitliche Recht der wirtschaftlichen Nutzung, war von den Herzögen Pommerns auf den Deutschen Orden übergegangen. Seit dessen Niedergang war es jedoch ein Streitobjekt der Küstenanlieger. Insbesondere beanspruchten es der König von Polen, der Herzog von Kurland und Markgraf von Brandenburg als derzeitiger Administrator des Herzogtums Preußen.

      In Polen herrschte Sigismund III., Kurland war ein Lehen der polnischen Könige, und zwar waren es 1593 die beiden Herzöge Friedrich und Wilhelm von Ketteler, die gemeinsam über diese Region herrschten. Das Herzogtum Preußen – das spätere Ostpreußen – wiederum wurde von Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg an Stelle seines schwachsinnig gewordenen Vetters Albrecht Friedrich von Preußen regiert.

      Als Lehen unterstand das Herzogtum Preußen ebenfalls dem polnischen König, der damit auch das Bernsteinregal für sich beanspruchte, was aber weder die Kettelers noch Georg Friedrich als rechtens empfanden, vor allem Georg Friedrich nicht, weil zu seinem Bereich Samland zählte, die berühmte und ergiebige Bernsteinküste.

      Der Streit der Landesherren um das Regal förderte den schwarzen Handel, denn solange keine Seite den eigenen Anspruch durchzusetzen vermochte, florierte das Geschäft der Schmuggler und der illegalen Händler.

      „Zu dem Zeitpunkt, als von Saxingen erschien, weilte ich gerade bei den Manteuffels in Kolberg“, fuhr Gisela von Lankwitz in ihrem Bericht fort. „Zu Hause bin ich in Rügenwalde. Mein Vater ist Gutsbesitzer, Kaufmann und Reeder. Er hatte mich nach Kolberg begleitet, um mit Arne und mit mir die Hochzeitsmodalitäten zu besprechen. Die Hochzeit soll nämlich im April in Kolberg stattfinden. Nun, auf diese Weise lernte ich also mehr oder weniger zufällig den Grafen Hugo von Saxingen kennen, der mir vom ersten Augenblick an unsympathisch war. Mein künftiger Mann brach mit seiner kleinen Handelsgaleone ‚Wappen von Kolberg‘ nach diesem Besuch jedenfalls sofort auf, um seine Handelspartner über die neue Situation bezüglich des Bernsteinhandels zu informieren.“

      „Und um sie zu warnen“, fügte der Seewolf hinzu. „Im Fall des Jens Johansen kam er zu spät.“

      „Woher wissen Sie das, Hasard?“

      „Wir haben uns seinerzeit in Wisby getroffen“, erwiderte er. „Was sich dort abspielte, erzähle ich Ihnen noch. Lassen Sie mich jetzt erst einmal wissen, wie es weiterging. Überhaupt, wie hat Arne denn auf Hugo von Saxingens mehr oder weniger verhüllte Drohungen reagiert?“

      „Er verhielt sich kühl“, sagte sie. „Er erklärte ihm lediglich, die Manteuffels seien keine Untertanen des polnischen Königs, und er selbst sei der Meinung, daß niemand das Recht habe, das Regal für sich zu beanspruchen.“

      „Er schmetterte Hugo, diesen Hundesohn, also glatt ab“, sagte Big Old Shane. „Gut so. Und wie ging es weiter?“

      „Wenn ihr dauernd unterbrecht, erfahren wir es vor heute abend nicht mehr“, sagte der alte O’Flynn mit finsterer Miene und einem drohenden Blick zu Shane. Er hätte am liebsten gehört, wenn nur noch Gisela von Lankwitz gesprochen hätte. Wie mußte ihre allerliebste Stimme auf Englisch klingen. Er wagte sich das nicht auszumalen und nahm sich vor, ihr wenigstens die wichtigsten Vokabeln beizubringen.

      „Nach Arnes Abreise hatte mein Vater noch geschäftlich in Stettin zu tun“, sagte Gisela von Lankwitz. „Ich fuhr mit einer seiner Kutschen zurück nach Rügenwalde und legte in einer Herberge, wo auch die Pferde getränkt und versorgt werden mußten, eine Rast ein. Hier stieß ich erneut auf den Grafen von Saxingen. Es war eine zufällige Begegnung, aber er benahm sich mir gegenüber sehr aufdringlich.“

      „Wo war das?“ fragte Hsard.

      „In Köslin. Und bei der Weiterfahrt wurde meine Kutsche gleich hinter der Ortschaft von vier maskierten Reiter überfallen. Sie schlugen den Kutscher nieder und verschleppten mich. Der Entführer war Hugo von Saxingen, er nahm schon nach einer Meile Ritt seine Maske ab und erklärte mir hohnlachend, Arne würde sich schon wundern, wo seine Braut abgeblieben sei. Ich wehrte mich, appellierte an sein Gewissen, aber es nutzte mir alles nichts. Er brachte mich auf sein Gut und sperrte mich dort ein.“

      „Dieser Teufel!“ stieß Ben Brighton hervor. „Erst markiert er den feinen Grafen, und dann erlaubt er sich ein solches Bubenstück. Dafür gehört er an den Galgen!“

      „Wenn ich diese Zusammenhänge bereits in der letzten Nacht gewußt hätte, wäre von Saxingen jetzt als Gefangener an Bord der ‚Isabella‘“, sagte Hasard mit ernster Miene. „Denn meiner Ansicht nach gehört der Kerl vor ein deutsches Gericht. Nun, vielleicht haben wir noch die Gelegenheit, seine Festnahme in die Wege zu leiten. Vorerst ist es unsere wichtigste Aufgabe, die Freiin unbeschadet nach Kolberg zu bringen.“

      Die erste Probe aufs Exempel stand ihm und seinen Männern unmittelbar bevor. Sam Roskill, der im Großmars den Ausguck übernommen hatte, stieß plötzlich einen Ruf aus. „Deck! Mastspitzen voraus, an der westlichen Kimm!“

      „Dan“, sagte der Seewolf. „Entere zu Sam in den Großmars auf. Stellt fest, um wie viele Schiffe es sich handelt. Vor allen Dingen müssen wir wissen, welcher Herkunft sie sind.“

      Darüber sollte er nicht lange im Ungewissen bleiben. Eine Begegnung ließ sich nicht mehr vermeiden.

      Nur wenige Augenblicke später hatten Dan und Sam die Schiffe im Westen vom Großmars aus genauer in Augenschein genommen.

      „Drei Galeonen auf Ostkurs!“ meldete Dan. „Sie haben uns ebenfalls gesichtet und schwenken auf uns zu!“

      „Sind es Dreimaster?“ fragte Hasard.

      „Ja, aber sie sind kleiner als die ‚Isabella‘.“

      Hasard wandte sich, einer plötzlichen Eingebung folgend, zu Gisela von Lankwitz, zu Nils und seinen beiden Söhnen um.

      „Philip und Hasard“, sagte er. „Ihr bringt die Freiin wieder nach unten und zeigte ihr, wo der Einstieg für den Geheimgang ist. Versteckt sie dort und holt sie

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