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noch einmal wieder, dann aber unter anderen Voraussetzungen. Er setzte das Segel, und die Jolle glitt aus der Lagune auf die offene See hinaus.

      Genügend Proviant hatte er bei sich: gebratenen Zackenbarsch, Kokosnüsse, ein paar gebackene Möweneier, Trinkwasser aus der Quelle und Brandy. Damit konnte er eine Woche oder sogar noch länger durchhalten. Er hoffte inständig, daß die Fahrt zur Schlangen-Insel nur höchstens zwei oder drei Tage in Anspruch nehmen würde, mußte aber damit rechnen, daß der Wind einschlief oder das Wetter sich verschlechterte.

      Der Wind fiel vorerst immer noch aus Nordosten ein. Hasard luvte an und nahm Kurs auf Great Inagua, deren Position er genau im Kopf hatte. Er plante, sich von einer Insel zur anderen voranzuarbeiten, von den Bahamas zu den Caicos. So hielt er das Risiko gering, von einem jäh heraufziehenden Sturm überrascht zu werden. Er mußte stets die Gelegenheit haben, relativ schnell unter Land zu verholen, um sich schützen zu können.

      Die Jolle lag gut am Wind, und er trimmte sie so aus, daß er sogar das Ruder festlaschen konnte. Immer wieder kontrollierte er die Leckstellen, aber es bestand keine Gefahr mehr. Das Holz war aufgequollen und hielt dicht wie ein perfekt verschalktes Schiffsschott, kein Tropfen Wasser drang ein.

      Der Wind dauerte die ganze Nacht über an. Hasard orientierte sich an den Sternen und hielt den Kurs. Blieb das Wetter, wie es war, konnte er Great Inagua im Verlauf des nächsten Tages erreichen.

      Aber der 27. Juli bescherte ihm doch eine unangenehme Überraschung. Der Wind schlief ein, er blieb in einer Flaute hängen. Er mußte pullen und gelangte nur noch sehr langsam voran. Der Tag verstrich, ohne daß sich ein Lüftchen regte, und auch die nächste Nacht über blieb alles ruhig.

      Hölle, dachte Hasard, wenn das so weitergeht, brauche ich einen Monat für den Törn zur Schlangen-Insel.

      Er pullte und legte immer wieder Pausen ein. Die Brust machte ihm kaum noch zu schaffen, aber er konnte nicht unausgesetzt mit den Riemen arbeiten. Das hielt auch der stärkste Mann nicht durch.

      Die Zeit verging, ein neuer Tag, der 28. Juli, kündigte sich im Osten durch heraufziehende Grauschleier an. Hasard hielt nach allen Seiten Ausschau und bediente sich dabei des Spektivs, aber er sichtete weder Land noch Mastspitzen. Wieder war er völlig allein, und das Gefühl der Einsamkeit beschlich ihn von neuem.

      Er hatte nur wenig geschlafen, und auch die Müdigkeit zehrte an ihm. Er trank etwas Branntwein, verdünnt mit Wasser, aß ein Stück Kokosnuß und begann wieder zu pullen.

      Wenig später hob er den Kopf und registrierte, daß das Segel sich bewegt hatte. Eine Brise begann zu wehen und umfächelte ihn, zunächst nur schwach, dann aber zunehmend stärker. Er konnte wieder segeln, brauchte nur noch die Pinne zu bedienen und konnte sich wieder ausruhen.

      Der Wind dauerte an, aber erst am Abend hatte Hasard Great Inagua endlich in Sicht. Im Einsetzen der Dunkelheit entdeckte er einen Schimmer an der Westküste und richtete das Spektiv darauf. Ein Feuer – vielleicht war dort jemand, der ihm helfen konnte? Ebensogut konnte es sich natürlich um ein Lager von Küstenhaien oder Galgenstricken handeln. Aber er beschloß, trotzdem darauf zuzuhalten und zumindest zu untersuchen, wer das Feuer entfacht hatte. Er würde es so einrichten, daß er nicht gesehen wurde.

      Vorsichtshalber überprüfte er die beiden doppelläufigen Pistolen und die Muskete, die er natürlich schon vor dem Verlassen von Cay Santo Domingo geladen hatte. Man kann ja nie wissen, dachte er. Ein Schußwechsel mit Piraten war allerdings das allerletzte, auf das er erpicht war. Er wollte nur erfahren, was es mit dem Feuer auf sich hatte, und hoffte, nicht in eine Falle zu geraten.

       6.

      Selbstherrlich thronte Don Antonio de Quintanilla, der Gouverneur von Havanna, auf einem Kissen an dem flackernden Lagerfeuer. Die Flucht war ihm gelungen, und er durfte mit Recht – wie er sich immer wieder einredete – stolz auf sich sein. Er schürzte die Lippen und schaute sich triumphierend um, nickte seinen Kumpanen wohlwollend und aufmunternd zu und fühlte sich rundum wohl.

      Dieses Mal war er nicht seekrank geworden, er hatte die Fahrt mit der Schaluppe gut überstanden. Pinzón, der Sub-Teniente, hatte gesagt, ihm seien nun wohl doch die richtigen Seebeine gewachsen. Don Antonio fühlte sich geschmeichelt. Er liebte es, wenn man ihm Honig um den Bart schmierte und ihm die Stiefel leckte. So hatte es eigentlich an Bord der „San José“ sein sollen, so hatte er es sich vorgestellt: daß er von vorn und hinten bedient wurde und man ihm jeden Wunsch von den Lippen ablas.

      Aber es war anders gekommen. Kaum hatten sie den Hafen von Havanna verlassen, war ihm gräßlich übel geworden. Dann hatte er baden wollen, und es hatte eine Ewigkeit gedauert, bis Don Garcia Cubera eine Balje besorgt hatte. Er hatte es ohnehin nur widerstrebend getan.

      Überhaupt, Don Garcia Cubera: Er war sein ärgster Feind geworden. Die anfänglichen Diskrepanzen hatten sich zu einem offenen Streit entwickelt. Don Antonio wollte umkehren und von dem Wahnsinnsplan, die Schlangen-Insel anzugreifen, ablassen. Er vermutete sogar, daß ihn das Niggerweib hereingelegt hatte. Er wollte heimkehren nach Havanna und dort sein angenehmes Leben führen, aber Cubera hatte sich dickschädlig in die Idee verbohrt, das Unternehmen zu Ende zu führen.

      Folglich hatte Don Antonio versucht, ihn aus dem Weg zu räumen. Aber es hatte nicht geklappt. Gomez Guevara, der Kammerdiener, der zu jeder Schurkerei und sogar zu Meuchelmord fähig und bereit war, war entlarvt und gehängt worden. Cubera hatte ihn, Don Antonio, zu Kammerarrest verurteilt.

      Aber das war noch nicht alles. Wenn es Cubera gelang, seinen Gefangenen nach Havanna zurückzubringen, würde er ihn dort vor ein Gericht zerren und endgültig aburteilen lassen. Da nutzte dann alles nichts mehr, weder Gift noch Bestechung. Vor einem neutralen Gerichtshof war Don Antonio zum Scheitern verdammt. Das bedeutete mit anderen Worten: Tod durch den Strang, durch Erschießen oder Köpfen.

      Unwillkürlich schloß er die Augen. Er war diesem Schicksal entgangen, und er würde es verstehen, seine alte Position zu behaupten und zu festigen. Er empfand sich als Sieger und Herr der Lage, und seine altgewohnte, dreiste Arroganz war wieder erwacht – stärker als je zuvor.

      Wer wollte ihn jetzt noch belangen? Sollte Cubera nach ihm suchen, er würde ihn nicht finden – jetzt nicht mehr. Don Antonio hatte sich aller erdenklichen Tricks bedient, um etwaige Verfolger irrezuführen und keine Spuren zu hinterlassen. Und diesen einen großen Vorteil hatte das Wasser ja: man hinterließ dort keine Fährten.

      Für Cubera und seine Verbandskapitäne hatte sich Don Antonio in Luft aufgelöst. Sie konnten ihn abschreiben. Wahrscheinlich waren sie froh darüber, aber sie ärgerten sich natürlich auch, daß er ihnen entwischt war. Schließlich hatten sie sich an ihm rächen wollen.

      So sah Don Antonio das, aber in Wirklichkeit hegte Cubera keine Haß- oder Vergeltungsgefühle gegen ihn. Er handelte nur um der Gerechtigkeit willen und erfüllte seinen Auftrag als Seeoffizier und Führer eines Kriegsgeschwaders korrekt, wie es sich gehörte. Er würde auch weiterhin nach dem Dicken fahnden, und wenn er ihn in Havanna antraf, würde er ihn anklagen – des versuchten Mordes, der Meuterei, der Bestechung, Insubordination und Fahnenflucht.

      Fahnenflüchtige waren auch die Männer in Don Antonios Gesellschaft: der Sub-Teniente Vicente de Pinzón mit seiner Schaluppenmannschaft und Alonzo Coloma, der Proviantmeister der „San José“. Der Tod war ihnen sicher, wenn Cubera sie jemals wieder auffand und festnahm.

      Sie hatten sich des schlimmsten Verbrechens schuldig gemacht, das ein Soldat begehen konnte. Desertion und Feigheit vor dem Feind waren schlimmer als Meuterei oder Befehlsverweigerung. Es gab nichts Verachtenswerteres als diese Art von Verrat. Schmächlich hatten sie ihre Kameraden im Stich gelassen, die gegen einen starken, hartnäckigen und eiskalt kalkulierenden Feind bestehen mußten. Verdrückt hatten sie sich wie Marodeure, die von den Erfolgen anderer profitieren und plündern und stehlen, wo sie können, aber Reißaus nehmen, sobald es gefährlich wird.

      Doch all das kümmerte Don Antonios neue Gefolgschaft nicht im geringsten. Sie lachten und stießen sich an, ließen den Dicken hochleben und machten sich einen feinen Abend am Strand der Insel Great Inagua, die eine

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