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und setzte sich. Die Öllampe zündete er nicht wieder an.

      „Da ist tatsächlich jemand hinter uns“, sagte er. „Ich wette, Beekens hat alles aufgeboten, um unsere Abreise zu verhindern.“

      „Was tun wir denn jetzt?“ kreischte Henrietta. Sie gestikulierte in der Dunkelheit.

      Wim Wijninga tastete nach der kleinen Truhe, die vor seinem Sitz, unter seinen Beinen, stand. Es befanden sich die wichtigsten geschäftlichen und persönlichen Dokumente darin. Alles andere war schon an Bord der „Marijke van Brabant“ und wurde bewacht. Alles andere – vor allem das Barvermögen, das er in Sicherheit zu bringen gedachte.

      „Sag, was wir tun können, Joop!“ rief Wijninga mit ängstlicher Stimme.

      „Ganz einfach“, erwiderte der Hüne mit lautstarker Zuversicht. „Wir werden sie überlisten.“ Er schilderte seinen Plan kurz und bündig, mit wenigen Sätzen.

      Wim Wijninga klatschte begeistert in die Hände. „Phantastisch! Einfach phantastisch!“

      „Joop weiß immer einen Ausweg“, sagte Henrietta Wijninga.

      Sie befanden sich noch immer in der Mündung der Themse. Doch längst waren keine Ufer mehr zu sehen. Dieser Aprilmorgen des Jahres 1598 war so grau, wie ein Aprilmorgen nur sein konnte.

      Feine Regenschwaden wehten über das Deck der Schebecke, die vor einem mäßigen Westwind auf Nordostkurs lag. Die von der Feuchtigkeit durchtränkten Lateinersegei schienen nur widerwillig auf den Wind zu reagieren, klatschten bisweilen erschlaffend und blähten sich dann wieder unter erneut zunehmender Windkraft.

      An Deck hielten sich achtern nur der Seewolf, Dan O’Flynn und Rudergänger Pete Ballie auf. Vorn ging Ed Carberry breitbeinig auf und ab, die Riesenpranken auf den Rücken gelegt. Al Conroy überprüfte sorgfältig jede einzelne Ölzeugabdeckung, die er und seine Helfer den insgesamt zwölf Culverinen und vier Drehbassen schon am Morgen des vorangegangenen Tages angelegt hatten.

      London verabschiedete sich auf die Art und Weise von ihnen, die böse Zungen der englischen Hauptstadt als unabänderliches Merkmal andichteten: neblig, regnerisch, trübe, kalt.

      Carberry blieb neben dem schwarzhaarigen Stückmeister stehen.

      „Jetzt fehlt bloß noch, daß es schneit“, sagte er mißmutig.

      Al Conroy zupfte zur Probe an den kreuzweise gezurrten Tauen, die sich über dem Lauf des vorderen Geschützes an Steuerbord spannten. Er richtete sich auf und wandte sich zu dem Mann mit dem Narbengesicht um.

      „Hast du vergessen, was so ein richtiger englischer April ist, Mister Carberry? Der kann machen, was er will. Und wenn’s ihm gefällt, dann liefert er dir auch ein bißchen weiße Pracht.“

      „Ich fühle mich gleich wie Weihnachten“, entgegnete der Profos brummend. „Aber feierlich wird’s auf jeden Fall. Das kann ich dir flüstern.“ Er klatschte mit der Linken gegen den vorderen Pfahlmast, als würde der Klang des Holzes seine Prophezeiung bestätigen.

      „Ich nehme an, du redest nicht davon, daß du uns Weihnachtslieder vorsingen willst.“ Al Conroy grinste.

      Der Profos tippte sich an die Stirn. „Himmel, Arsch, ich rede die ganze Zeit vom Wetter. Von was denn wohl sonst?“

      „Man merkt, daß wir in England waren. Da gibt’s ja kein anderes Thema als das verdammte Wetter. Hast dich richtig dran gewöhnt, was?“

      Carberry grinste ebenfalls. „An das Gerede – ja. Aber an das Wetter selbst nicht. Da ist mir die Karibik doch zehnmal lieber. Dir etwa nicht?“

      „Klar, Mann. Bloß fasele ich nicht von Schnee und solchen Scherzen. Und feierlich ist mir ganz und gar nicht.“

      Carberry schüttelte mißbilligend den Kopf. „Nicht dir wird feierlich. Keinem von uns. Da oben geht’s rund, sage ich dir.“ Mit hochgestrecktem Daumen deutete er zum wolkenverhangenen Himmel. „Die Nordsee kommt uns diesmal schräg, fürchte ich.“

      „Sturm?“

      „Haargenau.“

      „Woher willst du das wissen?“

      „Das rieche ich.“ Der Profos schob das mächtige Rammkinn vor und reckte die Nase in den Wind. „Aus diesem schlappen Lüftchen wird ein höllisch rauher Hundesohn. Darauf kannst du Gift nehmen. Die Luft riecht danach.“

      Der Stückmeister grinste breiter. „Kein Kunststück, deine Vorhersage. So was kann jeder.“

      „Was? Wie?“ Der Profos starrte ihn an.

      „Na klar! Die Wahrscheinlichkeit, daß wir Sturm kriegen, kannst du an zehn Fingern ausrechnen. Erstens geht es auf der Nordsee sowieso selten friedlich zu. Zweitens haben wir April, wie du mittlerweile festgestellt haben wirst. Und drittens werden wir bis Norwegen lange genug unterwegs sein, um von jeder denkbaren Wettersorte was abzukriegen. Laß uns mal ausrechnen, wie wir die Wahrscheinlichkeit in Zahlen ausdrücken können …“

      Ed Carberry nahm Reißaus. Manchmal gierte Al regelrecht danach, sich als Rechenkünstler zu betätigen. Solange es sich auf Pulvermengen und Geschoßgewichte bezog, war dagegen nichts einzuwenden. Doch wenn Al anfing, mit seinen Zahlen öffentlich herumzujonglieren, dann konnte einem leicht der Schädel schwirren – sofern man ihm nur lange genug zuhörte.

      Carberry nahm daher schlendernd Kurs auf die Kombüse, zumal ein erstes leises Knurren seines Magens bereits meldete, daß die Frühstückszeit näherrückte. In Vorfreude schnuppernd pirschte er auf das spaltbreit offenstehende Kombüsenschott zu. Weder Mac Pellew, der alte Griesgram, noch der Kutscher ließen sich gern auf die Finger und in die Töpfe gucken. Vor allem morgens konnten sie da giftig werden wie Stachelrochen. Es war also ratsam, die geruchsmäßige Topf- und Pfannenerkundung tarnend und täuschend durchzuführen.

      Er beschloß, dieses Vorhaben mit der gebotenen Unauffälligkeit in die Tat umzusetzen, ehe er daran ging, dem Rest der Crew ein leises „Reise, reise, aufstehen!“ ins Ohr zu flüstern. Natürlich würde er den Anforderungen des Borddienstes dann am besten gewachsen sein, wenn ihn eine gewisse Vorfreude erfüllte. Ein Vorgeschmack auf das, was wohl spätestens in einer halben Stunde Leib und Seele wieder ins Lot bringen würde.

      Die Gedanken des Profos wanderten in anregende Richtungen, während er sich lautlos dem Kombüsenschott näherte. Er stellte sich knusprig gebraten und doch saftigen Schinkenspeck vor – von gutgenährten englischen Schweinen stammend. Dazu konnten Mac oder der Kutscher ein paar Dutzend von den frischen Eiern, die sie in London eingekauft hatten, in die Pfannen hauen. Englische Hühner legten nur große braune Eier, und die waren bekanntlich besonders nahrhaft.

      Er wandte kurz den Kopf. Hasard, Dan und Pete sahen ihn. Aber sie würden ihn nicht verraten, das wußte er. Er konnte völlig beruhigt sein.

      Er reckte die Nase vor und versuchte, Witterung aufzunehmen. Erstaunlich war nur, daß sein Riechorgan keinen der vermuteten Genüsse ankündigte. Nun, auch dafür gab es eine Erklärung, das war kein Grund zur Beunruhigung. Die Ursache lag im Einfallswinkel des Windes. Deshalb auch das offenstehende Schott. Die Kombüsenstinte ließen die frische Luft hereinwehen, um sich die Köpfe zu kühlen. Nichts drang folglich heraus.

      Er verharrte vor dem Spalt, der die Breite von zwei Handtellern hatte. Drinnen dampfte und brodelte es. Mac Pellew und der Kutscher arbeiteten im Zwielicht aus der mäßigen Helligkeit des beginnenden Tages und dem Schein ihrer Ölfunzeln.

      Er sah lediglich die Schultern der beiden Männer und ihre roten Köpfe im Halbprofil. Sie schwitzten, während sie rührten. Es waren große hölzerne Löffel, die sie mit beiden Fäusten halten mußten, um den Inhalt der Töpfe in Bewegung zu setzen.

      Die Augen des Profos wurden groß. Da waren nur diese Töpfe auf dem Kochfeuer. Eher Kübel schon, vier an der Zahl. Nichts sonst. Keine Pfannen. Kein Brutzelgeräusch. Nur dieses merkwürdige Brodeln, hin und wieder unterbrochen von regelrechtem Schmatzen. Der Profos schnupperte heftiger.

      Bei allen Seeteufeln, so stark war der Wind nicht, daß er jeglichen Geruch vertrieben

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