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er die Einbruchsserie in den Thüringer Schlössern verfolgte, hatte er öfters schon solche seltsamen Eingebungen. Wer weiß, möglicherweise war das Medaillon ja sogar Diebesgut? Ausschließen konnte er das nicht. Zumal die Bestandslisten, die er von den Verwaltungen bekommen hatte, große Lücken aufwiesen, was die inventarisierten Artefakte anging.

      Ein kleines Medaillon würde da wohl nicht auffallen. Vielleicht eine erste Spur zu den Tätern. Hainkel schlitterte auf dem weichen Grund abwärts. Fichtennadeln bedeckten den Boden.

      Wurzeln waren Stolperfallen. Gerade schien er wieder an einer solchen Wurzel hängengeblieben zu sein. Dichtes Farnlaub machte es schwierig, die Wurzeln rechtzeitig zu entdecken.

      Fluchend fiel er kopfüber in den Farn. Wie von einer Tarantel gestochen fuhr er jedoch fast zeitgleich wieder auf. Was er für eine Wurzel hielt, war ein Bein. Das Bein gehörte zu einer Frau, die höchstwahrscheinlich tot war.

      Hainkel war entsetzt. Fieberhaft kramte er sein Handy hervor. Leider gab es hier am Berg keinen Empfang. Was sollte er tun?

      Nichts anfassen! Das, wusste er, war die wichtigste Prämisse. Bei zahlreichen Polizeieinsätzen, die er als Lokalreporter begleitet hatte, klagten ihm die Polizisten jedes Mal, wie achtlos die Leute Spuren zerstörten durch unüberlegtes Herumgelatsche am Fundort.

      Aber irgendwie musste er den Fundort sichern, so dass er ihn leicht wiedererkennen konnte. Letztendlich wusste er, was zu tun war. Er schlang um die Fichte direkt vor dem Farndickicht, in dem die Frauenleiche lag, sein T-Shirt. Dann machte er sich auf den Weg. Er wusste, dass am Knüllfeld ein Telefonanschluss war. Dort musste er hin.

       Die Herren im Berg

      

       Einst hütete ein Hirte am Großen Hermannsberg, da verlief sich der Brüller (Herdochse), und der junge Knecht ging in den Wald, ihn zu suchen. Da kam er zu einer Gesellschaft Herren, die vergnügten sich mit Kegelschieben, und da sie ihn sahen, winkten sie ihm, ihnen die Kegel aufzusetzen. Dies tat er, und als sie ihr Spiel beendigt hatten, gingen sie hinweg und sagten, er möge nur die Kegel mitnehmen. Er belud sich mit dem Spiel, kam wieder zur Herde, zu der sich indes der Ochse wiedergefunden hatte, trieb sie heim und wurde verwundert gefragt, wo er denn bleibe und gewesen sei, er sei schon drei Tage nicht nach Hause gekommen. Er aber beteuerte, kaum eine halbe Stunde von der Herde gegangen zu sein, die Herren hätten ihn genötigt, ihnen die Kegel aufzusetzen. Da fragte man weiter, ob er auch einen Lohn bekommen. O ja, sagte der Knecht, ich habe das ganze Spiel mitgebracht, draußen liegt's unter der Treppe. – Nun wollte der alte Hirt selbst den Ranzen mit den Kegeln unter der Treppe hervorziehen, vermochte das aber nicht, hingegen der Junge, wie er angriff, brachte ihn gleich hervor, und da waren die Kegel von purem Golde. Zu einer anderen Zeit, als der junge Knecht wieder im Walde hütete und herumschweifte, fand er die Gesellschaft wieder, setzte wieder auf, und da bekam er auch die Kugeln. So war er zweimal glücklich.

      

       Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenschatz

      II

      Knüllfeld bei Steinbach-Hallenberg

      Dienstagabend, 8. Mai 2007

      Soviel Polizei war noch nie hier oben. Das Wirtspaar vom Knüllfeld konnte sich nicht daran erinnern, dass schon einmal eine zahlreichere Präsenz von Polizei, Krankenwagen, Leichenwagen und Technikern vor ihrer Haustür zu sehen war.

      Selbst als vor vielen Jahren einmal ein Waldbrand gleich unmittelbar hinter dem Knüllfeld zu bändigen war, standen nur ein paar Feuerwehrautos herum.

      Doch jetzt war alles anders. Drüben am Hermannsberg hatte man eine Leiche entdeckt. Eine Frau sollte es sein. Wohl abgestürzt am großen Aussichtsfelsen.

      Naja, da ging es schon ein paar Meter steil bergab in die Tiefe. Der Sportler, der die Frau entdeckt hatte, saß in ein Gespräch mit zwei Polizisten vertieft im Schankraum.

      Als der völlig abgekämpft vor drei Stunden Sturm geklingelt hatte, normalerweise war dienstags nämlich Ruhetag, dachten die Wirtsleute, es wäre ein schlechter Scherz. Aber der durchtrainierte Typ sah nicht wie ein Spaßvogel aus.

      Er trank zwei große Gläser mit Mineralwasser, ohne mit der Wimper zu zucken, in einem Zug aus. Dann berichtete er kurz, was er entdeckt hatte und bat um ein Telefon.

      Ja, und nun war hier alles voll mit Polizei. Man konnte mit den Autos nicht direkt zum Hermannsberg. Die Wege waren einfach ungeeignet. Also hatten sich die Techniker, ein paar Beamte und die Rettungssanitäter zu Fuß auf den Weg gemacht. Der Sportler übernahm die Führung und lief vorneweg. Die Begleiter hatten Mühe, mit ihm Schritt zu halten.

      Nach einer guten, halben Stunde waren sie am Fundort angekommen. Hainkel hatte die Männer den steilen Pfad aufwärts geschickt. Das wäre wohl schneller. Zielsicher strebte Hainkel dem Ort direkt unterhalb des Aussichtsfelsens zu. Da war auch schon sein T-Shirt. Er wies auf das dichte Farn. Da drinnen liege sie.

      Als erstes waren die Techniker zugange. Vorsichtig bahnten sie sich ihren Weg, beseitigten systematisch mit Scheren die vielen Farnblätter, um freie Sicht zu haben. Nach und nach wurde die Frauenleiche sichtbar. Es war eine nicht mehr ganz junge Frau, wahrscheinlich Ende vierzig, Mitte fünfzig. Gekleidet war sie mit Blue Jeans, einer hellgrünen Bluse, darüber eine schwarze Steppweste. Etwas abseits lagen ein Sommerhut aus geflochtenem Bast, eine Handtasche und eine Sonnenbrille. Die war wohl durch den Sturz heruntergerissen worden.

      Die Frau lag in einer unnatürlichen Position auf dem Rücken, die Arme weit von sich gestreckt, die Beine waren in einem unnatürlichen Winkel ebenfalls gestreckt. Der Kopf der Frau wirkte wie abgeknickt. So konnte man eigentlich den Kopf nicht auf natürliche Weise bewegen. Hainkel wurde es schlecht. Mit Leichen hatte er es nicht so.

      Ein Fotograf begann sein Werk, lichtete die Frauenleiche ab, positionierte kleine Kärtchen mit Zahlen an den Fundorten der Handtasche, der Sonnenbrille und des Hutes.

      Die anderen Beamten durchstreiften die direkte Umgebung. Wohl um sicher zu gehen, nichts übersehen zu haben. Plötzlich ertönte ein kurzer Schrei. Einer der Beamten schien etwas entdeckt zu haben.

      Hainkel eilte herbei. Etwa dreißig Meter abwärts hatte ein Polizist noch eine weitere Leiche entdeckt. Diesmal ein Mann. Auch er schien vom Felsen gestürzt zu sein. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er gen Himmel. Hainkel wurde es schon wieder schlecht. Mein Gott, was für ein Drama hatte sich da abgespielt.

      Hatten die beiden möglicherweise auf dem Felsen miteinander gekämpft? Hainkel musste an das Medaillon denken. Bisher hatte er davon noch nicht berichtet.

      Wie normale Touristen sahen die beiden Toten nicht aus. Eher wie Städter, die sich verirrt hatten.

      Touristen im Thüringer Wald waren leicht zu erkennen. Speziell die Wanderer. Meist trugen sie Funktionskleidung, die älteren Semester waren sogar mit Kniebundhosen und Tirolerhüten unterwegs. Zu ihnen gehörte immer ein Gehstock und ein gewaltiger Rucksack. Im Sommer durchzogen sie scharenweise die Gegend. Die Einheimischen nannten die Wanderer liebevoll »Luftschnapper«.

      Auf dem Rennsteig war dann ein Verkehr wie in der Fußgängerzone von Schmalkalden. Unangenehm wurde es meist, wenn solch ein Trupp anfing Lieder zu deklamieren, immer zuerst natürlich die Thüringer Waldhymne von Herbert Roth: »Ich wandre ja so gerne am Rennsteig durch das Land …«

      In den letzten Jahren waren zu den konservativen Jodlern und Sängern die Nordic Walker hinzugekommen. Ausgerüstet mit zwei Skistöcken, Stirnband, Sonnenbrille und Leggins marschierten diese Spezies in einem hohen Tempo durch die Landschaft. Die Nordic Walker hatten kein Interesse an Natur und Landschaft, ihnen ging es um Zeiten. Schnaufend und keuchend stapften die Walker an einem vorüber. Sie hetzten durch die Gegend auf der Suche nach dem Kick, pure Adrenalinjunkies.

      Hainkel hielt sich von beiden Gruppen fern, sie waren ihm nicht ganz geheuer. Seine Gedanken kehrten wieder zurück zu den beiden

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