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welcher Hermann hieß. Er führte gar ein übles Leben mit seinen Rittern und gewann dadurch einen großen Schatz, dass er zwölf Seelen opferte.

       Zur Strafe seiner Untaten ward er mit den Seinen in den Berg verflucht; zuzeiten hört man ein wildes, wüstes Toben dieser Ritter, sieht auch wohl den Grafen umgehen; so hat ihn mancher Förster und Kreiser (Jäger im Schnee) auf sich zukommen sehen mit einem spinnwebenen Gesicht.

       Ein Führer geleitete einen Fremden über die Waldestrift, wo man von Steinbach-Hallenberg nach Mehlis geht, an einem Märzmorgen. Es hatte einen frischen Schnee gelegt. Da kam der Geist sichtbarlich und ging an den Wanderern vorüber; wie sie sich umsahen, weil sein Aussehen sie entsetzte, war er verschwunden, und im Schnee war, wo er gegangen, kein Fußtapfen zu erblicken.

       Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenschatz

      I

      Großer Hermannsberg bei Steinbach-Hallenberg

      Dienstag, 8. Mai 2007

      Das Wetter spielte mit. Hainkel trabte im lockeren Dauerlauf. Der Weg war ein steiler Bergpfad, ausgewaschen von unzähligen Regenfällen. Geröll überall. Es galt wachsam zu sein. Ein Fehltritt und das war’s. Eine Verletzung, speziell an den Beinen, konnte er sich nicht leisten. In wenigen Wochen waren die Landesmeisterschaften.

      Immer, wenn die Zeit es zuließ, trainierte er. Damit es nicht zu langweilig wurde, suchte sich Hainkel immer neue Laufstrecken. Diesen Nachmittag hatte er frei. In seinem Triathlonverein tauschten sich die Männer über gute Laufstrecken aus. Ein guter Kumpel hatte ihm die Bergstrecke am Großen Hermannsberg vorgeschlagen. Ein echter Kanten. Start am Knüllfeld, einer beliebten Ausflugsgaststätte oberhalb des Städtchens Steinbach-Hallenberg, dann quer über die Ganswiesen zum Berg.

      Der Große Hermannsberg war ein beeindruckender Geselle. Wie ein riesiger Blauwal lag er vor einem, zum Greifen nah und dennoch so fern. Er war dicht bewaldet, obwohl er in den Achtzigern fast seinen ganzen Baumschmuck verloren hatte. Wind- und Schneebruch hatten viele Nadelbäume an den Hängen umgelegt. Die darauffolgenden, heißen Sommer brachten den Borkenkäfer, der sich inmitten des Holzbruchs pudelwohl fühlte.

      Nur mit schwerem Gerät, extra aus Österreich herbeigeholt, war man der Plage Herr geworden.

      Nach und nach verschwanden die abgestorbenen Bäume. Der Berg präsentierte sich fast kahl. Rotbraune Felsen wurden sichtbar. Porphyre, die sich seit Millionen von Jahren auftürmten. Der Berg war ein klassischer Bruchschollenberg, gefaltet von unvorstellbar großen Kräften aus dem Erdinneren. Das erklärte auch seine eigenartige Form, langgestreckt, steil aufragend, mit den zahlreichen Porphyrfelsen bekrönt, die zum Klettern einluden. Es gab zwei Möglichkeiten, den Berg zu besteigen. Eine holprige Straße zog sich spiralförmig bis zum Gipfelgrat hinauf. Die Straße, eigentlich mehr ein ausgewaschener Weg, war moderat in der Steigung, zog sich aber ziemlich in die Länge.

      Und dann gab es noch einen steilen Pfad, versteckt zwischen den Bäumen, einer Schneise folgend, die seit langer Zeit eine kleine Lücke zwischen den dicht stehenden Bäumen aufwies. Dieser Pfad war extrem steil und führte fast senkrecht nach oben.

      Hainkel hatte die Straße gewählt, schließlich wollte er ja trainieren für die Triathlonmeisterschaften und nicht für Bergcross, obwohl ihn diese Sportart auch reizen würde.

      Er kannte die Strecke, war sie vor kurzem schon einmal gelaufen. Man war am Hermannsberg meist allein unterwegs. Es gab auf seinem Gipfel keine Ausflugsgaststätte und der Aufstieg war mühsam. Früher waren die Jugendlichen der umgebenden Dörfer mit Rucksäcken, gefüllt mit Eiern, Schinkenspeck und Brot auf den Berg geklettert, machten oben im Schatten der Felsen kleine Lagerfeuer und feierten Pfingsten. Doch das war schon lange vorbei. Die moderne Dorfjugend saß vor dem Computer und rettete die Welt. Einer der Gipfelfelsen hatte sogar ein eisernes Geländer. Dieser Fels war der höchste auf dem Berg. Hier erreichte er seine stattliche Höhe von 867 Metern. Es galt für jeden Gipfelstürmer, genau den Felsen als letztes zu erklimmen. Ein paar Stufen waren in den weichen Porphyr gehauen worden, die es ermöglichten den rundgeschliffenen Stein zu erklimmen. Oben angelangt, wurde der Gipfelstürmer mit einem sagenhaften Ausblick belohnt. Der gesamte westliche Thüringer Wald lag zu seinen Füßen.

      Gleich links erhob sich der Ruppberg. Nur einen Meter kleiner als der Hermannsberg präsentierte sich der steil aufragende Kegel wie ein Bergkönig. Bekrönt wurde er von einer rotbraun angestrichenen Hütte. Dieser Hütte verdankte der Ruppberg seine Popularität. Außerdem lag der Ruppberg im direkten Einzugsgebiet der Stadt Zella-Mehlis. Hinter dem Ruppberg reckte sich aus dem dunklen Tannengrün der Steinhauk in den Himmel. Er fristet nur ein Schattendasein.

      Schaute man gen Osten, konnte man die Gipfel des Hauptkamms des Thüringer Waldes sehen. Eigenartige Namen hatten sie: Donnershauk, Hohe Möst, Schneekopf, Gebrannter Stein, Hoher Stein. Der Kanzlersgrund, ein längliches Hochtal zog sich zwischen den Bergen aufwärts.

      Richtung Süden war der Blick frei auf hügelige Felder und Wälder. Am Horizont zeichneten sich als hellblaue Kulisse die Berge der Rhön ab. Davor thronte erhaben der Dolmar, ein einzelner Berg, der seit alters her mit einem geheimnisvollen Nimbus umgeben war. Schon die alten Kelten hatten sich den Dolmar ausersehen, um dort ein Heiligtum zu errichten. In der jüngeren Vergangenheit wurde der Dolmar für die Thüringer zur Sperrzone. Eine Raketenstation der Roten Armee verwehrte den Zugang zum Gipfel.

      Weiter links grüßten die Gleichberge. Sanfte Hügel, von Wald bedeckt. Eingebettet in die Landschaft erblickte man zahlreiche kleine Städtchen und Dörfer: Steinbach-Hallenberg streckte sich langgezogen rechts unterhalb der Ganswiesen. Bermbach duckte sich in einen kleinen Talkessel. Unterhalb der Rückseite des Berges zogen sich die beiden Schwesterdörfer Ober- und Unterschönau in einem Tal empor, dem Haselgrund, einer natürlichen Fortsetzung des Kanzlersgrunds.

      Hainkel kannte die Gegend. Es war sein Einsatzgebiet als Lokalreporter. Er fühlte seinen Puls. Achtundachtzig. Das war okay. Der Lauf hatte ihn nicht sonderlich verausgabt. Zufrieden saß er auf dem Felsen, genoss den Ausblick und überlegte, welchen Weg er abwärts wählen sollte. Gerade als er aufstehen wollte, irritierte ihn ein seltsames Blinken. Die Sonne war hervorgekommen und schien mit ihrer Frühlingskraft direkt auf die Felsen. Porphyr glänzte nicht. Porphyr war stumpf und matt, rotbraun mit ein paar Einsprengseln in Schwarz und Ocker. Aber da blinkte etwas auf dem Felsen direkt vor ihm.

      Hainkel hangelte sich vorsichtig auf den etwas tiefer liegenden Stein direkt unterhalb des Felsens. Das Blinken kam von einem kleinen, silbernen Medaillon. Es war oval, vielleicht fünf Zentimeter groß, an einem Kettchen, das zerrissen war. Eindeutig konnte Hainkel erkennen, dass die Kettenglieder mit Gewalt auseinandergerissen worden waren. Vorsichtig öffnete er das Medaillon. Auf der Innenseite des Klappverschlusses standen in zierlichen Schnörkeln zwei Buchstaben. Ein großes M und ein großes R.

      Im Medaillon selbst war eine farbige Miniatur zu sehen. Ein Portrait. Es gehörte zu einer schönen Frau, vielleicht Anfang Zwanzig, möglicherweise sogar noch jünger. Der Stil der Frisur und der Kleidung rückte die schöne Unbekannte weit zurück in die Vergangenheit. So sahen die Damen möglicherweise vor zwei- oder dreihundert Jahren aus.

      Genauer konnte Hainkel das nicht datieren. Aber er war sich sicher, dass das Medaillon ein historisch wertvolles Stück war. Wie das Schmuckstück auf den Gipfel des Hermannsbergs geraten war, konnte er sich nicht erklären. Möglicherweise hatte ein Wanderer es verloren. Aber dann besah er es sich noch einmal genauer. Das Medaillon musste mit Gewalt jemandem vom Hals gerissen sein. Die zerstörten Kettenglieder ließen keinen anderen Schluss zu.

      Hatte sich hier auf den Felsen ein Drama abgespielt?

      Nachdenklich kletterte Hainkel an dem Felsen zurück auf den Gipfelpfad. Eine vage Idee hatte er just in diesem Augenblick. Ob nicht am Fuße der Felsen …?

      Mühsam kämpfte er sich durch das Unterholz und riesige Farnbüsche. Endlich war er unterhalb der Gipfelfelsen. Junge Fichten und ein paar Buchen standen an dem schräg abwärts laufenden Hang. Der Boden war bedeckt mit Farnen und Heidelbeerbüschen.

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