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Der Mensch als Rohstoff. Christian Blasge
Читать онлайн.Название Der Mensch als Rohstoff
Год выпуска 0
isbn 9783853718872
Автор произведения Christian Blasge
Жанр Математика
Издательство Bookwire
Was erwartet Sie als neugieriger Leser, neugierige Leserin? Am Anfang steht ein Einblick in das philosophische Denken, in dem zugleich die Grundprinzipien vorgestellt werden, die diesem Buch zugrunde liegen: Offenheit, Mut und ein kultiviertes Staunen über die Welt. Begleitet und vertieft wird dieser Einblick durch biografisch-philosophische Exkurse zu Sokrates, Immanuel Kant und Karl Jaspers.
Im ersten Kapitel trete ich zunächst ins Gespräch mit Günther Anders, dessen Interpretation der Technik in Die Antiquiertheit des Menschen (Band 1 1956, Band 2 1980) nach über 60 Jahren immer noch für Nachdenklichkeit, Faszination und manches Kopfschütteln sorgt. Anschließend springe ich in die Gegenwart und schlage über den dystopischen Roman Der Circle (2013, deutsch 2014) eine Brücke zu einem der einflussreichsten Konzerne der Welt, beheimatet im Silicon Valley. Was passiert eigentlich in diesem »Silicium-Tal«? Und wie ist die sogenannte »kalifornische Ideologie« zu interpretieren, die sich aus dem abenteuerlichen Rebellentum junger Menschen und aus deren Glauben, durch Technik sei schlechthin alles machbar, zusammensetzt?
Im zweiten Kapitel vergegenwärtige ich einige Aspekte von Nietzsches Konzeption des »Übermenschen»sowie die Ideen Ray Kurzweils zum »Transhumanismus« und der »Singularität«. Schließlich bringe ich dieses Sammelsurium mit aktuellen Entwicklungen aus Gentechnik, Nanotechnik und Robotik zusammen.
Im dritten Kapitel möchte ich die subversiven Kräfte aufdecken, die uns dazu motivieren oder gar nötigen, uns selbst, unsere technischen Mittel und unsere Umwelt kontinuierlich zu optimieren. Wir begeben uns auf einen Ausflug tief in die menschliche Psyche, betreiben Gesellschaftskritik und klären die Frage, ob sich unsere Gesellschaft zunehmend in einem Modus der Konkurrenz und immer weniger in Kooperation befindet. Angestoßen werden diese Fragen durch folgende Problembereiche:
1. Die Stigmatisierung des Menschen als »Mängelwesen«, das überwunden werden soll.
2. Die Digitalisierung und Automatisierung menschlicher Arbeitskraft und deren Auswirkung auf den Arbeitsmarkt und den Menschen selbst.
3. Die Zunahme an Freiheiten, die einerseits begrüßt werden muss, andererseits zu Überforderung, Entwurzelung und Entfremdung führen kann.
4. Der Mythos, Probleme ließen sich durch Konsum lösen, gekoppelt mit dem Trend, sich (freiwillig oder unfreiwillig) zum Vermarkter einer Ware und gleichzeitig selbst zur Ware zu machen.
Sie haben Zweifel? Vielleicht kann die philosophische Auseinandersetzung mit Beispielen aus den Sozialen Medien, den Partnerbörsen und dem Arbeitsmarkt Sie umstimmen.
Das vierte Kapitel befasst sich vorwiegend mit dem technischen Fortschritt, der zu einer buchstäblichen »Selbstaufgabe des Menschen« führen kann. Wir werden uns mit der Wahrscheinlichkeit auseinandersetzen müssen, dass uns auf lange Sicht künstliche Intelligenzen ablösen werden. So manche Expertin ist der durchaus streitbaren Ansicht, dass sich Eigenschaften, die unsere Biologie auszeichnen, technisch generieren lassen. Ich stelle milliardenschwere Forschungsprojekte vor, spiele Zukunftsszenarien durch und frage, ob die Möglichkeit, Superintelligenzen zu entwickeln, unser Leben, so wie wir es kennen, für immer verändern wird. Achtung: Die Erschaffung einer Superintelligenz könnte die letzte Erfindung sein, die wir machen – ob dies positiv oder negativ zu bewerten ist, bleibt offen.
Im letzten Kapitel setze ich mich mit dem leiblichen Aspekt der menschlichen Selbstaufgabe auseinander. Sie betrifft unmittelbar unseren Körper. Konkret beschäftige ich mich mit den philosophischen Richtungen des Transhumanismus und mit dem darauf aufbauenden Posthumanismus, deren Ziel darin besteht, den Menschen per se zu etwas Höherem, Besserem zu transformieren. Nach dem Motto »Ist es nicht besser, besser zu sein?« werden neueste Fortschritte in Genetik, Medizin, Pharmakologie, Nanotechnik und Robotik es uns langfristig erlauben, länger zu leben, schneller zu denken und leistungsfähiger zu sein. Was mit einfachen Brillen, Herzschrittmachern, Prothesen und Cochlea-Implantaten begann, findet in Gentherapien, Nanorobotern im Körper, Gehirn-Computer-Schnittstellen usw. seine Fortsetzung. Die schleichende Verschmelzung von Mensch und Maschine hat unseren von Smartphones und anderen technischen Intelligenzen beherrschten Alltag bereits erfasst. Doch wie weit wollen wir in den westlichen, wohlhabenden Gesellschaften gehen? Soll alles technisch Machbare tatsächlich umgesetzt werden? Welche Rolle kann und soll in diesem Zusammenhang die Ethik spielen – sofern sie hier in ihrer klassischen Form überhaupt noch greifen kann? Die Debatte rund um den Trans- bzw. Posthumanismus wirft zahlreiche Fragen auf: Wie lässt sich eine Gesellschaft gestalten, in der »Cyborgs«, virtuelle Entitäten und Menschen neben- bzw. miteinander leben? Wie werden Trans- und Posthumanisten den Menschen betrachten? Als etwas Schützenswertes, als bloßen Rohstoff oder gar als obsolete Belastung? Oder provokant mit Nietzsche gesprochen: »Was ist der Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. Und ebendas soll der Mensch für den Übermenschen sein: ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham.«
1 Dickens, Charles: Eine Geschichte aus zwei Städten, Insel Verlag: Berlin 2011 [1859].
Was ist Philosophie und welche Aufgaben hat sie?
»Philosophie ist die Wissenschaft, über die man nicht reden kann, ohne sie selbst zu betreiben.«2
Carl Friedrich von Weizsäcker (1912−2007)
»Der Mut der Wahrheit, der Glaube an die Macht des Geistes ist die erste Bedingung der Philosophie.«3
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770−1831)
Der Ursprung des Begriffs Philosophie (φιλοσοφία) liegt im Griechenland des 6. Jahrhunderts v. Chr. Übersetzt bedeutet Philosophie »Liebe zur Weisheit«, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass sich der Philosophierende intensiv mit Fragen des Denkens, Sprechens und Handelns beschäftigt, um so zu einem tieferen Verständnis der Zusammenhänge zwischen Mensch, Natur und Kosmos zu gelangen. Welche Merkmale »Weisheit« grundsätzlich definieren, kann nicht eindeutig bestimmt werden. Eines ist jedoch sicher: Sie bedarf einer bestimmten Form des Wissens. Ohne Wissen kann Weisheit nicht zur Erscheinung gelangen, während es umgekehrt durchaus Wissen ohne Weisheit geben kann. Der Philosoph ist folglich jemand, der sich stets auf der Suche nach Erkenntnis und nach Weisheit befindet. Er unterscheidet sich damit fundamental von jemandem, der behauptet, bereits im Besitz eines unveränderlichen Wissens zu sein. Tiefere Einsichten führen naturgemäß zu weiteren Fragen – dieser Kreislauf kommt, sofern man des Fragens nicht müde wird, zu keinem Ende. Weisheit kann somit als etwas dem Wissen Übergeordnetes verstanden werden, das uns dazu befähigt, Einsichten in unser Leben zu gewinnen und mit einem beweglichen Geist möglichst unabhängig von äußeren Einflüssen in der Welt zu wirken.
Um zu verstehen, worum es in der Philosophie geht, muss man sich mit ihren Fragestellungen und Herangehensweisen auseinandersetzen. Grundsätzlich betreibt jeder Mensch Philosophie. Sobald man über seine eigene Lebensweise nachzudenken beginnt, über das Wesen