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und Sprünge weisen nach Süden, wo es keine Grenze gibt und doch eine.“

      „Wie läßt die Pest sich bannen?“ fragte die Wu heiser. „Müssen wir das Opfer bringen? Ich las es aus den Sprüngen.“

      „Auch ich las es“, erwiderte der Priester. „Wir müssen das Opfer bringen, es muß gegeben werden. Es ist nun deine Aufgabe; das klügste und schönste Mädchen des Dorfes herauszusuchen. Sie muß durch Bildung und Schönheit bestechen. Ich hoffe, du triffst die richtige Wahl unter den Töchtern.“

      Als die alte Wu nickte, stand der Entschluß fest.

      Der Graf des gelben Flusses sollte mit der schönsten und klügsten jungen Frau des Ortes vermählt werden.

      Die Reisbauern gingen auseinander. Nur einige blieben noch stehen und sahen voller Besorgnis in den Fluß.

      2.

      Das glügste und intelligenteste Mädchen des Dorfes war die achtzehnjährige Ch’ingchao Li-Hsia. Ihr Name bedeutete soviel wie: Flüssiges Licht im beginnenden Sommer.

      Auf sie fiel die Wahl der Alten, denn sie war an Intelligenz nicht zu übertreffen, und an Schönheit erst recht nicht. Sie hatte eine Schule am Ostmeer besucht und die Sprache der Fremden Teufel zum größten Teil erlernt. Ein Regierungsbeamter hatte ihr versprochen, daß sie eine Stelle beim Staat erhalten würde, die so gut dotiert war, daß ihre Familie nie wieder Reis würde anpflanzen müssen. Und ihre künftige Aufgabe sollte darin bestehen, den beginnenden Handel mit den Fremden Teufeln abzuwickeln, deren Sprache sonst niemand mächtig war, bis auf ein paar Ausnahmen.

      Noch in derselben Stunde erschien die Wu bei ihren Eltern. Feierlich verkündete sie das, was der Priester aus dem Orakel erfahren hatte.

      Der Vater verneigte sich, die Mutter weinte vor Freude, nur „Flüssiges Licht“ blieb still und in sich gekehrt, als sie von der bevorstehenden Vermählung hörte.

      „Diese Ehre“, murmelte der alte Vater, „diese große Ehre trifft ausgerechnet uns Unwürdige.“

      Er umarmte seine Tochter und lächelte stolz.

      „Nun bist du doch zu etwas nütze“, sagte er froh.

      Das Mädchen „Flüssiges Licht“ nickte.

      Sie hatte sich ihre Zukunft etwas anders vorgestellt, indem sie die Eltern und die Familie ernähren wollte, sobald sie die Stelle hatte. Dann wären sie alle Sorgen los. Statt dessen mußte sie dem Flußgott geopfert werden.

      „Ist es nicht von der Regierung verboten?“ fragte sie zaghaft.

      „Soll die Pest über uns kommen? Wagst du einen Widerspruch?“ fragte der Vater zurück.

      „Ich würde nie einen Widerspruch wagen. Ich bin bereit, und ich bin stolz, auserwählt zu werden.“

      In ihrem Herzen war „Flüssiges Licht“ allerdings nicht eine Minute stolz. Ein anderes Mädchen, das nichts anderes kannte als das Dorf und die Reisfelder, wäre vielleicht froh, stolz und überglücklich gewesen, aber „Flüssiges Licht“ war ein besonderes Mädchen, und sie genoß mehr Achtung und Zuneigung als jede andere. Ihrer Intelligenz beugten sich sogar ältere.

      „Ho Po erwartet dich, Ch’ing-chao Li-Hsia“, sagte die alte Wu. „Komm mit, wir werden alles vorbereiten, es soll eine unvergessene Hochzeit werden.“

      Diesmal hatten sich die Reisbauern am Dorfrand versammelt, als „Flüssiges Licht“ erschien. Sie wurde mit vielen Verbeugungen begrüßt. Sie war bleich, und das ließ ihre Schönheit in den Augen der anderen nur noch vollkommener erscheinen. Auf ihren Lippen lag sogar ein Lächeln, als sie in den lehmigen Fluß blickte.

      „Von nun an mußt du zwei Tage fasten“, sagte die alte Wu, „und du mußt zu jeder Zeit zu Yüeh Lao Yeh, dem Mondgott beten. Dein Zelt wird gleich gebaut.“

      „Flüssiges Licht“, verneigte sich, kreuzte die Arme über der Brust und ging die drei Schritte zurück, die vorgeschrieben waren, wenn sie mit einer Priesterin oder Zauberin sprach.

      Dann nahm das Ritual seinen Anfang.

      Zunächst wurde ganz in der Nähe des Flusses ein kleines Zelt errichtet. Es war grob und aus geflochtenem Leinen und enthielt in seinem Innern nichts weiter als eine Matte aus Reisstroh zum Schlafen. Andere Gegenstände gab es nicht.

      Als das Zelt fertig war, ging „Flüssiges Licht“ hinein, setzte sich auf die Matte und begann zum Mondgott zu beten. Von nun an erhielt sie nichts mehr zu essen und zu trinken.

      Gegen Abend des ersten Tages erschien die alte Wu und brachte zwei kleine kostbare Glöckchen aus Jade, die bei der leichtesten Bewegung hell klingelten. Die wurden „Flüssiges Licht“ um den schlanken Hals gehängt.

      Am zweiten Tag versammelten sich wieder alle Reisbauern und Dorfbewohner um das Zelt. Die alte Wu hatte von jeder Familie etwas empfangen, was zur Ausstaffierung der Flußbraut unbedingt notwendig war, damit Ho Po das Opfer auch annahm.

      Sie hüllten sie in die teuersten Seidengewänder, behängten sie mit kostbaren Juwelen, die schon Jahrhunderte im Besitz der Familien waren, kämmten ihr das Haar und schminkten ihr Gesicht mit hellen zarten Pastelltönen. Danach wurde ihr Haar zu einem Turm aufgesteckt und schwarz lackiert.

      „Ho Po hatte noch nie eine schönere Braut gehabt“, sagte die alte Wu glücklich. „Diese Anmut, dieser Liebreiz ihrer Bewegungen, das alles ist vollkommene Harmonie. Gleicht sie nicht ebenfalls einer Göttin?“

      Ja, das fanden sie alle, die Reisbauern, die Jungen und die Alten. „Flüssiges Licht“ glich einer Göttin, einer herrlichen, zerbrechlichen Blume aus allerfeinstem Porzellan.

      Das Mädchen kniete auf ihrer Matte und betete. Sie verspürte weder Hunger noch Durst, sie kannte keine Angst und keinen Zorn. Die Eltern befahlen; die Kinder gehorchten. So war es, und so würde es immer sein.

      Lediglich ein leichtes Bedauern war in ihr, und leise Zweifel überfielen sie immer wieder. Es war keine Rebellion, die „Flüssiges Licht“ so denken ließ, es war auch keine Auflehnung. Aber sie hatte das Gefühl, als wäre ein wunderschöner Traum geplatzt wie die schillernde Seifenblase im Wind. Sah man auf der Außenhaut dieser unglaublich zarten Gebilde nicht auch ein anderes Land, eine andere Zukunft? Eine schillernde Welt, die ganz anders aussah als die Wirklichkeit?

      Ganz überraschend zerplatzten diese zarten Gebilde dann, wenn sie an irgend etwas stießen, und die schillernde, geheimnisvolle Welt der Zukunft fiel lautlos in sich zusammen.

      So ähnlich fühlte sich „Flüssiges Licht“ im Lotosmonat des Mondjahres.

      Sie betete lauter, pries den Mondgott und haderte mit sich selbst, daß sich immer wieder andere Gedanken in ihr reines Gebet zu drängen versuchten, Gedanken, die ein junges Mädchen nicht haben durfte.

      Auch mißfiel es ihr, daß sie immer wieder abgelenkt wurde, denn sie ertappte sich dabei, daß sie zwischen zwei Gebeten manchmal einen Blick durch die schmalen Ritzen des Zeltes warf. Dann sah sie den Fluß schäumen, hörte sein Brausen und Tosen und glaubte, die Stimme des Flußgrafen zu hören.

      Sie sah und hörte aber auch noch etwas anderes: Die Reisbauern und die Jungen waren eifrig dabei, ein kleines Floß zu bauen, eine kostbare Brautstatt, die einem schwimmenden Bett glich, in dem der Flußgraf sie zur Hochzeitsnacht erwartete.

      Warum nur füllen sich meine Augen immer wieder mit Tränen? fragte sie sich verzweifelt. Ein anderes Mädchen hätte bestimmt nicht geweint – es wäre überglücklich gewesen.

      Sie versuchte diese Gedanken weit von sich zu weisen, kniete wieder auf ihrer Matte und betete. Nicht mehr lange, und der Graf des gelben Flusses würde sie holen, dann war alles vorbei.

      3.

      Am dritten Tag war es soweit.

      Über dem Dorf spannte sich immer noch ein blauer Himmel,

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