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aber.“ Entrüsteter Tonfall.

      „Du hast’s verdient.“

      Es ist die Packung mit Pralinen, die ihr die Enkeltochter das letzte Mal mitgebracht habe. Das ist ihr noch nie passiert.

      Auf Fotos von früher ist die Oma die drallere und fröhlichere der beiden Zwillingsschwestern. Eindeutig ein „Männertyp“. Die Tante dagegen wirkt sittsam wie die Rose aus dem Poesiealbumsspruch dieser Zeit. Die Art und Weise, wie die beiden sich ihre Männer ausgesucht haben, macht diesen Unterschied zur Nebensache. Elsa, die Tante, sagte: „Ich nehm’ den Gustav.“ Da blieb für die Oma eben nur noch der Hans übrig. Und dabei hat sie noch froh sein können. Sagt sie selbst.

      Während der letzten beiden Kriegsjahre war die Oma in Halle, „Landverschickung“. Dort hat sie den Vater ihres Kindes kennengelernt – den leiblichen Großvater ihrer beiden Enkeltöchter. An seinen Vornamen kann sie sich nicht mehr erinnern, aber dass er sehr nett zu ihr gewesen ist, das weiß sie noch ganz genau. Aus dem Bayerischen stammte er und sah sehr gut aus.

      Als sie, der Krieg war schon seit sechs Monaten zu Ende, im neunten Monat schwanger war und alles Schnüren nichts mehr half, schickten sie ihre Eltern nach Bayern zum „Kindsvater“. Im Lastwagen hat sie irgendein entfernter Bekannter mitgenommen; stundenlang, über Schlaglöcher ist sie gehoppelt und hat sich den Bauch gehalten.

      Unter dem Herrgottswinkel der Bauersleute ließ man sie endlich vorsprechen.

      Ja, ob sie denn nicht wisse, dass der Bub schon versprochen sei?

      Dass er im Frühjahr die Tochter des Bürgermeisters heiraten werde?

      Ob sie denn überhaupt sicher sei, wer ihr das Kind gemacht hätte?

      Die Oma schämte sich.

      „Kann ich ihn kurz sehen?“

      Er sei gerade auf dem Feld und habe keine Zeit.

      Ein Glas Wasser hat man ihr nicht angeboten.

      Und da ist sie den ganzen langen Weg zurückgehoppelt, auf dem Lastwagen des Bekannten eines Freundes eines Nachbarn eines Freundes, dem das Ganze auch lästig war.

      Sie auf der Ladefläche und der Georg in ihrem Bauch, kurz vor seiner Ankunft.

      Erst hat sie sich nicht nach Hause getraut, aber ein Onkel hat vermittelt.

      „Mein Lieblingsonkel“, sagt die Oma. Der hieß auch Georg.

      Die Mutter hat getobt und der Vater nur schweigend an die Wand gestarrt.

      „Wenn schon, dann ein Mädchen. Ich habe immer ein Mädchen haben wollen. Ich war ja so entsetzt.“

      Die Oma ist immer noch entrüstet. Alle waren sie entsetzt: die Eltern, die mit dem Balg um Himmels Willen verschont werden wollten, die beiden Schwestern, die Zwillingsschwester und die kleinere, die nachts das Zetern anfingen, sobald der Georg zu weinen begann. Und dann haben die Eltern es doch versorgt, das Baby, und die Oma ist arbeiten gegangen. Immerhin: ins „Büro“, Betonung auf der ersten Silbe.

      „Angefleht haben sie mich, dass ich endlich heiraten soll.“ Zum Zeichen, dass sie es ernst meinten, habe ihr die eigene Großmutter den Kopf in der Küche gegen die Wand geschlagen. Verehrer habe sie ja gehabt, noch und noch. Aber der eine sei ihr zu alt gewesen, der andere zu schmierig. Der Ekel von damals schüttelt die Oma von heute durch.

      „Widerlich, sage ich dir.“ Sie schenkt mit zitternder Hand Sekt nach.

      „Und dann habe ich eben den Hans genommen.“

      Acht Jahre war da ihr Sohn. Und wahrscheinlich schon so gut wie verloren. Aber sie sieht das natürlich anders.

      „Ich hab’ mich halt aufgeopfert für den Georg.“

      Die dralle blonde Mutter und der fesche Hans, ein braungebrannter Pfadfinder, der das Herz auf dem rechten Fleck hatte. Seine Eltern hat die Oma gepflegt, in Frankfurt, jahrelang, bis sie endlich gestorben sind. Zwei böse Alte, die sie und den Georg höchstens verachtet haben. Wenn überhaupt.

      Der Opa war Autosattler. Seine Hände, die Finger kurz und dick, sahen ganz danach aus, wie kleine dralle Würstchen, die beim Fäustemachen zu platzen drohten.

      Als die Enkeltöchter klein waren, ließ er sie abwechselnd auf seinem Rücken reiten. Er, in blauer Trainingshose, mit weißem Feinrippunterhemd und schon sehr dickem Bauch, und die beiden Schwestern in Frotteeschlafanzügen, ganz aufgedreht und glücklich. Die Enkeltöchter haben gerne dort übernachtet, obwohl ihnen alles ein bisschen fremd war.

      Wenn sie auf Opa Hans’ Rücken saßen und ihm kichernd ein Zehnpfennigstück in die Ohrmuschel steckten, trug er sie auf allen Vieren den Flur rauf und wieder runter, ins schlauchig gebaute Badezimmer und wieder rückwärts raus, in die Küche, die Oma erschrecken und dann ins Schlafzimmer, Abwurf aufs Bett.

      „Jetzt wird aber geschlafen.“

      Einmal hat sich die kleinere der beiden Enkeltöchter vor Lachen in die Schlafanzughose gemacht.

      Im Schlafzimmer der Großeltern war alles dunkelblau. Die Vorhänge, der Teppich, die Tagesdecke, die Zierkissen. Der Farbton wirkte irgendwie unpassend, so als müsse er ungeheuer tapfer für etwas stehen, was die Großeltern ihr ganzes Leben lang entbehren mussten, eine merkwürdige Mischung aus Royalblau und Karstadttüte.

      Es war kalt unter den Deckbetten. Die Enkeltöchter lagen Po an Po, bis es schön warm wurde.

      Als der Georg also schon längst groß war und eine Frau und die beiden Töchter hatte, stand er jeden Sonntag mit seinen Lieben auf der Matte. Dann gab es Eierstichsuppe und anschließend Rinderbraten, abends Wurstplatten mit Fleischsalatfliegenpilzen, Schinkenröllchen und russische Eier, von allem immer viel zu viel. Die Oma von damals schien in ihrem Element zu sein. Mit dem Opa schimpfte sie manchmal.

      Bei schönem Wetter und zwischen den Mahlzeiten gingen alle gemeinsam spazieren, in die Karlsruher Günther-Klotz-Anlage, wo sie anderen beim Ruderbootfahren zusahen. Der Weg dorthin, immer an den gleichen Häusern entlang, war mit den immer gleichen Geschichten gespickt, die sich in den Häusern zugetragen haben sollten. In einem mit Parterrebalkon zur Straße hin, hatte ein alter Musiklehrer vom Opa gewohnt, den die Frau zum Geigespielen immer auf den Balkon geschickt hatte, dort die alte Frau Renz, die sich eines Tages auf dem Dachboden erhängt hatte. Die Leute fragten sich noch heute, wie sie das mit dem Knoten nur hinbekommen hatte, so schwer habe sie doch die Gicht gehabt in ihren Fingern. Da hatte die jüdische Familie gewohnt, dort der Onkel von dem, die Cousine von der und so weiter. Svenja war die kleinere der beiden Enkeltöchter, und sie liebte das. An den alten Musiklehrer vom Opa Hans denkt sie heute noch jedes Mal, wenn sie mit dem Auto durch die Yorckstraße fährt.

      Der Opa hat die Geschichten immer angefangen, und die Oma hat sie zu Ende erzählt. Den Opa hat das geärgert.

      Den beiden Enkeltöchtern war Regenwetter sonntags am liebsten. Dann unterhielten sich die Großen im Esszimmer. Der Opa schlief dabei fast jedes Mal ein. Er kippte auf dem kleinen Beistellsofa einfach zur Seite weg. Die Enkeltöchter hörten sein Schnarchen auch noch im Nebenzimmer, dem eigentlichen „Wohnzimmer“ mit Riesenschrankwand und Bordüren an den Kissen. Dort durften sie bis zum Abendessen fernsehen. „Bonanza“, „Lassie“, „Unsere kleine Farm“, „Die Waltons“. Die Oma bestückte den Couchtisch flächendeckend mit Süßigkeiten: Schaumerdbeeren von Haribo, Flips, Chips, Salzstangen, Brausetütchen und Katzenzungen.

      Svenja war kein dickes Kind. Ihr wurde kein einziges Mal schlecht, obwohl sie sich ranhielt. Sie blieb Bohnenstange, bis sie 15 war, und John-Boy war ihre erste große Liebe.

      Es klingelt. „Schwester Monika“, sagt die Oma von heute und geht zur Tür.

      „Ich komme schon“, sagt sie beim Öffnen, „bin schon da.“

      Schwester Monika ist klein und stämmig und freundlich.

      „Wie geht’s, Frau Thienemann?“, fragt sie und schiebt die Oma in Richtung Ohrensessel. Seit einem Jahr braucht sie Hilfe beim Anziehen der Stützstrümpfe, jeden Morgen.

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