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der Welt nicht eindeutig gezeigt, dass der Mensch ein hyperkomplexes System wie die Wirtschaft nicht vorausschauend steuern kann, halten die Strategen der »Großen Transformation« ihre Idee sogar noch für ein Novum. Die Inbrunst, mit der linke Ideologen als Verfasser der »Großen Transformation« auftreten dürfen und dabei tatsächlich an die Umsetzung einer sozialistischen Agenda glauben, zeigt, dass ihnen nicht einmal im Ansatz bewusst ist, wie sehr sie instrumentalisiert werden. Man lässt nützliche Idioten in höchsten Ämtern der UN gewähren und stellt in Aussicht, die neue Welt könnte entgegen der wirklichen Machtverhältnisse tatsächlich sozialistisch werden. Dass allerdings jede Generation unerschütterlich glaubt das krumme Rad des Sozialismus immer wieder neu erfinden zu müssen, hat eine tiefenpsychologische Dimension.

      Der russische Mathematiker und Philosoph Igor Schafarewitsch, ein enger Freund von Alexander Solschenizyn, stand zur Zeit des Kalten Krieges den russischen Dissidenten nahe. Der einzig plausible Grund, warum Schafarewitsch nicht selbst verhaftet wurde, lag vermutlich in seiner frühen Berühmtheit begründet. Der Mathematiker war international überaus anerkannt und geschätzt. Der Schaden für das kommunistische Regime wäre zu groß geworden, wenn Schafarewitsch sang- und klanglos in einem Gulag verschwunden wäre. Abgesehen von Schafarewitschs herausragenden Leistungen auf dem Feld der algebraischen Geometrie, ist es dem russischen Genie zu verdanken, den zeitlosen und grundsätzlichen Charakter des Sozialismus herausgearbeitet zu haben. In seinem bereits 1975 geschriebenen Buch »Der Todestrieb der Geschichte«38 stellt der Mathematiker und Philosoph heraus, dass sich die Grundzüge des Sozialismus durch alle Zeitalter der Geschichtsschreibung zurückverfolgen lassen. Ob im Inkareich, in Mesopotamien, in China oder Ägypten oder schließlich in den ersten Ketzerbewegungen des Christentums – die Geschichte einer sozialistischen Grundstruktur ist weitaus älter und universeller als die Lehre eines gewissen Karl Marx. Der Psychologe C. G. Jung würde vermutlich von einem »Archetyp« sprechen, eine Art Urgedanke oder universelles Grundmuster der menschlichen Seele. Sozialismus ist demnach keine intellektuelle und am Reißbrett ersonnene politische Ideologie, die sich kurzerhand an ihrem historischen Scheitern widerlegen ließe. Sozialismus ist vielmehr ein zu allen Zeiten und an verschiedenen Orten dieses Planeten immer wieder neu entstehendes, hartnäckiges Gedanken-Mem – und damit ziemlich resistent gegen seine faktische Widerlegung. Objektiv betrachtet, sollte ein toxisches Gedankengut wie der Sozialismus in der zeitgenössischen Politik ebenso wenig Chancen haben wie der Faschismus. Immerhin endeten alle sozialistischen Gesellschaftsversuche, einschließlich des nationalsozialistischen, in Unfreiheit, Armut, Krieg, Massenmord und Folter. Unverkennbar ist diesem Archetyp über Verstand und Logik dennoch kaum beizukommen. Die innerpsychische Notwendigkeit, unter gewissen Umstanden sozialistische Grundstrukturen immer wieder neu zu ersinnen, ist weitaus stärker, denn: Sozialismus ist der direkte Versuch der menschlich brüskierten, verängstigen und entwurzelten Seele, aus eigener Kraft so etwas wie Schutz, Struktur und Ordnung zu konstruieren. Sozialistische Grundelemente entstehen wie von selbst, sobald dem Menschen spirituelle Sinngewissheiten, soziale Geborgenheit, Identität und Rückverbindungen an das Sein verloren gehen. Als religiöse Sublimation kann der sozialistische Grundaufbau seine ehemals spirituelle Herkunft natürlich kaum verleugnen. An die Stelle einer wie auch immer gearteten göttlichen Entität außerhalb des Menschen tritt lediglich der Mensch selbst. Die Grundelemente eines verlorenen Paradieses, der an sich verdorbenen Welt und dem Weg zur Erlösung, bleiben unverkennbar erhalten.

       »Die sozialistischen Lehren behalten die Vorstellung der mittelalterlichen Mystik von drei Stufen des historischen Prozesses bei, ebenso wie das Schema vom Fall der Menschheit und ihrer Rückkehr in den Urzustand in vollkommenerer Form. Folgende Bestandteile machen diese Lehren aus:

       1.Der Mythos vom ursprünglichen glücklichen ›Naturzustand‹, dem ›Goldenen Zeitalter‹, das durch den Träger des Bösen, das Privateigentum, zerstört worden sei. [Jean-Jacques Rousseau, der ›edle Wilde‹]

      2.Die Entlarvung der Gegenwart. Die zeitgenössische Gesellschaft wird als unheilbar sündhaft, ungerecht, unsinnig, nur zur Zerschlagung tauglich dargestellt. Erst auf ihren Trümmern könne ein Gesellschaftssystem geschaffen werden, das den Menschen das Höchstmaß von Glück bereite, das zu erleben sie fähig seien.

      3.Die Prophezeiung einer neuen, auf sozialistischen Prinzipien aufgebauten Gesellschaft, in der alle Nachteile der Gegenwart verschwinden. Dies sei der einzige Weg, um die Menschheit zum ›Naturzustand‹ zurückkehren zu lassen, wie Morelly sagt, der Weg vom unbewussten zum bewusst erlebten Goldenen Zeitalter.

       4.Die Idee der ›Befreiung‹, die von den mittelalterlichen Ketzerlehren spirituell als Erlösung des Geistes von der Macht der Materie verstanden wurde, verwandelt sich in den Aufruf zur Befreiung von der Moral der zeitgenössischen Gesellschaft, von ihren sozialen Einrichtungen und vor allem von Privateigentum. Als Triebkraft dieser Befreiung wird zunächst die Vernunft anerkannt, doch allmählich nimmt das Volk, die Armen, [heute: Minderheiten, Moslems, Flüchtlinge …] ihre Stelle ein. In der Weltanschauung, die von den Teilnehmern an der ›Verschwörung der Gleichen‹ vertreten wurde, erkennen wir dieses Konzept in schon vollständiger Form. Im Zusammenhang damit werden auch neue konkrete Züge für den Plan zur Errichtung der ›Zukunftsgesellschaft‹ ausgearbeitet: Terror, Einquartierung der Armen in die Wohnungen der Reichen, Beschlagnahme des Mobiliars, Befreiung von Schuldverpflichtungen und so weiter.« 39

      Die »Große Transformation« geriert sich als innovativ und modern, in Wirklichkeit kopiert sie lediglich die ewige sozialistische Grundkonzeption: Erst »die Natur wäre ohne den Menschen und seine Bedürfnisse besser dran«, über »so kann es nicht mehr weitergehen«, gefolgt von »bestehende Strukturen müssen zerschlagen werden«, um schließlich die Verheißung auszusprechen: Eine vor dem Klimakollaps gerettete neue Weltordnung, in der »klimaverträgliche Gesellschaften ihren Konsum auf ein absolutes Minimum reduziert haben«. Zum letzten Satz drängen sich mir Assoziationen einer Kommune auf, ohne persönlichen Besitz, ohne Ehepaare und ohne festgelegte sexuelle Orientierungen. Alles gehört allen, auch die Kinder, und niemand wird mehr sinnlos konsumieren, weil alle so glücklich sind. Dann wird endlich alles gut sein …

      Doch erst, wenn man das sozialistische Konzept als Archetypen der Seele erkennt, die zweifellos spirituellen Charter haben, kommt man der Sache näher. Trotz der Vielzahl philosophischer Weltbilder lassen sich prinzipiell zwei grundverschiedene Positionen oder Gewissheiten ausmachen, von denen aus der Mensch das Sein in der Welt verortet. Zugespitzt und grob vereinfacht, könnte man auch von einer grundsätzlich »spirituell-transzendenten« und einer grundsätzlich »materialistisch-sozialistischen« Weltsicht sprechen. Die transzendente Position geht von folgender Grundannahme aus:

      1. Es gibt einen Gott – und ich bin es nicht.

      Die sozialistische Sicht ist diametral anders:

      2. Es gibt keinen Gott – oder falls doch, könnte es ebenso ich selbst sein. Die zweite Position geht davon aus, dass kalte Materie ohne Ziel, Plan oder Sinn zufälligerweise Bewusstsein entwickelt hat – den Menschen als höchstes, bewusstes Wesen. Ob Agnostizismus, Atheismus, Theismus (Monotheismus oder Polytheismus), Pantheismus oder Materialismus – im Prinzip lassen sich die unterschiedlichen Weltbilder grob der einen oder anderen Grundannahme zuordnen. Die Erzfeindschaft zwischen Sozialismus und Religion ist daher logisch und folgerichtig. Nichts ärgerte Denker wie Karl Marx mehr als Menschen, die ihre Sinngewissheiten in der Transzendenz verorten. Was Marx als Phlegma und »Opium fürs Volk« ansah, war der Umstand, dass spirituell verwurzelte Menschen ihr Dasein in einen höheren Sinnkontext einpassen. Dieser besteht im Wesentlichen daraus das Paradox menschlicher Freiheit vs. Unverfügbarkeit anzuerkennen. Bei diesem Weltmodel ist der Mensch einerseits ein freies und für sein Handeln verantwortliches Wesen – dennoch ist er zugleich in ein gegebenes Schicksal gestellt, das sich seinem Machtbereich entzieht. Kurz gesagt: Etwas ist größer. Einem Menschen mit diesem Weltbild ist bewusst, das ihm wesentliche Dinge unverfügbar bleiben. Der Widerspruch, einerseits handeln zu müssen und andererseits dennoch

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