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sogar die Verwundeten und Erschöpften ins Stroh hinauf. Der erste Wagen war voll, die Seeleute kümmerten sich um ihre Kameraden. Drei Männer fielen augenblicklich in tiefen Schlaf.

      Jorge Recalde lehnte sich schwer an die Wand des zweiten Karrens.

      „Don Manolo dos Barancar – er wird wohl mit uns fahren.“

      „Ich vermute es. Ein tüchtiger Mann. Ohne ihn wären wir alle ertrunken.“

      „Ich weiß.“

      Sie konnten noch nicht klar denken. Die Erschöpfung war zu groß. Die lange Zeit auf der kalten See, ständig vom Wasser durchnäßt, vom Regenwasser und von den Wellen, hatte mehr als nur äußerliche Spuren hinterlassen. Gierig stürzte Recalde den starken, heißen Würzwein herunter, der ihm von einem kahlköpfigen alten Bauern entgegengehalten worden war.

      „Gracias“, murmelte er. „Die anderen Kapitäne?“

      „Die Señores Coillar und Leora warten auf euch. Sie sitzen am Kamin und trocknen ihre Kleider. Sie haben auch alles verloren.“

      „Nur den Stolz nicht“, sagte de la Torre scharf.

      Er blickte dem ersten Ochsengespann nach, das sich über den gekrümmten Sandweg in die Richtung des Dorfes entfernte. Wieder schleppten die Seeleute ein paar Verletzte herbei und betteten sie auf das Stroh.

      „Wir werden beraten, was zu tun ist“, murmelte Recalde schläfrig.

      Der Erste Offizier hob abwehrend die Hände und entgegnete: „Zuerst werden wir essen, dann uns das Salz von der Haut waschen und danach schlafen.“

      „Meinetwegen.“

      Nach und nach würden alle Gestrandeten auf schwerfälligen Fahrzeugen ins Dorf gebracht. Die Bauern, die natürlich das Wrack ausplündern würden, bemühten sich nach Kräften. Klar, daß sie vom Strandgut profitieren würden. Dabei fürchteten sie die spanischen Soldaten. Sie konnten beruhigt sein, man würde ihnen kaum auf die Finger sehen.

      Manolo dos Barancar setzte sich neben Recalde und ließ sich eine Decke um die Schultern legen. De la Torre gab ihm einen gefüllten Becher. Der Geruch des gesüßten und gewürzten Weines vermochte nicht, den muffigen Salzgestank zu vertreiben, der aus dem Leder und dem Stoff aufstieg. Jeder der Überlebenden fror und zitterte vor Kälte.

      Nach einer Viertelstunde, in der er zwei Becher leertrank, sagte dos Barancar wütend: „Wir müssen bald entscheiden, was wir tun sollen.“

      Vor Erschöpfung hatte Recalde Tränen in den Augen. Er gähnte und schüttelte sich.

      „Was können wir tun?“

      „Die Engländer müssen gestellt werden. Wenn es in Porto bewaffnete Einheiten gibt, werden wir die Verfolgung aufnehmen. Wenn nicht, reiten wir nach Vigo. Oder man soll Boten schicken. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, für die Engländer winkt sozusagen ihr Hafen. Denkt daran, was wir jetzt von den Schätzen wissen, die in den Laderäumen der ‚Fidelidad‘ gestapelt sind! Spaniens Gold! Unser Silber. Und vieles andere. Uns gehört es.“

      Barancar schwieg erschöpft und warf in heller Wut seinen leeren Becher ins Stroh.

      „Die halbe spanisch-portugiesische Wachflotte gegen zwei Schiffe! In Wirklichkeit nur gegen eins, denn die Galeone hat sich so gut wie kaum gewehrt. Nur ein paar Schüsse.“

      „Aber alles Treffer“, brummte Recalde düster.

      Das Dorf, eine Ansammlung von drei Dutzend Häusern, war nicht weit entfernt. Die Seeleute, die auf den Wagen keinen Platz mehr gefunden hatten, trotteten hinterher.

      Während für die Offiziere und die Kapitäne im Haus und in der Scheune des Bürgermeisters große Zuber voller heißem Wasser bereitgestellt wurden, verteilten sich die Seeleute auf ihre provisorischen Lager auf den Tennen.

      Die Dorfbewohner verteilten Essen und heißen Tee, Wein und, soweit sie das entbehren konnten, auch trockenes Zeug. Durch einen Zufall waren alle Überlebenden der vier Karavellen an jenem langen Strandabschnitt angetrieben worden, der zu dem namenlosen portugiesischen Dorf gehörte.

      Während Jorge Recalde und Manolo dos Barancar bis zum Hals im warmen Wasser hockten und die Müdigkeit noch stärker zu spüren begannen, trat der Bürgermeister in den zugigen Raum der tief gelegenen Tenne. Neben ihm ging Ruiz Coillar, der Kommandant der bedauernswerten „Los Monteros“.

      „Bevor ihr fragt, Señores, hier die Auskunft. Ein reitender Bote ist nach Porto unterwegs. Man soll uns Kutschen und schnelle Pferde schicken.“

      Aus rotunterlaufenen Augen warf Recalde seinem Kameraden einen langen Blick zu.

      „Recht getan, Capitán. Und was weiter?“

      „Wir verlangten, daß jedes wehrhafte Schiff augenblicklich aus Porto ausläuft und die Verfolgung aufnimmt – vorausgesetzt, im Hafen liegen unsere Schiffe.“

      Dos Barancar rieb sich Seifenschaum aus dem linken Auge und fragte schläfrig: „Falls keine Schiffe in Porto sind? Als ihr ausgelaufen seid, war der Hafen leer, wie ich erfuhr.“

      „Dann haben sie Order, ein paar schnelle Boote nach Vigo zu schicken und um Hilfe zu bitten. Es geht das Gerücht, daß der Seewolf sein Unwesen mit uns trieb.“

      „Ich habe Männer an Bord der beiden Schiffe gesehen, auf die seine Beschreibung zutrifft“, bestätigte Recalde. „Wann erwarten wir die Boten zurück?“

      Alle Hidalgos, schwarzhaarig und braunhäutig, meist mittelgroß und sehnig, waren von den Erlebnissen gezeichnet. Zu ihrer tiefen Mattigkeit gesellten sich Schlafmangel und das Gefühl ohnmächtigen Hasses. Aber alles würde vergessen sein, wenn sie nach ein paar Tagen wieder die Planken eines Schiffes unter ihren Sohlen spüren würden.

      Madrid und König Philipp waren weit. Hier blieben sie auf sich gestellt und brauchten nur die Unterstützung eines Provinzgouverneurs oder eines Stadtkommandanten. Angesichts der Wahrscheinlichkeit, daß die lang vermißte „Fidelidad“ wieder zurückerobert werden konnte, bestand absolut keinen Zweifel, daß überall jede Form der Unterstützung gewährt werden würde.

      „Ich denke, heute nacht“, entgegnete Coillar. „Und in Vigo wird man handeln, ohne auf uns zu warten.“

      „Bedauerlich, aber richtig und nicht zu ändern“, murmelte Recalde und gähnte.

      Der Bürgermeister räusperte sich, trat ein paar Schritte vor und zupfte verlegen an seinem Bart.

      „In der Zeit, bis man euch abholt, Señores, genießt ihr die Gastfreundschaft meines Dorfes. Wir sind nicht reich, aber wir helfen, wo wir können. Die Señores Offiziere und Kapitäne können über einen Saal in meinem Haus verfügen. Dort ist der Kamin angefacht, und wir haben Strohlager ausgebreitet. Besseres haben wir nicht.“

      „Gracias“, brummte Recalde und nickte. „Wir sind so müde, daß wir auch am Strand schlafen würden. Morgen sehen wir weiter.“

      „Euer nasses, salziges Zeug sammeln wir ein. Die Frauen werden es waschen und vielleicht bis morgen trocken haben“, versprach der Bürgermeister. „Ich denke, es ist alles geschehen, was in dieser Notlage möglich war.“

      Coillar schlug dem kleineren Mann, der nicht anders aussah als seine Bauern und Winzer, freundschaftlich und herablassend auf die Schulter.

      „Ich kann’s bestätigen“, sagte er. „Unsere portugiesischen Freunde geben alles, was sie haben.“

      „Spanien wird es ihnen vergelten“, sagte dos Barancar trocken.

      „Zweifellos.“

      Seit es keinen portugiesischen König mehr gab, sondern Spanien unter seinem bedächtigen Philipp auch über diese Küste regierte, gab es zwei unterschiedliche Gruppen der neuen Untertanen der Krone: die begeisterten und jene, die Spanien zwar haßten, aber seine Macht fürchteten.

      In diesem Dorf schien es nur Spanien-Getreue zu geben. Immerhin verhielten sie sich so, als wären die Kapitäne ebenfalls Portugiesen, denn mindestens

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