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zurück.

      „Scheint so. Ich kann nur eins erkennen. Aber hoffentlich tauchen nicht noch mehr dieser Biester aus dem Mangrovendickicht auf. Es ist sicherlich nicht das einzige, das sich dort aufhält.“

      Auch Philip und Hasard, die beiden Sprößlinge des Seewolfs, blickten gespannt zum Ufer hinüber, und man merkte ihnen an, daß ihnen die Abenteuerlust unter der Haut prikkelte.

      „Mister Brighton, Sir“, ließ sich Hasard junior vernehmen. „Können wir nicht ein Boot klarmachen – ich meine, können wir nicht …“

      „Das ist gut von dir gemeint, Hasard.“ Ben Brighton lächelte. Er hatte während der Abwesenheit des Seewolfs das Kommando an Bord und setzte den Kieker ab. „Aber es würde unseren Leuten dort drüben nichts bringen. Mit einem Krokodil kann man nicht lange kämpfen. Bis wir ein Boot abgefiert haben und dort drüben sind, ist der Kampf längst entschieden, auch wenn wir uns noch so sehr in die Riemen legen.“

      „Aber – aber Krokodile sind doch sehr gefährlich, nicht wahr?“

      „Natürlich. Hoffen wir, daß es deinem Vater und den anderen Männern gelingt, mit diesem Biest fertig zu werden. Sie haben schon ganz andere Situationen gemeistert, meinst du nicht auch?“

      „Natürlich, Sir. Gibt es hier nicht auch die gefürchtete Anaconda? Ich meine diese riesige Würgeschlange?“

      Ben Brighton nickte und lächelte über die Wißbegierde der Zwillinge.

      „Ja“, sagte er dann. „Die gibt es hier auch, dazu noch die gefräßigen Piranhas, Zitteraale, Lamantine und natürlich auch Ameisenbären, Tapire, Wasserschweine, Affen und Faultiere. Aber die riesigen Mohrenkaimane sind wohl noch mit die gefährlichsten aller Tiere, die es hier gibt.“

      Wieder setzte Ben Brighton das Spektiv ans Auge und blickte zur Sandbank hinüber. Und im selben Augenblick stieß er einen erschreckten Laut aus.

      „Ed Carberry“, sagte er, und sein Gesicht wurde sehr ernst. „Mein Gott, wenn das nur gutgeht …“

      Noch während der Kapitän der „Isabella“ geschickt reagierte und auf die Muskete zuhechtete, die dem Profos entfallen war, schnellte Ferris Tucker vor. Er hatte inzwischen seine riesige Zimmermannsaxt aus dem Gürtel gerissen und sprang den Kaiman von der Seite her an.

      Blitzartig schoß das Tier herum und war somit für einen Moment von Ed Carberry abgelenkt, der sich gerade vom Boden hochstemmen wollte. Im selben Augenblick blitzte die stählerne Axt im grellen Licht der Sonne und traf wuchtig den Schädel der Echse.

      Das Tier stieß einen brüllenden Laut aus und begann wie verrückt zu toben.

      Sein neuer Feind hieß jetzt Ferris Tucker.

      Bevor der breitschultrige Schiffszimmermann der „Isabella“ noch einmal die Axt einsetzen konnte, erwischte ihn ein gewaltiger Schwanzschlag des Reptils und schleuderte ihn mehrere Yards über die Sandbank weg. Für einen Augenblick hatte er das Gefühl, als wären ihm sämtliche Knochen im Leib zerschmettert worden. Doch Ferris Tucker war ein harter Brocken. So schnell brachte man ihn nicht aus dem Gefecht.

      Sofort raffte er sich wieder auf – und das keinen Atemzug zu spät, denn der Mohrenkaiman, der sich wohl seiner bereits angeschlagenen Beute sicher fühlte, folgte ihm sandaufwirbelnd. In dem Moment, in dem Ferris Tucker die Axt hochreißen wollte, riß die Bestie den Rachen auf. So verblieb dem rothaarigen Mann nicht mehr die Zeit, die Axt wie geplant einzusetzen.

      Bevor er zurückwich, warf er dem Kaiman in letzter Verzweiflung die große Axt in das aufgesperrte Maul.

      Sofort klappten die Kiefer zusammen, ein Krachen und Knirschen ertönte, und der kräftige Stiel der Axt bestand nur noch aus zertrümmerten Holzresten.

      „Das gibt es doch nicht!“ entfuhr es den Lippen Ferris Tuckers. Ungläubig starrte er auf das wütende Krokodil.

      Inzwischen hatte der Seewolf das Tier anvisiert, und die Muskete krachte, bevor es wieder auf sein jetzt wehrloses Opfer losgehen konnte. Die Kugel fuhr in den Schädel des Kaimans, durch dessen Körper plötzlich ein kurzes Zucken ging. Er klappte die mächtigen Kiefer auf und wieder zu. Für einen weiteren Augenblick rührte er sich nicht, dann fuhr er herum und kroch in das nahe Brackwasser der Flußmündung zurück.

      Die Seewölfe atmeten auf. Die Situation war verdammt gefährlich gewesen, aber sie hatten gemeinsam den Kampf auf Leben und Tod gewonnen.

      Deutlich sahen sie eine Blutspur im Sand, als das verwundete Tier in das blaugrüne Wasser eintauchte.

      „Das war knapp, Leute“, sagte Hasard, „verdammt knapp sogar.“

      Auch dem Profos stand noch der Schrecken in seinem zernarbten Gesicht.

      „Und ich habe mich schon im Rachen dieses Krokodils gesehen“, sagte er, und fast konnte man einen ehrfürchtigen Gesichtsausdruck bei ihm erkennen.

      Dan O’Flynn, der sich nach wie vor darüber ärgerte, daß seine Pistole im entscheidenden Augenblick versagt hatte, konnte sich eine Bemerkung nicht verkneifen. „Da hätte sich das Vieh aber schön den Magen an dir verdorben, sicherlich wäre es hinterher jämmerlich eingegangen.“

      Noch bevor der Profos antworten konnte, ließ ihn, wie auch die drei anderen Männer, ein plötzliches Rauschen im Wasser herumfahren.

      Ganz in der Nähe der Stelle, an der der Kaiman ins Wasser geglitten war, brodelte und kochte es plötzlich. Augenblicklich wurde den Seewölfen klar, was sich dort abspielte. Es erfüllte sich das Gesetz des Regenwaldes: fressen und gefressen werden.

      Piranhas, jene kleinen stumpfgesichtigen Fische mit den rasiermesserscharfen Zähnen, hatten Blut gewittert. Ganz plötzlich waren sie da, wie aus dem Nichts herbeigezaubert. Das Wasser wurde aufgewühlt und färbte sich stellenweise rot vom Blut des Kaimans, von dem nach Minuten nicht mehr als das Skelett übrigbleiben würde.

      Das Reptil schlug wild um sich, als der riesige Schwarm der kleinen silbrigen Fische mit ihren scherenartigen Gebissen Stücke aus seinem Fleisch heraussägte. Aber die Kraft des Mohrenkaimans erlahmte schnell. Bald war das grausige Schauspiel vorbei, das die vier Männer auf der Sandbank wie gebannt beobachtet hatten.

      Jetzt konnten sie sich wieder lebhaft vorstellen, wie Jeff Bowie, der zur Besatzung der „Isabella“ gehörte, zu seiner Hakenprothese an der linken Hand gekommen war. Piranhas hatten ihm die Hand vor Jahren zerfleischt. Der gute Jeff konnte noch von Glück sagen, daß es bei der Hand geblieben war.

      Nachdem die Seewölfe ihre Schußwaffen nachgeladen hatten, konnten sie sich nun endlich dem Wrack der Galeone zuwenden, das hinter ihnen auf der Sandbank lag, und zwar dort, wo der Landstreifen fast nahtlos in den Mangrovendschungel überging.

      3.

      Der Anblick, der sich ihren Augen bot, war grausig und ließ selbst hartgesottenen Männern wie Philip Hasard Killigrew, Ed Carberry, Ferris Tucker und Dan O’Flynn eine Gänsehaut über den Nacken kriechen. Der Kampf mit dem Mohrenkaiman hatte ihre Aufmerksamkeit so sehr beansprucht, daß ihnen erst jetzt die Unheimlichkeit und Rätselhaftigkeit des Wracks bewußt wurde.

      Was von der Galeone übriggeblieben war, war nur ein Gerippe. Die Beplankung fehlte ganz, und nur die Querspanten ragten nach allen Seiten hervor, so daß man rundum durch das Wrack blicken konnte.

      Aber nicht das war es, was die vier Männer von der „Isabella“ für einen Augenblick verstummen ließ, sondern der Hauch des Todes, der über dieser Stätte lag.

      Auf dem Kielschwein des Wracks und an den Querspanten hockten ausgebleichte, menschliche Gerippe, als warteten sie darauf, von jemandem abgeholt zu werden. Es waren mehr als ein Dutzend Skelette, die in der Sonne bleichten und dieser Stätte des Todes eine unheimliche Ausstrahlung verliehen – trotz des Lebens im Hintergrund, trotz der vielfältigen Stimmen, die aus dem Dschungeldickicht herüberdrangen. Stumm und aus leeren Augenhöhlen schienen die Toten den Männern entgegenzublicken – eine starre, unbewegliche Gesellschaft, die wie zu einer Versammlung

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