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das hatten der Angriff auf die Schlangen-Insel und das mißglückte Landeunternehmen deutlich bewiesen. Schon da hatte de Pinzón Zurückhaltung geübt und sich nicht „vorgedrängelt“. Nur deshalb – davon war er fest überzeugt – waren seine Männer und er überhaupt noch am Leben.

      Coloma bereute den Schritt ebenfalls nicht. Er war sicher, daß er Kuba oder gar die Heimat Spanien nie wiedergesehen hätte, wenn er weiterhin an Bord der „San José“ geblieben wäre. Ein Wahnsinnsunternehmen war das Ganze – Don Antonio hatte das ganz richtig ausgedrückt.

      Cubera hatte sich vergaloppiert, aber er wollte es nicht eingestehen, weder vor seinen Offizieren und der Mannschaft noch vor sich selbst. Er kämpfte bis zum bitteren Ende – und die „San José“ war wie die anderen Schiffe des Verbandes dem Untergang geweiht.

      Es gab keine Rettung mehr. Der Feind stöberte sie sicherlich erneut auf und gab ihnen den Rest. Dann flogen wieder die Fetzen, und jeder Mann opferte sein Leben für das Vaterland und den glorreichen König, Seine Allerkatholischste Majestät, Philipp II. Und was hatten sie davon? Sie starben, aber Seine Hoheit würde es wahrscheinlich nicht einmal erfahren.

      Dann schon lieber abhauen, bevor es zu spät ist – so hatten sie gedacht und ihren Plan in die Tat umgesetzt. So oder so riskierten sie ihr Leben, aber die Flucht räumte ihnen weitaus mehr Chancen ein, doch noch mit heiler Haut davonzukommen.

      Immerhin hatte Don Antonio ihnen nicht nur harte, solide Goldtaler für ihre Hilfe bezahlt, er hatte ihnen auch allerlei versprochen. Er würde sie, so prahlte er, im Gouverneurspalast von Havanna verstecken, und Cubera sollte nur antanzen, dann würde er schon sehen, was er davon hatte.

      Doch Cubera erreichte Havanna niemals mehr, dessen war Don Antonio völlig sicher. Er setzte es voraus und rechnete fest damit, daß er, wenn er endlich wieder in seiner Residenz saß, kandierte Früchte essen, süßen Portwein schlürfen und seine Ruhe haben würde.

      Diese Kerle – de Pinzón, Coloma und die Schaluppen-Crew – glaubten ihm natürlich jedes Wort. Aber er würde es schon verstehen, sich ihrer zu entledigen, wenn er sie nicht mehr brauchte. Vorläufig log er noch das Blaue vom Himmel herunter, aber selbstverständlich hatte er nicht ernstlich vor, sie bei sich in der Residenz aufzunehmen. Doch nicht solches Volk, dachte er verächtlich, gab sich aber Mühe, ihnen nicht offen zu zeigen, wie er sie beurteilte.

      Das Feuer, das der Seewolf aus der Ferne gesichtet hatte, brannte in einer Bucht an der Westküste von Great Inagua, und zwar bereits seit dem Spätnachmittag. In der halbkreisförmigen Bucht lag die Schaluppe vor Anker, bewacht von einem Posten.

      Der Rest der Besatzung samt der Seesoldaten hatte sich mit dem Dicken, dem Proviantmeister und dem Sub-Teniente an Land begeben und um das Feuer versammelt – und es gab allen Grund zum Lachen und zur Freude, denn am Drehspieß bewegte sich ein triefendes, verheißungsvoll duftendes Schwein, das nun verspeist werden sollte.

      Die Männer grölten, stießen sich untereinander mit den Ellenbogen an, tranken von dem Rotwein, der zur Ausrüstung der Schaluppe gehörte, und warteten gespannt darauf, daß der Braten endlich gar wurde. Einer von ihnen stand immer wieder auf und stach prüfend mit einer langen Gabel in das Tier.

      „Es dauert nicht mehr lange“, sagte er.

      „Das will ich dir auch geraten haben!“ rief de Pinzón, und wieder lachten sie alle.

      Ein richtiges Wildschwein – wer hätte das gedacht! Ein Festmahl nach all den Strapazen, Ängsten und Entbehrungen, die sie in den vergangenen Tagen hatten auf sich nehmen müssen. Sie hatten es verdient. Diese Ansicht vertrat Don Antonio, und die Kerle feierten ihn mit ihren „Hoch“- und „Hurra“-Rufen wie einen Fürsten.

      Don Antonio trank von dem dunklen, süffigen Wein, schloß die Augen und öffnete sie wieder. Er fühlte sich wie neugeboren. Er konnte es noch gar nicht fassen, daß er dem Teufel Cubera tatsächlich entkommen war, und doch war es die Realität.

      „Mein lieber Coloma“, sagte er leutselig. „Dies ist der schönste Tag in meinem Leben. Noch nie habe ich mich so wohl wie heute gefühlt.“

      Coloma, selbst dick und übersättigt, warf ihm aus seinen kleinen, listigen Augen einen raschen Seitenblick zu.

      „Aber nicht doch, werter Don Antonio“, sagte er mit zuckersüßer Stimme. „Jetzt übertreiben Sie.“

      „Nein, nein, es ist wirklich ein Feiertag für mich.“

      „Sie werden ihn nie vergessen?“

      „Nie. Aber vor allem werde ich immer daran denken, wie ihr mir geholfen habt, meine lieben Freunde.“ Don Antonio ließ sich zu einer jovialen Geste verleiten und legte Coloma die Hand auf die Schulter. Am liebsten hätte er ihn und die anderen schon jetzt irgendwie aus dem Weg geräumt, aber er brauchte sie ja noch.

      „Ist das Kissen auch weich genug?“ fragte Coloma.

      „Ja.“

      „Möchten Sie noch einen Schluck Wein, Señor?“ fragte einer der Soldaten, der als Mundschenk diente.

      „Ja, ausgezeichnet“, erwiderte Don Antonio.

      „Señor Gouverneur“, sagte de Pinzón mit verschlagenem Grinsen. „Welches Stück hätten Sie gern? Darf’s ein Filet sein?“

      „Ja, Filet ist gut.“

      „Filet!“ brüllte de Pinzón seinem Koch zu. „Und hoffentlich wird’s bald, wir haben Kohldampf!“

      Das stimmte. Viel hatte es an Bord der Schaluppe nicht zu beißen gegeben, und es war immer die gleiche Kost: Schiffszwieback, Dörrfleisch und Dünnbier. Sie hatten es satt, es hing ihnen zum Halse heraus. Sie wollten frisches Fleisch, Wein in Mengen und nach Möglichkeit – im ersten Hafen, den sie erreichten – Weiber, mit denen sie nächtelang herumhuren konnten.

      Das Fleisch war schon mal da, und de Pinzón war klug genug, das Faß Wein zu opfern, das er bisher wie seinen Augapfel gehütet hatte. Die Stimmung mußte angeheizt werden, der Sieg wurde gefeiert!

      Sie hatten Great Inagua im Norden gerundet und dadurch eventuelle Verfolger abgeschüttelt, die davon ausgegangen waren, die flüchtige Schaluppe würde bei Westkurs südlich der Insel bleiben. Die Verfolger hatte es wirklich gegeben – die letzte Kriegskaravelle des Verbandes, die inzwischen auch nicht mehr existierte. Sie war mit der „Empress of Sea II.“ zusammengetroffen und von Old O’Flynn und dessen grimmig entschlossener, aufgebrachter Crew versenkt worden. Anfangs war die „Empress“ der geflohenen Schaluppe nachgesegelt, später aber auf Gegenkurs gegangen, weil Old O’Flynn und seine Männer von der Überlegung ausgegangen waren, daß die Schaluppe einen anderen Kurs genommen haben mußte. Es war sinnlos geworden, die weite See nach ihr abzusuchen.

      Hätten Don Antonio und seine Spießgesellen davon auch nur etwas geahnt, dann hätte ihre Begeisterung jetzt keine Grenzen mehr gekannt. Aber auch so waren sie bereits ganz schön in Fahrt – der Rotwein tat seine Wirkung, bevor das eigentliche Festmahl überhaupt begann.

      Am Nachmittag dieses Tages hatte der Ausguck der Schaluppe an Land ein Schweinerudel gesichtet und sofort gemeldet. Irgendwann einmal mußten auf Great Inagua diese Tiere ausgesetzt worden sein. Hausschweine sicherlich, die mit der Zeit aber wieder verwildert waren. Don Antonio hatte davon gehört, daß es auch auf Hispaniola solche zurückentwickelten Schweine geben sollte, die von den ersten spanischen Kolonisten aus der Heimat an Bord ihrer Schiffe mitgebracht worden waren.

      Als der Ausguck das Rudel gemeldet hatte, war Don Antonio sofort hellwach gewesen und hatte seiner Genußsucht nach all den Entbehrungen an Bord der „San José“ nicht widerstreben können. Ganz abgesehen davon hatten natürlich alle den größten Appetit auf einen saftigen Wildschweinbraten.

      Folglich ankerte man in der Bucht, und an Land schwärmten die Seeleute und Seesoldaten aus. Bald krachten die Musketen. Sie erlegten einen prächtigen Keiler, weideten ihn aus und hängten ihn am Drehspieß über das Feuer, das mit größter Sorgfalt von de Pinzón persönlich entfacht und entsprechend angeheizt wurde.

      Der Wein umnebelte Don Antonios Geist

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