Скачать книгу

arbeitet und sich irgendeinen Sinn einreden muss, um den Stress körperlich und mental auszuhalten. Ergänzend beschreiben der CEO von Google, Eric Schmidt, und der ehemalige Senior Vice President Jonathan Rosenberg in ihrem Buch Wie Google tickt ihre erfolgversprechende Firmenkultur, in welcher die besondere Arbeitsplatzgestaltung einen entscheidenden Faktor einnimmt. Demnach werden die Büros so gestaltet, dass sie maximalen Energiefluss und maximale Überschneidungen fördern.35 Es gibt keine Privilegien, keinen Status und somit keinen Neid. »Zusammen arbeiten, essen und leben«36 – ein Versuch, seine Mitarbeiterinnen an das Unternehmen zu binden, wie wir ihn bereits im Circle kennengelernt haben?

      Zurück zur Abteilung X von Alphabet: Dort wird an Projekten gearbeitet, deren Realisierung als sogenannte »Moonshots« alles bisher Dagewesene übertrumpfen soll. Bisher sind nur einige Forschungsvorhaben öffentlich bekannt, aber selbst die in der Öffentlichkeit diskutierten dürften das gewaltige Potenzial offenlegen. So befasst sich das ambitionierte »Project Loon« mit der Versorgung sämtlicher Regionen auf dieser Welt mit Internet. Zu diesem Zweck sollen solarbetriebene Ballone in der Stratosphäre in 20 km Höhe zum Einsatz kommen, um den Großteil der Landesfläche mit LTE-Signalen zu versorgen.

      Zwar beteuert Google – das scheint die nächste Parallele zum fiktiven Circle zu sein – stets altruistische Motive: Der Internetzugang soll Millionen Menschen in Afrika und Asien Zugang zu Bildung und Freiheit ermöglichen, so Mike Cassidy, Hauptverantwortlicher des (Wohlfühl-)Projekts. Dahinter verbergen sich jedoch Geschäftsinteressen des Konzerns. Denn je mehr Menschen Zugang zum Internet erhalten, desto mehr kommt die hauseigene Suchmaschine zum Einsatz. Durch die digitalen Fußabdrücke, die die Besucher im Netz hinterlassen, werden sie (ungewollt) Empfänger personalisierter Werbung über passende Produkte – mit Anzeigen von Google-AdWords. Kurz: Jede Internetkonsumentin hinterlässt Daten, die kommerziell weiterverarbeitet werden. Project Loon kann eine Nation im Worst-Case-Szenario in die Abhängigkeit von einem Monopol treiben, das prinzipiell über Druckmittel verfügt, Preise zu diktieren, steuerliche Privilegien einzufordern oder sogar bei politischen Entscheidungen mitzumischen.

      Grundsätzlich sollte man sich bei der Markteinführung einer neuen Technologie als verantwortungsvoller Konsument die Frage stellen, ob überhaupt ein Bedarf für dieses Produkt besteht und wie sich das eigene Verhalten durch die Nutzung langfristig verändern könnte. Unsere Haltung sollte also eine prinzipiell kritische sein. Man stelle sich im Blick auf die Nutzung von Google Glass – mit besonderer Berücksichtigung der Beliebtheit von Datingportalen und den damit verwandten Applikationen für Smartphones – folgendes hypothetisches Szenario vor:

      Sie sitzen in einem Café, trinken genüsslich eine heiße Schokolade und blättern in der Tageszeitung – nichts ahnend, dass Sie in diesem Moment von einem Benutzer der Google Glass »gescannt« werden. Dieser verfügt über eine Software, die ihm mithilfe eines Gesichtserkennungsprogramms Auskunft über den Beziehungsstatus der jeweils »ins Visier genommenen« Person gibt. Da die meisten, vor allem jüngeren Menschen in den Sozialen Medien ihren Beziehungsstatus offenlegen und für die Gesichtserkennung genügend Bildmaterial hochladen, dürfte einem schnellen Suchergebnis nichts im Weg stehen. Nach der Analyse werden Sie – und bei noch effizienterer Software gleich alle Personen – im Blickfeld schemenhaft mit Farben umrahmt. Die Farbe Grün könnte beispielsweise für »alleinstehend«, Gelb für »in einer Beziehung« und Rot für »verheiratet« stehen. Aus den Sozialen Netzwerken gewonnene Zusatzinformationen über hetero- bzw. homosexuelle Vorlieben, Hobbys oder den ausgeübten Beruf dürften Ihrem »Jäger« ausreichend Datenmaterial für eine anschließende Nutzenkalkulation zur Verfügung stellen: Nimmt er das Risiko einer Zurückweisung (und damit potenziellen Kränkung) in Kauf, um mit Ihnen in Kontakt zu treten? Passen Ihre sexuellen Vorlieben, Hobbys, Einkommensverhältnisse und der daraus resultierende sozioökonomische Status mit seinen Vorstellungen zusammen?

      Ein solches Szenario würde das spontane Kommunikationsverhalten, das sich bereits durch die Nutzung des Smartphones einschneidend gewandelt hat, erneut verändern. Wir werden dem anderen mit Skepsis begegnen: Spricht sie mich an, weil sie gerade meine Bikinifotos aus dem letzten Urlaub überflogen und Gefallen daran gefunden hat? Wirft mir die Frau gegenüber der Ladentheke ihre zugeneigten Blicke nur deshalb zu, weil ich Bankmanager bin und mich auf einem Seitensprungportal befinde? Auch wenn sich manche Menschen solche Fragen nicht stellen, eines steht fest: Die Zahl der spontanen Begegnungen, der etwaigen Überraschungen und der prickelnden Momente der Unsicherheit dürften zurückgehen. Von nun an wird man im Lokal angesprochen, weil man den spionageartigen Auswahlkriterien eines anderen genügt – eine möglicherweise schmeichelhafte, jedoch befremdliche Art der Kontaktaufnahme.

Скачать книгу