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hatte, von ungeheurer Zähigkeit. Für ihn waren alle Entbehrungen eine ständige Herausforderung gewesen, die es zu besiegen gegolten hatte.

      Der dritte Mann an Bord hatte den Rang eines einfachen Seemanns. Brendan O’Donovan, gleichfalls rothaarig, klein und krummbeinig, war drei Jahre älter als sein Kapitän. Sein Gesicht, in dem die Augen wie blaßblaue Knöpfe ruhten, spiegelte eine gehörige Portion Gerissenheit. Makrelenschwärme witterte er mit untrüglicher Sicherheit, wie er behauptete. Und wenn es gelang, ein volles Netz an Bord zu hieven, betrachtete er dies als einen Erfolg seiner persönlichen List.

      „Wir werden dich nie vergessen, Liam“, sagte O’Donovan mit einem letzten Blick auf die dunklen Wogen. „Niemals!“ O’Donovan sprach Gälisch, seine Muttersprache und die seiner Landsleute. Von fremden Einflüssen nahezu unberührt, hatten die Bewohner Irlands diese guttural klingende keltische Sprache seit Urzeiten bewahrt.

      Patrick Behan zog die Schultern hoch, doch es war kein Zeichen dafür, daß er fror.

      „Ich werde der nächste sein. Ich fühle es.“

      „Hör auf mit dem Unsinn“, knurrte sein Sohn, „solange wir am Leben sind, gibt es Hoffnung. Hast du das nicht immer gesagt?“

      Der alte Mann lächelte und entblößte dabei die wenigen Zahnstümpfe, die er noch hatte.

      „Recht so, Junge. Aber irgendwann, muß man aufhören, sich was vorzuerzählen. Redmond Flaherty war der erste. Es ist noch nicht lange her, daß wir ihn über Bord werfen mußten. Und jetzt Liam Collins. Gegen die Naturgesetze kann man nichts …“

      „Schluß jetzt“, unterbrach ihn Seamus. „Der Kapitän der ‚Cruiscin Lán‘ will solche Reden an Bord nicht mehr hören, alter Mann.“

      Brendan O’Donovan nickte eifrig. Warnend hob er den Zeigefinger. „Also keine Meuterei, Paddy! Selbst auf einem gottverdammten Wrack ist der Kapitän noch immer der Kapitän.“

      Patrick Behan schüttelte müde den Kopf.

      „Galgenhumor kann ich nicht leiden, Brendan. Weil es kein echter Humor ist.“

      „Na und? Soll ich vielleicht in Tränen ausbrechen, oder was?“

      „Er hat recht, Dad“, sagte Seamus Behan, „wenn wir jetzt anfangen, den Kopf hängen zu lassen, können wir am besten gleich in den Teich springen.“

      Der alte Behan lehnte sich gegen den Mast, an dem kein einziger Fetzen Tuch mehr hing. Die Augen des alten Mannes hatten jeden Glanz verloren. Da war nichts mehr von der ehernen Willenskraft, die sich sonst stets in diesen Augen spiegelte.

      „Ich will euch nicht dreinreden“, murmelte er, „wenn ihr beide glaubt, noch Hoffnung haben zu können, dann kann ich nichts dagegen sagen. Aber für mich ist der Kampf zu Ende. Gegen die See hat keiner eine Chance – nicht mit diesem lächerlichen Klumpen Holz, der einmal die ‚Cruiscin Lán‘ gewesen ist.“

      Seamus Behan und Brendan O’Donovan schwiegen betreten. Pessimismus war eine Seite, die der alte Patrick nie so offen gezeigt hatte. Daß er es jetzt plötzlich tat, machte ihre ausweglose Lage auf erschreckende Weise deutlich. Wenn Patrick Behan aufgab, hatte das etwas ungeahnt Schwerwiegendes. Der grauhaarige Alte war immer eine unerschütterliche Stütze gewesen. Und die sollte es auf einmal nicht mehr geben?

      Seamus Behan ließ den Blick aus weiten Augen über sein Boot gleiten, als sähe er jetzt zum ersten Mal, was geschehen war.

      In der Tat war der Anblick mehr als niederschmetternd. Der Mast ragte wie ein einsamer Zahnstocher in den grauen Morgenhimmel, die Rah hing schief herab – ohne das mehrfach geflickte Segel. Die Schergen Lord McCarthys hatten es hohnlachend über Bord geworfen. Das war unter der Küste gewesen, kaum mehr als zwei Seemeilen südöstlich von Glandore.

      Aber sie hatten sich nicht damit begnügt, das Segel herunterzureißen. Mit Axthieben hatten sie das Ruder zerstört, die Fangleinen gekappt und sämtliche Proviantvorräte den Fischen zum Fraß vorgeworfen. Es gab kein Trinkwasser mehr an Bord und nicht einmal einen Napf, in dem man den Regen hätte auffangen können. Ebenso keinen noch so winzigen Fetzen Tuch, aus dem man ein Notsegel hätte knüpfen können.

      Ja, Lord McCarthys Halunken hatten an alles gedacht. Außer ihren bloßen Händen und dem bißchen, was sie auf dem Leib trugen, verfügten die Männer an Bord des Fischerbootes über nichts mehr, was ihnen geholfen hätte. Mit diesen bloßen Händen konnten sie keine Fische fangen, um ihren Hunger zu stillen. Jeder von ihnen hätte ein Königreich für ein Stück Schnur und einen Haken gegeben.

      Seamus Behan wußte nur zu gut, daß sein Vater recht hatte. Es gab keinen Grund mehr, sich Illusionen vorzugaukeln. Noch trieb das Boot wie eine ruderlose Nußschale in der See, vom Wind und von Meeresströmungen mäßig getrieben. Aber sobald ein Sturm aufkommen würde, war es aus. Dann konnten sie ziemlich sicher sein, daß sie an einem der vielen Riffs vor der südirischen Küste zerschellen würden.

      Damit endete dann die Geschichte der „Cruiscin Lán“, des plump aussehenden einmastigen Rahseglers. Schon in der dritten Generation war dieses aus hartem Pitchpine-Holz gebaute Boot von Glandore zum Fischfang ausgelaufen. Wenn keine höhere Gewalt daran gedreht hätte, wäre auch noch eine vierte Generation mit dem soliden Einmaster groß geworden.

      „Vielleicht“, sagte Brendan O’Donovan leise, „kriegen wir bald auflandigen Wind. Und dann …“

      „Ja, vielleicht.“ Seamus Behan nickte gedankenverloren. Er blickte seinem Vater nach, der sich mit unendlich trägen Bewegungen abwandte und durch die offene Luke unter Deck sinken ließ. Dort unten, dachte Seamus mit einem Anflug von Bitterkeit, hat man einen ruhigen Platz zum Sterben.

      Er mußte sich nun selbst abwenden, starrte auf die düstere See hinaus und verkrampfte die Hände über dem Schanzkleid. O’Donovan sollte die Tränen in seinen Augen nicht sehen. Seamus konnte diese Tränen nicht unterdrücken. Wut und Verzweiflung ließen sie emporsteigen. Wut auf die grausamen Unterdrükker, die die Leute von Glandore bis aufs Blut knechteten. Verzweiflung über den eigenen Niedergang, den man hätte voraussehen können, aber vielleicht doch nie vermieden hätte.

      Ja, Seamus Behan mußte vor sich selbst zugeben, daß es nur ein kleiner Schritt war, um in die gleiche Niedergeschlagenheit zu verfallen, die bereits von seinem Vater Besitz ergriffen hatte.

      Wie viele Tage und Stunden vergangen waren, seit die McCarthy-Schergen sie unter der Küste überfallen hatten, vermochte keiner von ihnen mehr zu sagen. Sie hatten jegliches Zeitgefühl und auch die Orientierung verloren. Redmond Flaherty war als erster an Hunger und Entkräftung gestorben. Dann Liam Collins, und wahrscheinlich hatte der alte Mann recht damit, daß er der nächste sein würde.

      Niemand würde jemals die Wahrheit über ihr Schicksal erfahren, denn niemand hatte den grausamen Zwischenfall beobachtet. Sie würden auf Nimmerwiedersehen in der endlosen Weite der irischen See verschwinden – so, wie es Lord Facthna McCarthy in seinen heimtückischen Gedankengängen vorausberechnet hatte.

      Nun gut, der Lord hatte es also geschafft, den Aufsässigsten unter den Fischern von Glandore aus dem Weg zu räumen. Sollte er mit diesem Erfolg selig werden. Vielleicht gab es eine überirdische Gerechtigkeit, die ihn strafte. Irgendwann, wenn die Knochen der Behan-Crew auf dem Meeresgrund längst ausgebleicht waren.

      Ein seltsames Gefühl von Sehnsucht ergriff den rothaarigen Mann am Schanzkleid des Einmasters, während er auf die dunklen Wogen blickte. Eine trügerische Eingebung begann ihm vorzugaukeln, daß es dort, tief unten, Geborgenheit, Wärme und Ruhe gäbe.

      Seamus Behan begriff nicht, daß es die Vorboten des Todes waren, die sich seiner Sinne bemächtigten.

      2.

      „Affenarsch!“

      Schrill keifend tönte es aus der Kapitänskammer.

      „Affenarsch! Affenarsch!“

      Und helle Stimmen waren zu hören – freudig lachend, voller Begeisterung. Ihre Worte indessen waren fremdartig.

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