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Städtchen freigab. Herr von Schröder sagte wieder:

      »Sie antworten mir, Baron, Sie scheinen mir zu widersprechen, und Ihre Worte sind im Inneren ungläubiger und bitterer als die meinen.«

      Herr von Knobelsdorff schwieg mit einer vagen und anheimgebenden Geste.

      »Es mag sein«, sagte der Finanzminister und nickte trübe auf seinen Hut hinunter. »Exzellenz mögen recht haben. Vielleicht sind wir alle schuldig, wir und unsere Vorgänger. Was hätte nicht alles verhindert werden müssen! Sehen Sie, Baron, einmal, es ist zehn Jahre her, bot sich eine Gelegenheit, die Finanzen des Hofes zu sanieren, zu bessern auch nur, wenn Sie wollen. Sie ist versäumt worden. Wir verstehen einander. Der Großherzog hatte es damals, bestrickender Mann, der er ist, in der Hand, die Verhältnisse durch eine Heirat, die von einem gesunden Standpunkt hätte glänzend genannt werden können, zu rangieren. Statt dessen … meine persönlichen Empfindungen beiseite … aber ich vergesse niemals die Jammermiene, mit der man im ganzen Lande die Ziffer der Mitgift nannte …«

      »Die Großherzogin«, sagte Herr von Knobelsdorff, und die Fältchen an seinen Augenwinkeln verschwanden fast ganz, »ist eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen habe.«

      »Eine Erwiderung, die Eurer Exzellenz zu Gesichte steht. Eine ästhetische Erwiderung. Eine Erwiderung, die Stich halten würde, auch wenn die Wahl Seiner Königlichen Hoheit, wie die seines Bruders Lambert auf ein Mitglied des Hofballetts gefallen wäre …«

      »Oh, da bestand keine Gefahr. Der Geschmack des Herrn ist schwer zu befriedigen, er hat es gezeigt. Seine Bedürfnisse haben immer das Gegenstück zu jenem Mangel an Wahl gebildet, den Prinz Lambert zeit seines Lebens an den Tag gelegt hat. Er hat sich spät zur Ehe entschlossen. Man hatte die Hoffnung auf direkte Nachkommenschaft nachgerade aufgegeben. Man bequemte sich wohl oder übel, in dem Prinzen Lambert, über dessen … Indisponiertheit wir einig sein werden, den Thronerben zu sehen. Da, wenige Wochen nach seiner Thronbesteigung lernt Johann Albrecht die Prinzessin Dorothea kennen, er ruft aus: Diese oder keine! und das Großherzogtum hat eine Landesmutter. Exzellenz erwähnten der bedenklichen Mienen, die entstanden, als die Ziffer der Mitgift bekannt wurde – Sie erwähnten nicht des Jubels, der gleichwohl herrschte. Eine arme Prinzessin, allerdings. Aber ist die Schönheit, solche Schönheit, eine beglückende Macht nicht? Unvergeßlich ihr Einzug! Sie war geliebt, als ihr erstes Lächeln über das schauende Volk hinflog. Exzellenz müssen mir gestatten, mich wieder einmal zu dem Glauben an den Idealismus des Volkes zu bekennen. Das Volk will sein Bestes, sein Höheres, seinen Traum, will irgend etwas wie seine Seele in seinen Fürsten dargestellt sehen – nicht seinen Geldbeutel. Den zu repräsentieren sind andere Leute da …«

      »Sie sind nicht da. Bei uns nicht da.«

      »Ein bedauerliches Faktum für sich. Die Hauptsache: Dorothea hat uns einen Thronfolger beschert …«

      »In dem der Himmel einigen Zahlensinn entwickeln möge!«

      »Einverstanden …«

      Hier endete das Gespräch der beiden Minister. Es brach ab, es wurde unterbrochen, und zwar dadurch, daß Flügeladjutant von Lichterloh die glücklich vollzogene Entbindung meldete. Eine Bewegung entstand im kleinen Bankettsaal, und alle Herren fanden sich plötzlich dort zusammen. Die eine der großen geschnitzten Türen war lebhaft geöffnet worden, und der Adjutant stand im Saale. Er hatte ein gerötetes Gesicht, blaue Soldatenaugen, einen flächsernen gesträubten Schnurrbart und silberne Gardetressen an seinem Kragen. Bewegt und ein wenig außer sich, wie ein Mann, der von tödlicher Langeweile erlöst und einer freudigen Nachricht voll ist, setzte er sich im Gefühl des außerordentlichen Augenblicks keck über Form und Vorschrift hinweg. Er salutierte lustig, indem er mit gespreiztem Ellenbogen den Griff seines Säbels beinahe zur Brusthöhe hinaufzog, und rief mit übermütigem Schnarren: »Melde gehorsamst: Ein Prinz!«

      »A la bonne heure«, sagte Generaladjutant Graf Schmettern.

      »Erfreulich, sehr erfreulich, das nenne ich höchst erfreulich!« sagte Oberhofmarschall von Bühl zu Bühl in seiner plappernden Art; er war sofort ins Bewußtsein zurückgekehrt.

      Oberkirchenratspräsident D. Wislizenus, ein glattgesichtiger Herr von schöner Turnüre, der als Sohn eines Generals und dank seiner persönlichen Distinktion in verhältnismäßig jungen Jahren zu seiner hohen Würde gelangt war, und auf dessen seidigem schwarzen Rock sich ein Ordensstern wölbte, faltete seine weißen Hände unterhalb der Brust und sagte mit wohllautender Stimme: »Gott segne Seine Großherzogliche Hoheit!«

      »Sie vergessen, Herr Hauptmann,« sagte Herr von Knobelsdorff lächelnd, »daß Sie mit Ihren Konstatierungen in meine Rechte und Pflichten eingreifen. Bevor ich nicht über die Sachlage gründlichste Erhebungen angestellt, bleibt die Frage, ob Prinz oder Prinzessin, durchaus unentschieden …«

      Man lachte hierüber, und Herr von Lichterloh antwortete: »Zu Befehl, Exzellenz! Ich habe denn auch die Ehre, Euere Exzellenz in höchstem Auftrage zu ersuchen …«

      Diese Wechselrede bezog sich auf des Staatsministers Eigenschaft als Standesbeamter des großherzoglichen Hauses, in welcher Eigenschaft er berufen und gehalten war, das Geschlecht des fürstlichen Kindes nach eigenem Augenschein festzustellen und amtlich aufzunehmen. Herr von Knobelsdorff erledigte diese Formalität in dem sogenannten Frisierkabinett, wo das Neugeborene gebadet worden war, verweilte sich aber länger dort, als er selbst erwartet hatte, nachträglich stutzig gemacht und angehalten durch eine peinliche Beobachtung, über die er zunächst gegen jedermann, ausgenommen gegen die Hebamme, Stillschweigen bewahrte.

      Die Doktorin Gnadebusch enthüllte ihm das Kind, und ihre hinter den dicken Brillengläsern geheimnisvoll glänzenden Augen gingen zwischen dem Staatsminister und dem kleinen kupferfarbenen und mit einem – nur einem – Händchen blindlings greifenden Wesen hin und her, als wollte sie fragen: »Stimmt es?« – Es stimmte, Herr von Knobelsdorff war befriedigt, und die weise Frau hüllte das Kind wieder ein. Aber auch dann noch ließ sie nicht ab, auf den Prinzen nieder und zu dem Baron emporzublicken, bis sie seine Augen dorthin gelenkt hatte, wo sie sie haben wollte. Die Fältchen an seinen Augenwinkeln verschwanden, er zog die Brauen zusammen, prüfte, verglich, betastete, untersuchte den Fall zwei, drei Minuten lang und fragte schließlich: »Hat der Großherzog das schon gesehen?«

      »Nein, Exzellenz.«

      »Wenn der Großherzog das sieht,« sprach Herr von Knobelsdorff, »so sagen Sie ihm, daß es sich auswächst.«

      Und den Herren im Hoch-Erdgeschoß berichtete er: »Ein kräftiger Prinz!«

      Aber zehn oder fünfzehn Minuten nach ihm machte auch der Großherzog die mißliche Entdeckung – das war unvermeidlich und hatte für Generalarzt Eschrich eine kurze, außerordentlich unangenehme Szene zur Folge, für den Grimmburger Doktor Sammet aber eine Unterredung mit dem Großherzog, die ihn sehr in dessen Achtung steigen ließ und ihm in seiner späteren Laufbahn von Nutzen war. Kurz zusammengefaßt, ging dies alles vor sich wie folgt.

      Während der Nachgeburt hatte Johann Albrecht sich wieder in der »Bibliothek« aufgehalten und sich dann einige Zeit, Hand in Hand mit seiner Gemahlin, am Wochenbette verweilt. Hierauf begab er sich in das »Frisierkabinett«, wo der Säugling nun in seinem hohen, zierlich vergoldeten und halb von einer blauseidenen Gardine umhüllten Bettchen lag, und ließ sich in einem rasch herzugezogenen Armstuhl zur Seite seines kleinen Sohnes nieder. Aber während er saß und das schlummernde Kind betrachtete, geschah es, daß er wahrnahm, was man ihm gern noch verhehlt hätte. Er zog die Decke weiter zurück, verfinsterte sich und tat dann alles, was vor ihm Herr von Knobelsdorff getan hatte, sah nacheinander die Doktorin Gnadebusch und die Wärterin an, die verstummten, warf einen Blick auf die angelehnte Tür zur Kemenate und kehrte erregten Schrittes in die Bibliothek zurück.

      Hier ließ er sofort die silberne, mit einem Adler geschmückte Druckglocke ertönen, die auf dem Schreibtisch stand, und sagte zu Herrn von Lichterloh, der klirrend eintrat, sehr kurz und kalt: »Ich ersuche Herrn Eschrich.«

      Wenn der Großherzog auf eine Person seiner Umgebung zornig war, so pflegte er den Betreffenden für den Augenblick all seiner Titel und Würden zu entkleiden und

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