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      Jemand, wahrscheinlich der Hausherr selbst, hatte sie verloren. Der Mann mußte seine Barschaft hastig zusammengerafft haben. Sicherlich hatte er sie in einen Lederbeutel gesteckt. Dann hatte er mit seiner Familie die Flucht ergriffen – ehe es zu spät dazu war.

      Nun, der Señor hätte sich doch etwas mehr Zeit lassen können. Bis hierher war das plündernde Pack noch nicht vorgedrungen. Aber wer sollte das ahnen? In der allgemeinen Panik war es allen nur richtig erschienen, sich schleunigst hinter die schützenden Mauern der Residenz zurückzuziehen, ehe man ihnen die Köpfe einschlug und ihnen die Gurgeln durchschnitt.

      El Sordo kicherte vergnügt und drehte jede Münze einzeln in den Fingern um. Osvaldo zählte, was sich da ansammelte.

      „Ein Piaster, zwei Dukaten, ein Real und drei Dublonen“, sagte er. „Ausgezeichnet. Davon läßt sich wieder eine Weile leben. Ganz zu schweigen von dem Rest.“

      „Rrrrest“, brachte der Taubstumme heraus.

      Sie sackten die Münzen ein. Dann begaben sie sich in die Küche hinunter. Hier stießen sie in einem Nebenraum auf Vorräte: Schinken, Käse, Dauerwurst, gekochte Bohnen, Frischgemüse und Früchte. Die Kerle stießen sich mit den Ellenbogen an.

      Osvaldo deckte den Tisch, El Sordo holte Wein aus dem Maultierkarren. Er brachte auch Brot mit, das sie als Wegproviant am Morgen bei Bastida gekauft hatten. Bei Bastida gab es eben einfach alles.

      El Sordo säbelte mit seinem Messer dicke Schnitten von dem Brot ab. Osvaldo füllte die Becher mit Wein. Sie stießen miteinander an und grinsten sich zu.

      „Prost“, sagte Osvaldo. „Und auf ein gutes Gelingen. Hier sind wir ungestört.“

      El Sordo leerte seinen Becher. Er stopfte sich Brot und Schinken zwischen die Zähne, kaute flüchtig darauf herum und schluckte alles herunter. Mit einem kräftigen Schluck Wein spülte er nach. Osvaldo hatte die Becher rasch wieder gefüllt.

      El Sordo gestikulierte über den Tisch hinweg. Osvaldo lachte.

      „Hierbleiben?“ fragte er. „Gleich ein paar Tage?“ Er dachte darüber nach. „Ja, warum eigentlich nicht?“

      Wieder widmeten sie sich ihrem Mahl. Dann war es mit einemmal Osvaldo, der den Kopf hob. „He, was ist das?“

      „Uhm?“ El Sordo sah ihn fragend an.

      „Hörst du das nicht?“

      „Hu?“

      „Ach, du kannst ja nichts hören“, sagte Osvaldo. Er beschrieb eine wegwerfende Gebärde und richtete sich auf. „Aber da ist was. Es kommt aus dem Keller.“

      El Sordo las die Worte von den Lippen seines Spießgesellen ab. Er erhob sich, zückte sein Messer und pirschte zur Tür. Er wandte den Kopf und blickte seinen Kumpan an. „Hm?“

      „Ja“, erwiderte Osvaldo. „Wir sehen nach, was da los ist.“ Er stand ebenfalls auf und zog sein Messer. Zu zweit bewegten sie sich auf die Tür zu, hinter der eine Steintreppe nach unten führte.

      Sie hatten den Keller des Gebäudes noch nicht durchsucht und das für später aufgehoben. Jetzt erkannte Osvaldo, daß es ein Fehler gewesen war. Irgend jemand versteckte sich da unten im Keller – oder irgend etwas. Um welche Art von Wesen es sich auch handeln mochte, es gab grauenvolle Laute von sich.

      Irgendwie beneidete Osvaldo den Taubstummen plötzlich. El Sordo konnte nichts hören, und das war in diesem Moment gut so. Die Laute waren entsetzlich. Stöhnen und Wimmern, Kratzen und Schaben, dann ein langer Seufzer. Osvaldo überlief es eiskalt. Am liebsten wäre er umgekehrt. Aber vor El Sordo wollte er sich keine Blöße geben.

      Geduckt schlichen die beiden Diebe in den düsteren Keller hinunter. Die Geräusche wurden lauter. Unheimlich klangen sie von den dicken, feuchten Wänden des Gewölbes wider. Wer gab sie von sich – Mensch oder Tier? Wer war das Geschöpf, das sich im Dunkel verbarg?

      Juarez, einer der Kerle aus Alonzo de Escobedos Gefolgschaft, sprach aus, was auch die anderen dachten.

      „Ich hab’s satt!“ stieß er wütend hervor. „Mir stinkt die Sache! Ich hau’ ab!“

      Mit diesen Worten verließ er einfach den Platz vor den Gefängnismauer. Er drehte sich nicht mehr um und würdigte Alonzo de Escobedo keines Blickes mehr.

      „Du bleibst!“ brüllte de Escobedo.

      Aber es nutzte ihm nichts. Juarez tat genau das, was vor ihm schon einige andere der Meute getan hatten. Er setzte sich ab. Er wollte seinen Kopf nicht länger hinhalten und sich nicht verheizen lassen. Das Unternehmen erschien aussichtslos.

      De Escobedo hatte das Gefängnis stürmen wollen, aber er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der „Wirt“ – das war in diesem Fall der Gefängnisdirektor José Cámpora. Cámpora hielt mit seinen Leuten die Stellung, und die Escobedo-Mannschaft hatte schwer Federn lassen müssen.

      So war es dem ehemaligen Stadtkommandanten und Gouverneur de Escobedo zwar gelungen, das Tor der Gefängnismauer aufzubrechen. Aber das war auch schon alles. Der Erfolg dieser nächtlichen Aktion nutzte den Angreifern im Endeffekt wenig. Sie hatten keine Deckung mehr und befanden sich für die Verteidiger des Gefängnisses wie auf einem Präsentierteller, wenn sie den Hof überqueren wollten.

      Diese Erkenntnis setzte den Kerlen schwer zu. Sie hatten den rechten Glauben in ihren Anführer de Escobedo verloren. De Escobedo seinerseits wußte nicht recht, wie er die Horde anfassen sollte. Schließlich handelte es sich um Galgenstricke, denen jede militärische Disziplin fremd war.

      Zwar war de Escobedo in diesem Augenblick versucht, Juarez eine Kugel in den Rücken zu jagen. Aber er beherrschte sich. Die anderen Kerle sahen ihn derart drohend und angriffslustig an, daß es offensichtlich war: er, de Escobedo, hätte auf jeden Fall den kürzeren gezogen.

      Der Sturm auf das Gefängnis lohnte sich nicht. Er kostete zu viele Opfer. De Escobedo hatte sich aus dem Kerker Verstärkung holen wollen. Mit einer großen Bande würde es zu schaffen sein, die Residenz zu erobern. Denn das war sein Endziel. Die Residenz war der Regierungspalast, wer die Residenz hatte, war Gouverneur und hatte die Macht über Havanna und Kuba.

      Was aber brachte all das den Galgenstricken und Hundesöhnen ein, die de Escobedo mit Gonzalo Bastidas Hilfe um sich versammelt hatte? Gar nichts. Seit sie das begriffen hatten, gingen die Kerle von der Fahne. Warum sollten sie ihre Knochen noch länger hinhalten? Sie waren doch nicht blöd! Sie gingen auf eigene Faust auf Raubzug.

      Ein kleiner, dürrer Kerl, von seinen Kumpanen nur das Wiesel genannt, folgte dem Beispiel von Juarez. Er stand aus seiner Deckung auf und huschte davon, bevor ihn die Gefängniswächter aus ihrer Deckung niederschießen konnten. Die anderen Kerle hasteten hinter ihm her. Juarez war schon ein ganzes Stück weg. Das Wiesel eilte ihm nach. Hinter dem Rücken des Wiesels befanden sich plötzlich an die zwanzig Kerle, er war ungewollt zu ihrem Anführer geworden.

      De Escobedo stieß einen Wutschrei aus. Er platzte fast vor Zorn. Mit langen Sätzen jagte er den Kerlen nach, packte das Wiesel am Arm und riß den Kerl zu sich herum.

      „Was fällt dir ein?“ schrie er ihn an. „Du hast die Kerle gegen mich aufgewiegelt!“

      „Ich?“ zischte der kleine Mann. „Du spinnst wohl! Jeder kann tun und lassen, was er will!“

      „Ihr bleibt hier!“ stieß de Escobedo keuchend hervor. Er war im Gesicht rot angelaufen und hatte seine Hände zu Fäusten geballt. „Ihr habt kein Recht, einfach abzuhauen! Das ist Fahnenflucht!“

      Die Kerle hatten ihn umringt. Juarez war am Ende der Gasse, in der sie sich befanden, stehengeblieben und hatte sich umgedreht. Jetzt kehrte er zu de Escobedo und seinen Spießgesellen zurück.

      „Was sagst du da?“ brüllte einer der Kerle neben dem Wiesel. „Wir sind doch nicht deine Soldaten!“

      „Wir sind frei“, sagte ein anderer.

      „Wir müssen das Gefängnis stürmen!“ schrie de Escobedo.

      Die

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