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bezeichnen. Sie nimmt zweifellos eine wichtige Funktion in unserem Leben ein, unterscheidet sich jedoch von der akademischen Philosophie. Die akademische Philosophie verfügt über ein systematisches Wissen über die verschiedenen Bereiche dieser Disziplin und verständigt sich darüber mit einer eigenen, für Außenstehende oft schwer verständlichen Terminologie. Sie arbeitet vorwiegend mit Begründungen sowie Argumenten und ist bemüht, persönliche Befindlichkeiten und Emotionen nicht zu berücksichtigen. Zu fruchtbaren Debatten kommt es, wenn sich innerhalb eines Bereiches oder einer Fragestellung der Philosophie unterschiedliche und womöglich divergierende Ansätze gegenübertreten. Plötzlich werden Inhalte infrage gestellt, die möglicherweise seit Jahrzehnten als aktueller Kenntnisstand oder common sense behandelt wurden. Die philosophische Methode dieser Art der Auseinandersetzung wurde in der Geschichte als Dialektik bezeichnet, bei welcher Argumente (Thesen) auf Gegenargumente (Antithesen) treffen, woraus gewandelte Einsichten (Synthesen) für beide Seiten entwickelt werden. Dabei ist nicht auszuschließen, dass diese Synthesen nach einer Weile erneut einer kritischen Prüfung unterzogen werden, womit der Prozess von vorne beginnt. Das zentrale Element dieser Methode ist die beiderseitige Ergebnisoffenheit: Man vertritt zwar den eigenen Standpunkt, muss diesen aber revidieren, wenn er von einer plausibleren Erklärung abgelöst werden kann. Manchmal beschleicht einen Außenstehenden das Gefühl, dass Philosophen ihre Thesen in einer bewusst abstrakt gehaltenen Sprache gegen Kritik immunisieren möchten. Im optimalen Fall sollen Alltagsphilosophie und akademische Philosophie einander nicht ausschließen, sondern ergänzen. Philosophische Fragen betreffen jeden von uns und gehören zum Leben dazu.

      Darauf verweist auch der Urvater des abendländischen Philosophierens: Sokrates. Sokrates hat nie ein Buch geschrieben (verschriftlicht hat ihn erst Platon), sondern zum Gespräch gezielt den Marktplatz – die agora – gewählt. Er lehrt uns, grundsätzliche Fragen nie als endgültig beantwortet zu betrachten. Das menschliche Denken, aber auch politische oder moralische Überzeugungen oder das Verständnis von Begriffen wie Gerechtigkeit oder Tapferkeit sind bei näherer Betrachtung widersprüchlich und schwer zu definieren. Wir täten daher gut daran, mit unseren Wissensansprüchen etwas bescheidener aufzutreten. Wahrhaft weise sei jemand, der sich stets darüber im Klaren sei, dass er nicht die endgültige Wahrheit, sondern nur Ausschnitte oder Abbilder von dieser erkennen könne – der »weiß«, wie Sokrates sagt, »dass er nichts weiß«. Im Dialog – so hat Platon ihn uns überliefert – zeigt Sokrates seinen Gesprächspartnern häufig auf bissige, provokante, aber tief reflektierende Weise (und gelegentlich mit einer gesunden Portion Humor) die Grenzen ihrer Ansichten auf. Die sogenannte Sokratische Methode, also das gezielte Hinterfragen einer Sache oder das Formulieren von detaillierten Fragen, auf die man nicht ad hoc eine Antwort erhalten kann, stellt einen ersten Schwerpunkt des Buches dar. Das »Modell Sokrates« und sein bewusst provokatives und herausforderndes Auftreten haben in der heutigen Zeit eher wenig Einfluss. Die meisten Philosophen haben sich auf ihre Fachgebiete zurückgezogen und pflegen möglichst harmonische Beziehungen zu ihren Kollegen an den Universitäten, zur Gesellschaft, zu Kreisen der Wirtschaft und Politik. Man hat den Eindruck, dass keiner dem anderen allzu sehr auf die Füße treten möchte.

      Unter vielen anderen wähle ich nach Sokrates einen zweiten großen Denker, der grundsätzlich anders an die Philosophie heranzugehen scheint: Immanuel Kant. Der deutsche Philosoph aus dem 18. Jahrhundert vertritt im Gegensatz zu Sokrates durchaus Wissensansprüche, jedoch mit einer wichtigen Einschränkung: Unsere Perspektive ist eine dezidiert menschliche – und sie kann auch keine andere sein, da wir nur über unsere Sinnesorgane Zugang zur Welt haben. Mithilfe der Vernunft, die unser Denken auf eine neue, abstrakte Ebene hebt, ist es uns dennoch möglich, allgemeine Aussagen zu formulieren. So hat Kant exemplarisch einen Versuch unternommen, eine moralische Regel, den sogenannten Kategorischen Imperativ, zu formulieren, die allgemeine Gültigkeit beanspruchen sollte. Kant formulierte zudem vier grundsätzliche Fragen der Philosophie – Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? –, die er in seinen Werken ausführlich und einflussreich für die Nachwelt diskutiert. Für meine Überlegungen besonders relevant ist seine leidenschaftliche Ermutigung des Menschen, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und nicht fremdbestimmt und unmündig durch das Leben zu gehen.

      Der dritte und letzte Philosoph, der im einleitenden Teil zur Philosophie besondere Beachtung erhält, wirkte im 20. Jahrhundert: Karl Jaspers. Jaspers beschäftigte sich mit dem Ursprung der Philosophie, mit ihrem eigentlichen Nutzen und mit ihren besonderen Merkmalen. Die Philosophie ist nach Jaspers ein ambivalentes Phänomen. Nicht wenige halten sie für ein überflüssiges Grübeln von Träumern, während sie für andere keine eigenständige Disziplin ist. Da sie keine eindeutigen Ergebnisse liefern kann, sei es sinnlos, sich mit ihr zu beschäftigen. Warum ist sie heute trotzdem von Belang? Jaspers Antwort lautet: Philosophie verkörpert eine Art des Denkens, die tiefer ergreift als jede wissenschaftliche Erkenntnis. Vor aller Wissenschaft tritt sie dort auf, wo Menschen hellhörig werden, aufwachen und Fragen stellen. Sie lehre, sich nicht täuschen zu lassen und keine Möglichkeit einfach beiseitezuschieben. Sie stört die Ruhe der Welt, denn sie will die ganze Wahrheit. Die meisten Menschen verlieren im Laufe ihres Erwachsenwerdens ihre kindliche Naivität und Unbefangenheit. Sie verstricken sich in einem Netz von Konventionen und Meinungen, die sie daran hindern, grundsätzliche Fragen zu stellen. Dabei ist Philosophie in »abgesunkener« Form überall gegenwärtig: in Redewendungen, politischen Ideologien, moralischen Überzeugungen oder den »Mythen des Alltags«. Gewissen Fragen kann man nicht entrinnen.

      Jaspers schreibt der Praxis des Philosophierens drei wesentliche Merkmale zu: das Staunen, das Zweifeln und die Befriedigung im Vollzug der Erkenntnis. Diese Motive sollen uns durch das vorliegende Buch leiten. Die Leserin und der Leser werden durch aktuelle Entwicklungen in Wissenschaft und Technik in Staunen versetzt, aber nicht nur das. So spannend manche Erkenntnisse sein mögen – eine gesunde Skepsis sollte uns nie verlassen. Die meisten von uns bevorzugen schnelle, pragmatische Lösungen, übersehen jedoch, dass viele Dinge darüber ihren Reiz, ihre Besonderheit und ihren Wert einbüßen, wodurch etwaige Probleme, ja sogar Gefahren nicht erkannt werden. Der Zweifel gibt einer neuen Erkenntnis eine Chance – und nach Jaspers ist genau diese Art zu denken geprägt von tief greifender Befriedigung. Ich möchte Sie also zu folgenden drei Haltungen ermuntern:

       Zu der Offenheit, tief greifende Fragen zu stellen

       Zu dem Mut, sich Ihres eigenen Verstandes zu bedienen

       Zu einer Kultivierung Ihres Staunens über die Welt

      2 Weizsäcker, Carl Friedrich: Die Einheit der Natur, Hanser: München 1971.

      3 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie: Erster Teil, Hofenberg: Berlin 2013 [1837]

      1. Die Antiquiertheit des Menschen

      Günther Anders’ Ansichten über die Technik

      In den 1950er-Jahren warf Günther Anders die provokante Frage auf, ob der Mensch nicht

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