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      Die Kälte traf sie wie ein Schlag, als sie aus dem Auto stiegen, die Temperaturen schienen hier noch tiefer zu sein als in der Stadt. Angermüller warf einen kurzen Blick auf das Herrenhaus, das sich am anderen Ende des Hofes, teils hinter einer Gartenanlage verborgen, erhob. Es war schon viele Jahre her, dass er mit Astrid und den Kindern einmal einen Ausflug nach Güldenbrook gemacht hatte. An einem Sonntagvormittag im Frühling hatten sie das weitläufige Areal erkundet, waren durch den kleinen Park spaziert, und die Zwillinge hatten Steine in die vielen Teiche, Kanäle und den kleinen See geworfen, die das Gut umgaben. Er erinnerte sich, dass die Anfänge der Anlage aus der Mitte des 18. Jahrhunderts stammten und dem Spätbarock zuzuordnen waren, was nicht sofort an den Bauten erkennbar war, die im Laufe ihrer wechselvollen Geschichte immer wieder ihr Gesicht verändert hatten. Im trüben Licht dieses Wintertages heute konnte er den Charme des Ortes, der ihn bei seinem ersten Besuch umfangen hatte, nicht so recht wiederfinden.

      Der Streifenbeamte, der sie in Empfang nahm, ein älterer, erfahrener Kollege, war von der Polizeistation Lensahn. Er ließ Angermüller und Jansen durch eine der beiden kleineren Türen eintreten und gab ihnen dabei in knappen Worten einen kurzen Lagebericht.

      Er und sein Partner waren am nächsten an Güldenbrook dran gewesen, als der Alarm einging, weshalb sie die Ersten am Tatort waren. Als sie eintrafen, befand sich die Frau, die am Morgen in einer Vorratskammer die Leiche entdeckt und die Polizei gerufen hatte, in Begleitung mehrerer Personen.

      »Die war ’n büschen durch’n Wind nach ihrer Entdeckung und hat in ihrer Aufregung alle möglichen Leute hier aufgescheucht. Außerdem waren inzwischen auch Arbeitskollegen von ihr eingetroffen. Wir haben die sofort alle vom Tatort entfernt. Ich hoffe, die haben noch nicht allzu viel kaputt getrampelt.«

      »Wieso Arbeitskollegen? Was tun die Leute hier denn?«, wollte Angermüller wissen und sah sich dabei in dem Raum um, einer Art Eingangshalle. Ihm fiel ein, dass dieses Gebäude sich Kavaliershaus nannte. Eine Treppe führte ins obere Stockwerk, an der Tür zur Linken war ein Schild mit der Aufschrift ›Zum Studio‹ angebracht, rechts stand die Tür zu einer großen Küche offen.

      »Die sind vom Fernsehen. Die machen hier so eine Show …«

      »Voilà Lebouton!«, sagte Jansen.

      »Was?«

      »Mann, Georg! ›Voilà Lebouton!‹, die ultimative Kochshow! Jetzt sag bloß, du kennst die nicht? Ich dachte, du wärst ein begeisterter Hobbykoch!«

      So wie Jansen das sagte, klang es nicht gerade nach Anerkennung.

      »Doch ja. ›Voilà Lebouton!‹ – davon hab ich schon mal gehört.«

      »Hast du die Sendung etwa noch nie gesehen? Du enttäuschst mich, Georg!«

      »Muss man denn Kochshows sehen, nur weil man gern kocht?«

      »Natürlich nicht. Aber das ist ganz witzig. Ab und zu guck ich mir das an.«

      »Du?«

      Angermüller blieb keine Zeit, sich über Jansens höchst erstaunliche Offenbarung den Kopf zu zerbrechen. Ein Mann in Zivil, der Beamte von der Kripo-Bereitschaft Lensahn, der kurz nach der Streife eingetroffen war, kam zu ihnen und erstattete seinen kurzen Bericht zu den Umständen des Leichenfundes – Name des Opfers, Fundort, Fundzeit, Name der Frau, die den Fund gemacht hatte, Uhrzeit des Eintreffens der Streife.

      »Wollen Sie jetzt den Toten sehen? Oder wollen Sie erst mit der Grit Fischer sprechen, die ihn gefunden hat?«, fragte er dann.

      »Ersteres.«

      Die umständliche Art des Lensahners machte Angermüller ganz kribbelig.

      »Und ihr könnt gleich mitkommen!«, winkte er Kriminalobermeisterin Kruse und Kriminaloberkommissar Teschner heran, die inzwischen auch eingetroffen waren.

      Sie gingen an der Küche vorbei, aus der ihnen neugierige Blicke folgten, und gelangten über den Flur durch eine Tür in einen Lagerraum. Metallregale reihten sich ringsum, in denen Kartons mit Lebensmitteln standen, auf Paletten in der Raummitte stapelten sich Obst- und Gemüsekisten, und daneben gab es zwei riesige Kühltruhen. Der Lensahner Kollege zeigte zur Stirnseite, wo ein weiterer Uniformierter postiert war.

      »Dort ist es, bitte schön«, lenkte er sie höflich wie ein Fremdenführer zu der silbrig glänzenden Kühlzelle, öffnete die Tür und schaltete die Innenbeleuchtung ein. Fein säuberlich aufgereiht hingen einige Viertel von toten Tieren von der Decke, in den Regalen ringsum lagerten Fleischportionen in Vakuumverpackungen, und in der Mitte, ausgestreckt auf den metallenen Bodenplatten, lag ein Mann. Leise surrte ein Ventilator. Das Erste, was Angermüller auffiel, waren die edlen dunkelbraunen Wildlederschuhe, in denen die Füße des Toten steckten. Die ganze Erscheinung des Mannes vermittelte selbst in diesem Zustand den Eindruck dezenter Eleganz. Er trug ein Tweedjackett zur Cordhose und hatte die Hände über der Brust gefaltet. Erst bei genauerem Hinsehen bemerkte Angermüller, dass sie den Knauf eines Messers umfassten, der aus seinem Brustkorb ragte. Die Augen waren geschlossen. Seltsam sauber und undramatisch wirkte dieses Opfer auf den Kriminalhauptkommissar, der in vergleichbaren Situationen sonst eher so schnell wie möglich Abstand zum Objekt zu gewinnen versuchte. Das mochte daran liegen, dass es keine sichtbaren Verletzungen gab, keine großen Blutlachen und der Tote tatsächlich aussah, als schliefe er nur.

      »So wie es aussieht, ist er hier getötet worden«, sagte der Lensahner Kollege. »Auf den ersten Blick haben wir nichts gefunden, das auf einen anderen Tatort hindeutet.«

      »Ist ja da drin noch kälter als draußen, Mann«, meinte Jansen und schüttelte sich, obwohl sie auf der Schwelle stehen geblieben waren, um keine Spuren zu vernichten.

      »Ist wohl ein Tiefkühlraum, was?«

      »Dachten wir auch«, nickte der Kripomann aus Lensahn. »Aber die Frau Fischer, die das Opfer gefunden hat, meinte, jemand müsse die Temperatur heruntergedreht haben. Normalerweise sind hier so um die null bis zwei Grad, und als sie kam, stand der Regler auf Minus 20. Steht er immer noch – wir haben hier nichts verändert.«

      »Das will ich auch meinen! Tach allerseits!«

      Die Kriminaltechnik war eingetroffen, allen voran An­dreas Meise, ein kompetenter Fachmann, als Mensch allerdings gewöhnungsbedürftig, wie Angermüller fand.

      »So Jungs, seid ihr fertig? Dann lasst mal den Papa zu den saftigen Steaks hier!«

      Meise drängte sich an den Kommissaren vorbei. Er und sein Kollege steckten schon im weißen Schutzanzug, und sogleich begannen sie, routinemäßig den Fundort und seine Umgebung auf Spuren zu untersuchen.

      »Kannst du gleich mal nachschauen, was der Mann in seinen Taschen hat, Andreas?«, bat Angermüller den Kriminaltechniker, der sich vorsichtig neben den Toten gehockt hatte.

      Ameise, wie er von den anderen genannt wurde, da er nicht sehr groß war und immer gern dem Boden eines Tatorts große Aufmerksamkeit schenkte, durchsuchte systematisch Hosen- und Jackentaschen des Toten. Er förderte nur eine Packung Papiertaschentücher und ein Taschenmesser zutage.

      »Tscha, das war’s wohl. Da is weiter nix«, stellte Ameise fest.

      »Hm, find ich eigenartig. Zumindest einen Hausschlüssel nimmt man doch mit, wenn man rausgeht«, überlegte Angermüller. »Ob das vielleicht auf Raubmord rausläuft?«

      »Das ist dann wohl ein Problem, das ihr klären müsst, Kollegen. Und jetzt lasst mich man in Ruhe arbeiten hier.«

      »Ist die Rechtsmedizin schon benachrichtigt?«

      »Aber selbstverständlich, Herr Kollege! Dein süßer Freund wird bestimmt gleich hier sein«, flötete Ameise in affektiertem Tonfall auf Angermüllers Frage, der gewohnheitsmäßig versuchte, die plumpe Anspielung zu ignorieren. Trotzdem ärgerte er sich darüber. Andererseits war er froh, dass er es mit seinem Freund Steffen zu tun bekam, der als Rechtsmediziner einen sehr guten Ruf genoss und mit dem er hervorragend zusammenarbeitete.

      Tumultartiges Getöse war plötzlich zu vernehmen, und Angermüller bemühte sich zu orten, woher es kam.

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