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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 434. Roy Palmer
Читать онлайн.Название Seewölfe - Piraten der Weltmeere 434
Год выпуска 0
isbn 9783954398423
Автор произведения Roy Palmer
Жанр Языкознание
Серия Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Издательство Bookwire
Hin und wieder passierte es eben doch, daß einer der Indios heimlich das Lager verließ oder tagsüber während der Arbeit einfach fortrannte. Dann brauchte Luis Carrero in seinem Haus nur an einem dicken Strick zu ziehen, und der Zwinger öffnete sich. Der Strick war durch ein einfaches, aber gut funktionierendes System mit dem oberen Ende einer Gittertür verbunden, die nach oben oder nach unten glitt.
Cochuba hielt in seinen Bemühungen inne und lauschte. Die Hunde verhielten sich ruhig, sie schienen zu schlafen. Die Posten hatten sich von ihrem derzeitigen Standort nicht fortbewegt. Nichts rührte sich, der Zeitpunkt hätte nicht günstiger sein können.
Schon vor ein paar Tagen hatte Cochuba festgestellt, daß sich der Ring seiner Kette, der an dem Holzpflock im Boden befestigt war, ein wenig lockern ließ. Am anderen Ende der Kette war das Halseisen, das sich um seine Kehle schloß. Er wußte, daß er nicht die geringste Chance hatte, dieses Eisen mit dem Hartholzmesser aufzubrechen, aber bei dem Ring konnte er Erfolg haben.
Vorsichtig bewegte er den Ring immer höher, aber der Pflock hatte eine Verdickung, über die er sich nicht hinausschieben ließ. Cochuba gab nicht auf. Verbissen arbeitete er weiter. Trotz der Kälte brach ihm der Schweiß aus. Du mußt es schaffen, hämmerte er sich immer wieder ein, jetzt!
Ein Sklave war einmal auf die Idee verfallen, zu versuchen, den Pflock aus dem Untergrund zu zerren. Doch es war ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen. Die Pflöcke waren zu fest im Boden verankert, zu tief eingerammt und zusätzlich noch durch Querpflöcke gesichert.
Der Sklave war den Aufsehern aufgefallen, und sie hatten ihn mit Peitschenhieben und Fußtritten traktiert. Am nächsten Tag hatte Carrero ein Spießrutenlaufen veranstalten lassen, und der arme Teufel war unter den Hieben tot zusammengebrochen.
Cochuba aber hatte den Erfolg, den er sich ersehnt hatte. Der Eisenring rutschte über das Hindernis, er konnte ihn von dem Pflock ziehen. Er atmete ein paarmal tief durch, dann robbte er zwischen den Gestalten der Schlafenden hindurch auf den Steinbau zu. Nach wie vor hatten die beiden Posten nichts bemerkt. Auch die Hunde schienen von der drohenden Gefahr nichts zu spüren.
Die Kette vor die Brust gepreßt, damit sie nicht rasseln konnte, das Hartholzmesser in der rechten Faust, schob sich Cochuba auf die Unterkunft des meistgehaßten Mannes von Potosi zu.
Carrero, dachte er, dein Ende ist gekommen, und Cochuba wird alle die rächen, die du auf dem Gewissen hast.
Nur nach wenige Yards trennten ihn von dem Bau. Auch diese Distanz überbrückte er, ohne entdeckt zu werden, dann richtete er sich an der Außenmauer auf und schlich auf das Fenster zu.
Die beiden Flügel waren nur angelehnt, er konnte sie mühelos nach innen aufdrücken. Sie quietschten nicht, denn ihre Eisenangeln waren gut geölt. Kein verräterisches Geräusch kündete davon, daß der Indio sich anschickte, in Carreros Behausung einzudringen.
Luis Carrero lag ausgestreckt auf seinem Bett und hatte die Arme unter dem Kopf gekreuzt. In seinen Träumen befaßte er sich mit der feurigen Andalusierin, die er zuletzt im Bordell kennengelernt hatte. Ein Rasseweib – so ganz anders als die verdammten Indianerhuren, mit denen man es in dieser gottverlassenen Ecke Welt zu tun hatte.
Er, Luis Carrero, war ein Vollblutmann, hinter dem die Frauen wie verrückt her waren. Er brauchte sich nicht die geringste Mühe zu geben, sie aufzutreiben, sie warfen sich ihm an den Hals.
Dies natürlich nur in den Häfen – in Arica beispielsweise, wohin er ab und zu einen Abstecher unternahm, wenn er ein paar Tage dienstfrei hatte. Potosi aber war das Ende der Welt, das Tor zur Hölle. Hier gab es nicht die Abwechslung, die er brauchte. Deshalb reagierte er sich auf andere Art ab.
Unterbewußt gab er den Sklaven die Schuld daran, daß er sich nicht so frei bewegen konnte, wie er es gern getan hätte. Dafür mußten sie büßen. Und überhaupt: Die Peitsche war die einzige Sprache, die sie verstanden. Begriffen sie auch die nicht mehr, mußte man drastischere Mittel anwenden.
Die Andalusierin war ein Phänomen gewesen, unersättlich und zu allem bereit. Sie hatte Temperament und Phantasie – die richtige Mischung.
Carrero war wie berauscht, und doch waren seine Sinne geschärft, er schien es von seinen Bluthunden gelernt zu haben. Auch im Schlaf nahm er jedes Geräusch und jede Regung wahr. Plötzlich war er hellwach und schlug die Augen auf. Was war geschehen?
Cochuba war wie eine Katze in den einzigen Raum des Baus geglitten und duckte sich sofort wieder. Dabei ließ sich jedoch nicht vermeiden, daß die Kette leise rasselte.
Dieser Laut schreckte Carrero auf – und er sah in dem Streifen fahlen Mondlichtes, der durch das Fenster hereinfiel, die Gestalt des Indios.
Blitzschnell rollte er sich von seinem Bett und landete auf dem Steinfußboden. Cochuba gab einen zischenden Laut von sich, richtete sich auf und schleuderte das Hartholzmesser. Es flog über das Bett hinweg auf Carrero zu, doch der überrollte sich im selben Augenblick noch einmal und entging um Haaresbreite der Waffe, die mit solcher Wucht heranraste, daß sie seine Brust mit Sicherheit durchbohrt hätte.
Cochuba sah, daß sein Anschlag mißglückt war. Er sprang auf Carrero zu und wollte sich auf ihn werfen, doch Carrero rollte sich auf den Stuhl zu, an dem seine Sachen hingen, riß ihn mit sich um und griff nach seiner Radschloßpistole.
Warum hatte er sie nicht auch an diesem Abend wie üblich unter sein Kopfkissen gelegt? Es mußte der Gedanke an die Andalusierin gewesen sein, der ihn abgelenkt hatte, vielleicht auch der Wein, den er getrunken hatte.
Carrero riß die Pistole an sich, wälzte sich zur Seite, prallte gegen die Wand, spannte den Waffenhahn und legte mit einem Fluch auf Cochuba an. Cochuba wich nach rechts aus und bückte sich nach seinem Messer, aber in diesem Augenblick drückte Carrero ab, und der Schuß brach donnernd in dem Raum.
„He!“ schrie draußen der eine Posten. „Was ist los?“
„Hölle, das war da drinnen!“ brüllte der andere.
Im selben Moment begannen auch die Hunde wie besessen zu bellen. Das ganze Lager wurde wach.
Cochuba ließ sich fallen. Die Pistolenkugel raste im Krachen der Waffe an seiner rechten Schulter vorbei und hinterließ eine heiße Spur auf der Haut, die wie Feuer brannte. Cochuba wich unwillkürlich zurück. Dann flog ihm die leergeschossene Pistole gegen die Brust, von Carrero geschleudert, der jetzt aufsprang und seinen Säbel aus dem Wehrgehänge riß. Er stieß die lästerlichsten, abscheulichsten Verwünschungen aus und stürzte sich auf seinen Gegner.
Cochuba hatte nur noch eine Wahl: Flucht. Er sprang aus dem Fenster, ehe Carrero ihn ganz erreicht hatte, und hetzte an der Außenmauer entlang.
„Alarm!“ brüllte Carrero. „Tötet diesen Hund! Er ist hier!“
Die Aufseher stürzten herbei und umrundeten das Steinhaus. Inzwischen waren es mehr als zwei, auch die anderen waren auf den Beinen und taumelten – noch schlaftrunken – aus ihren Unterkünften. Cochuba schlug einen von ihnen mit der Eisenkette nieder, doch ein anderer schoß mit der Muskete auf ihn, und nur wie durch ein Wunder entging er noch einmal dem Tod.
In panischer Hast rannte Cochuba davon, in südliche Richtung, ziemlich dicht an dem Zwinger vorbei, hinter dessen Gitter die Hunde hochsprangen und die Zähne fletschten. Wieder peitschten Schüsse, aber die davonhuschende Gestalt des Mannes bot in der Dunkelheit kein gutes Ziel mehr. Alle Kugeln verfehlten ihn.
Luis Carrero riß die Tür des Baus auf und brüllte: „Das Feuer einstellen, ihr Narren!“ Gleichzeitig griff er nach dem Strick und zerrte daran. Die Gittertür des Zwingers glitt auf, und die Bluthunde sprangen knurrend und bellend ins Freie.
„Philipp!“ schrie Carrero. „Pack ihn!“
„Señor!“ schrie einer der Aufseher. „Weit kann er nicht kommen!“
Carrero stürmte mit seiner Peitsche nach draußen und hieb Wütend auf die Kerle ein. „Warum habt ihr ihn entwischen lassen? Wer hat