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bei einem, zwei oder auch drei Bechern Wein. Hier reagierte er auch seinen Haß gegen seinen Herrn ab, der ihn oft und gern mit Stiefeltritten traktierte.

      Dieser Mann war der Kerkerkommandant. Carnera war der Kalfaktor im Gefängnis, der Mann, den man trat und stieß, anbrüllte und verfluchte. Er war das Mädchen für alles, keine Arbeit war zu dreckig für ihn. Carnera hier, Carnera da, Carnera vorn und hinten – er wurde wie ein Hund behandelt.

      All seih Leid klagte er in dieser Nacht dem neuen Zechbruder, den er kennengelernt hatte. Ein alter Mann mit einem dichten Vollbart, der selbst nur wenig Bier trank, dafür aber ihm, Carnera, schon den vierten Becher Rotwein ausgegeben hatte.

      „Du bist in Ordnung“, sagte Carnera. „Mit dir kann man wenigstens reden.“

      „Ja“, sagte Jussuf. „Ich verstehe dich nämlich. Ich habe selbst auch schon viel erlitten.“

      „Wohnst du in Havanna? Ich habe dich hier noch nie gesehen.“

      „Ich bin mal hier, mal da.“

      „Ist ja auch egal“, sagte Carnera und trank wieder einen tüchtigen Schluck Wein. „Die Hauptsache ist, der Mensch lebt und hat was zu saufen.“

      „Du arbeitest also im Kerker?“ fragte Jussuf.

      „Ja. Manchmal fühle ich mich selbst wie einer der Kerle, die da einsitzen. Der Kommandant ist ein Leuteschinder. Der Sargento ist auch nicht viel besser, und die Soldaten verhöhnen mich dauernd. Ein Drecksleben ist das.“

      Sie saßen im „Malagena“ neben einer Säule an einem kleinen Tisch. Die Kaschemme war inzwischen wieder eingerichtet worden. Lopez und Libero hatten sich die größte Mühe gegeben, wenigstens die Theke, die Regale, die Tische und Stühle wieder in Ordnung zu bringen.

      Denn Lopez wollte sich sein gutes Geschäft nicht verderben lassen, nicht durch einen Caligula und nicht durch Diego Cámara und den Gendarmen, die ins Gras gebissen hatten. Ein weiterer Gendarm, so hieß es, lag im Sterben. Aber all das und die Erzählungen, die über Caligulas Raserei in Havanna kursierten, machten die „Malagena“ nur noch attraktiver. Brechend voll war es in dieser Nacht.

      Jussuf hatte herausgefunden, daß Carnera der Kalfaktor im Stadtgefängnis war. Er hatte ihn beschattet und war ihm gefolgt. Dann war es ihm gelungen, ihn in ein Gespräch zu verwickeln und ihn zu einem „Schlückchen Wein“ einzuladen.

      „Hast du auch mit den Gefangenen zu tun?“ fragte er ihn.

      „Ja.“

      „Sitzt nicht dieser Schwarze im Kerker, der hier Amok gelaufen ist?“

      „Ja, der. Das ist vielleicht ein Kerl. Ich habe Angst vor ihm.“

      „Sitzt er denn sicher?“

      „Das schon. Er ist ja angekettet. Und jeden Tag wird er verhört“, erwiderte Carnera. „Aber er schreit nicht, das ist der Witz. Ich habe noch keinen erlebt, der so gut Schmerzen aushält wie der.“

      Jussuf schloß unwillkürlich die Augen. Er verachtete alles, was mit Grausamkeit zu tun hatte. Folter und peinliches Verhör waren für ihn etwas grenzenlos Gemeines, Menschenunwürdiges, auch im Fall eines Mannes wie Caligula.

      „Er sitzt also in Einzelhaft?“ fragte er.

      „Ja. Zu den anderen Galgenvögeln hat er keinen Kontakt. Und das ist auch gut so. Er würde die anderen bloß aufwiegeln, hat der Sargento gesagt.“

      „Und der Kommandant? Verhört er ihn persönlich?“

      „Nein. Das tut der Gouverneur. Don Antonio. Der Dicke.“ Carnera grinste und trank seinen Becher leer. Jussuf griff zum Krug und schenkte nach. „Hast du den schon mal in seiner Prachtkarosse durch Havanna rollen sehen?“

      „Nein, noch nie.“

      „Er spielt sich auf wie der König von Spanien persönlich. In der Residenz sind auch die Türklinken aus Gold, und er kleidet sich wie zwei Fürsten auf einmal. Er gibt rauschende Feste und hat immer die schönsten Frauen um sich.“

      „Das freut mich für ihn“, sagte Jussuf. Absichtlich stellte er sich unbedarft und unwissend. Dieser Carnera war ein Plappermaul, eine ausgesprochene Plaudertasche, dessen Geschwätzigkeit von Becher zu Becher stieg. Er war froh, daß er mal alles abladen durfte, was ihm auf der Seele lag. Es geschah sonst selten, daß ihm jemand so aufmerksam zuhörte wie dieser „alte Bart“, von dem er noch nicht einmal den Namen wußte.

      Carnera nahm rasch noch einen Schluck Wein zu sich, dann schüttelte er so heftig den Kopf, daß Jussuf zu fürchten begann, er würde ihm von den Schultern fallen.

      „Nein“, sagte Carnera. „Das darf dich nicht freuen. Frag lieber, woher er das viele Geld hat.“

      „Als Gouverneur ist er sicher gut bezahlt.“

      „Aber nicht so gut, daß er sich all den Prunk leisten kann.“

      „Ich verstehe nicht, auf was du hinauswillst.“

      „Don Antonio ist schlimmer als dieser Caligula“, raunte Carnera ihm über den Tisch hinweg zu. „Ein Schnapphahn und Galgenstrick der übelsten Sorte. Das glaubst du nicht? Oh, dann mußt du aber noch viel lernen, mein Freund.“

      „Du meinst, er sei bestechlich oder so?“

      „Durch und durch korrupt.“

      „Und das darf sich ein Gouverneur ungestraft erlauben?“ fragte Jussuf mit gespielter Empörung.

      „Ja. Keiner klopft ihm auf die Finger. Er ist wie ein Krake. Was er einmal an sich gerissen hat, das gibt er nicht wieder frei.“ Carnera beugte sich vor. Sie waren wie zwei Verschwörer, die die Köpfe zusammenstecken und einen geheimen Plan aushecken. „Nur einer hat versucht, ihm das Handwerk zu legen. Der Mann heißt Don Juan de Alcazar, und er soll ein Sonderbeauftragter des spanischen Königs und der Casa de Contratación sein. Auch den Rang eines Generalkapitäns hat er. Mehrfach hat er Don Antonio gerügt, seit er hier ist, und dafür hat der Dicke versucht, ihn verschwinden zu lassen. Du weißt wohl nicht, was hier passiert ist, als der Pirat Catalina die Stadt angriff, um sie in Schutt und Asche zu legen, was?“

      „Nein, davon habe ich nichts gehört.“

      Carnera holte zu einem ausführlichen Bericht über die jüngsten Ereignisse in Havanna aus. Er ließ nichts aus und erzählte und erzählte bis hin zu dem Tag, an dem Don Juan mit Cariba, dem Kreolen, an Bord der „Pax et Justitia“ gegangen und die Kriegskaravelle zur Jagd auf den Seewolf ausgelaufen war.

      Jussuf unterbrach den Alten absichtlich nicht. Er wollte ihn nicht verärgern oder mißtrauisch stimmen. Carnera würde von sich aus wieder über Caligula sprechen. Im übrigen war es interessant, zu hören, wie gut er über alles informiert war. Nichts schien seiner Aufmerksamkeit zu entgehen. Jussuf merkte sich dies für spätere Gelegenheiten. Ein Informant wie dieser Alte konnte für ihn noch andere Male von großem Nutzen sein.

      „So ist das in Havanna“, schloß Carnera seinen umfangreichen Bericht ab. „Da siehst du mal, was hier so alles passiert.“ Er trank und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. „Aber warum erzähle ich dir das eigentlich alles? Du langweilst dich wahrscheinlich.“

      „Durchaus nicht“, beeilte sich Jussuf zu versichern. „Für mich ist das spannend. Aber du wolltest mir noch mehr über diesen Caligula erzählen.“

      „Richtig. Ich bringe ihm das Essen und Trinken und kehre seine Zelle aus. Er hat mich gefragt, ob ich ihm nicht heimlich ein Werkzeug zuschmuggeln könnte, aber ich habe geantwortet, das sei mir zu riskant. Wenn er flieht, kriegt der Kommandant doch sofort raus, wer ihm geholfen hat.“

      „Ja, bestimmt.“

      „Daraufhin hat er mich beschimpft und bespuckt. Ich gehe nicht mehr gern zu ihm rein. Ich habe Angst, er könnte mich mit den Ketten erdrosseln.“

      „Und Don Antonio foltert ihn, oder?“

      „Ja, genau das. Zweimal hat er ihn schon ausführlich

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