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seiner Begleiterin erfuhr man überhaupt nichts. Mit keiner Silbe erwähnte er, wer die ungewöhnliche Begleiterin war. Der Diener, ein ehemaliger Schweizer Gardesoldat namens Scharr, der sich um alle Belange des Paares kümmerte, war ebenfalls ein schweigsamer Mensch, der über die Identität seiner Herrschaft kein Wort verlor.

      Leonardus schien auf der Flucht zu sein. Anstelle der großen Städte und der angesagten Gesellschaft reiste er jetzt vollkommen unauffällig, mied größere Städte und quartierte sich in eher unscheinbaren Pensionen ein. Längere Zeit verbrachte er mit seiner Begleiterin in der Hofapotheke im schwäbischen Ingelfingen.

      Er vermied jedweden Kontakt zu ortsansässigen Honoratioren. Früher war er stets um Kontakte bemüht, war offenherzig und parlierte mit allen Menschen seiner Umgebung. Davon war nichts mehr zu spüren. Leonardus Cornelius van der Valck war nicht mehr derselbe, der er vor kurzem noch war. Seine Flucht aus der Zivilisation setzte er fort, verbrachte viele Monate auf abgeschiedenen Höfen der Schwäbischen Alb, kreuzte kurz in Neuwied unweit Koblenz auf, um aber nach wenigen Tagen wieder zu verschwinden. Offensichtlich fühlte er sich verfolgt.

      Um seine Verfolger abzuschütteln, lancierte er im »Merkur« eine Todesanzeige von sich selbst. Das war im Jahre 1804. Leonardus Cornelius van der Valck hatte offiziell aufgehört zu leben.

      Der Mann, der jetzt in Begleitung der unbekannten Dame auftrat, führte nur noch den französischen Namen Vavel de Verzay. Als solcher kam er auch nach Wien, traf sich mit zahlreichen wichtigen Leuten bei Hofe und sollte sogar einem Treffen mit dem zu Gast weilenden russischen Zaren Alexander beigewohnt haben. Zwei Jahre dauerte seine Flucht quer durch Österreich, in diversen Städten tauchte er auf, ohne jedoch längere Zeit zu verweilen.

      Die hartnäckigen Verfolger schienen es auf seine Begleiterin abgesehen zu haben. Sorgfältig schirmte er sie vor der Außenwelt ab, so dass kaum ein Fremder sie zu Gesicht bekam.

      Schließlich kehrte er 1807 nach Thüringen zurück. Österreich war ihm ein zu heißes Pflaster geworden. Napoleon marschierte mit seiner Grande Armee durch Europa, eroberte ein Königreich nach dem anderen. Nichts konnte seinen Vormarsch stoppen. Das schien Leonardus große Sorge zu bereiten. Seine Verfolger waren höchstwahrscheinlich napoleonische Geheimagenten, die Orders hatten, die unbekannte Dame nach Frankreich zurückzubringen.

      Leonardus‘ Mission war es, sie vor diesem Schicksal zu bewahren. War es wirklich eine Prinzessin, die er so sorgfältig vor der Außenwelt verbarg? Eigentlich war es ihm egal, aber er hatte es zu seiner Lebensaufgabe gemacht, dieser Frau das ihr zugedachte Schicksal zu ersparen.

      Liebte er sie? Gut möglich.

      Aber was war schon Liebe? Eine Leidenschaft, die schnell verging. Leonardus Verhältnis zu der Schönen war unzweifelhaft komplizierter als es eine auflodernde Liebelei sein konnte.

      Nein, da war mehr im Spiel als nur ein vages Gefühl. Die Hingabe und große Empathie, die er für sie empfand, war an ein höheres Ziel gebunden. Es ging um mehr. Da war hohe Politik mit im Spiel.

      Er war sich bewusst, dass es immer schwieriger werden würde, die Flucht erfolgreich weiter zu inszenieren, ohne Aufsehen zu erregen.

      Je mehr Napoleon auf dem Vormarsch war, desto wahrscheinlicher würden seine Geheimagenten ihnen auf die Schliche kommen. Fast jedes Land in Europa war inzwischen ein Vasall des Korsen.

      Das galt auch für die unzähligen kleinen Fürstentümer Thüringens, die allesamt dem sogenannten Rheinbund beigetreten waren und ihre Souveränität damit aufgegeben hatten. Natürlich wusste Leonardus nicht, wie eng die jeweilige Zusammenarbeit mit der französischen Schutzmacht war. Aber ihm war nicht entgangen, dass an den Höfen der Thüringer Herzöge und Fürsten neuerdings französische Berater, getarnt als Gesandte, auftraten und unmissverständlich die Wünsche der Schutzmacht den Herzögen klarmachten.

      Seine Ängste waren berechtigt. Überall, wo er jetzt aufkreuzte und vor Jahren mit offenen Armen empfangen wurde, verschlossen sich plötzlich die Türen. Weder Weimar, noch Gotha oder Meiningen gewährten ihm Schutz. Erst im kleinen Herzogtum Hildburghausen bekam er die erhoffte Unterstützung.

      Dankbar erinnerte er sich an den großzügigen Herzog Friedrich und dessen schöne Gattin Charlotte. Unkompliziert organisierten ein paar enge Vertraute des Herzogs alles Notwendige für einen zurückgezogenen Aufenthalt des Paares.

      1810 bezog er das kleine Schlösschen im nahe gelegenen Eishausen. Endlich fühlte er sich vor seinen Verfolgern sicher. Die Strapazen der langjährigen Reisen hatten ihm stark zugesetzt. Sowohl seine Gesundheit als auch die Gesundheit der unbekannten Schönen waren angegriffen. Der Rat eines befreundeten Arztes, sich von den giftigen Ausdünstungen der großen Städte fernzuhalten, war ihm zutiefst verinnerlicht. Hier in der klaren Bergluft Thüringens würden sie wieder genesen. Mit eiserner Disziplin hatte er sich aus der Krise herausgearbeitet.

      Er versuchte, seinem Leben einen neuen Takt zu geben. Anstelle der dauernden Ortswechsel und der damit verbundenen unsteten Lebensweise erstellte er nun ein von festen Regeln bestimmtes Tageswerk.

      Auch seiner Begleiterin schien die Ruhe und die Regelmäßigkeit gut zu tun. Die klare, keimfreie Luft tat ihr Übriges. Sie erblühte zu einer Schönheit, die zwar noch etwas gezeichnet war von den Strapazen der vielen Reisen quer durch Europa, aber Leonardus erneut in Leidenschaft versetzte.

      Das Leben auf Schloss Eishausen war dem strengen Duktus zweier ständig auf der Flucht befindlichen Menschen unterworfen. Das erklärte wohl auch die vollkommene Isoliertheit und Abschottung von den alltäglichen Dingen. Die einzige Kommunikation mit der Außenwelt erfolgte über den getreuen Diener Scharr und die wenigen Dienstboten, die sich um diverse Besorgungen und Einkäufe kümmerten.

      Leonardus war das ganz recht so. Seine Korrespondenz erledigte er in seinem Schreibkabinett, blieb auf diese Art und Weise stets auf dem Laufenden und nahm Anteil an den politischen Veränderungen. Napoleon war inzwischen mehrfach besiegt. Seine Armeen befanden sich auf dem Rückzug. Vor Moskau war die Grande Armee vernichtend geschlagen worden.

      Erst als Napoleon nach dem Staatstreich ins Exil nach Elba verbannt wurde, atmete Leonardus auf. Seine Mission war beendet. Aber würde er sich von der schönen Frau trennen können?

      Seine Beziehung zu ihr war intensiv. Er konnte und wollte ohne sie nicht weiterleben. Zumal sie seine Gefühle erwiderte. Es gab keinen Grund, dass selbst erschaffene Paradies zu verlassen.

      Leonardus beschloss zu bleiben. Er wusste auch um die fragile Gesundheit seiner Prinzessin. Eine weitere unbequeme Reise würde wahrscheinlich ihren frühzeitigen Tod provozieren. Und ob sie in einer Stadt wie Paris oder Amsterdam sich je zurechtfinden würde, wagte er zu bezweifeln. Zu lange währten nun schon ihre Flucht und das Versteckspielen in den abgelegenen Winkeln Deutschlands.

      In den folgenden Jahren besuchten mehrmals ein paar russische Offiziere Schloss Eishausen. Sie schienen wichtige Botschaften für den Grafen mitgebracht zu haben. Seine Stimmung war nach den Besuchen der Offiziere jedenfalls ausgesprochen gut.

      Aus Holland kamen weiterhin regelmäßig Geldsendungen, die ihm ein unbeschwertes Leben ermöglichten. Sein Vermögen, verwaltet von seinem Onkel, war gut angelegt und warf einen erklecklichen Zins ab.

      Leonardus wägte diverse Optionen ab, verwarf die meisten von ihnen und besprach sich auch mit seiner Prinzessin. Die unbekümmerte Leichtigkeit des Zusammenseins würde wohl nur hier in der Abgeschiedenheit Eishausens aufrechterhalten werden können. Beide wussten das. Beide wollten das. Beide waren sie sich im Klaren, dass ihr Paradies genau hier im Süden Thüringens lag. Leonardus war glücklich, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

      Abgestürzt

       Die Ritter vom Hermannsberg

      

       Nicht weit von Steinbach-Hallenberg, recht mitten im Waldgebirge, liegen zwei Berge, der kleine und der große Hermannsberg. Über letzteren läuft ein steiler, haushoher Porphyrfelsenkamm, wie eine Riesen- oder Teufelsmauer, grau bemoost und mit alten Bäumen bewachsen.

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