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sondern hier?«

      »Dort wird keine Artillerie unterrichtet.«

      »Weshalb nicht in Afrika sondern hier, in Fontainebleau, bei der armen Natalia, die Ihnen immer noch nichts bedeutet?«

      Wir blicken einander im Spiegel an. Passend zu ihren Vorwürfen macht sie ein ernstes Gesicht, verzieht den Mund.

      »In Afrika gibt es nichts zu tun.«

      »Genau das Richtige für Sie. Dort fehlt es an guten Heerführern.«

      »Wem?«, frage ich.

      »Woher soll ich das denn wissen? Ich, eine arme Friseurin aus Fontainebleau. Vielleicht den Affen. Haben die gute Heerführer?«

      »Wohl eher nicht.«

      »Irgendeine Äffin namens Natalia würde Ihnen Jahr um Jahr die Haare schneiden und Sie nicht fragen, ob das etwas bedeutet.«

      Sie bläst mir die Haare vom Hals.

      »Ich schneide Ihnen das Haar so, dass in Paris niemand auf die Idee kommt, dass sie ein Jahr in Fontainebleau verbracht haben.«

      Sie blinzelt mir verschwörerisch zu und schneidet weiter.

      »Fontainebleau ist nicht weit von Paris« – ihr kommt eine ihr einst gestellte Frage wieder in den Sinn – »Doch nicht so nah, dass hier Mietpreise wie in Paris herrschten. Das ist es, wofür ich es liebe und hasse. Leute wie Sie oder Monsieur Juvaly bezahlen mir ein Drittel dessen, was Sie in Paris bezahlen würden. Sie wundern sich noch immer, warum ich hier bin?« Sie hält kurz inne und seufzt. »Mädel wie ich, die andauernd wissen wollen, ob es etwas bedeutet, finden in Paris keine Arbeit, nicht einmal im heruntergekommensten Bordell.«

      Sie lächelt mir mit ihren schneeweißen Zähnen zu. Nicht einmal der Krieg vermag solche Zähne zu verderben, man braucht nur zwölf Jahre später Molkerei in den Mund schauen, um sich davon zu überzeugen, dann wirft man das Artilleriestudium hin und lässt sich die Zähne flicken.

      »In Paris bedeutet nichts etwas. Ich fahre jeden Tag hin und kehre am selben Abend zurück. Ich liebe Paris.«

      »Und wohnst in Fontainebleau«, sage ich.

      »Und dafür sollten Sie mir die Füße küssen. Würde etwa die, die Sie nach Paris mitnehmen, Ihnen das Haar so schneiden, dass niemand auch nur ahnte, dass Ihr Gepäck noch immer im miefigen Fontainebleau steht.«

      Ich gebe Natalia keine Antwort, denn die, die ich nach Paris mitnehmen wollte, musste erst noch von dort ankommen und ihre Sachen bei mir abstellen.

      »Übernachten Sie im Hotel«, belehrt mich Natalia, »Kehren Sie um Himmels willen nicht nach Fontainebleau zurück.«

      »Was macht das für einen Unterschied, wo wir übernachten?«

      »Übernachten Sie in Paris und fragen Sie dann, was das ausmacht. Paris muss man ganz und gar einatmen. Atmen Sie es zusammen mit Fontainebleau ein, dann wird Fontainebleau Paris ausstechen.«

      »Ist doch gar nicht so schrecklich, euer Fontainebleau«, widerspreche ich ihr.

      »Danke«, sagt sie, wirft die Schere hin, kämmt mich. »Ist auch Ihres. Damit können Sie sich vielleicht bei Monsieur Juvaly einschmeicheln, bei mir nicht. Für mich ist das genau wie für Sie, Žemaitis, nur eine Zwischenstation.«

      Natalia nimmt eine Rasierklinge zur Hand und rasiert mir mit gerunzelter Stirn den Hals. Das macht sie älter.

      »Ist sie Französin?«, fragt sie plötzlich.

      »Sie ist meine Schwester.«

      »Dann sollten sie sich vor Gott und Blutschande fürchten. Und Inzest«, betont sie, »Sie sind früher als sonst hier.«

      »Sie ist keine Französin«, gebe ich zur Antwort. »Und sie ist für mich wie eine Schwester.«

      »Das ist etwas anderes«, meint sie lächelnd. »Sie weiß noch nicht, dass Sie hinter dem linken Ohr einen Leberfleck haben?«

      Sie klappt mein linkes Ohr um und mustert es so, als hätte sie dort Indizien für die gefunden, die mit mir nach Paris fahren wird.

      »Ich glaube, sie weiß es bereits.«

      »Ich aber nicht, denn vor drei Wochen war es gar noch nicht da. Ja, Žemaitis, die Nichtfranzösin fährt mit Ihnen nach Paris, ohne etwas von Ihnen zu wissen.«

      In Wirklichkeit war Natalia eine echte Erfrischung nach der Männergesellschaft der Artilleriestudenten. Sie ist die Urmutter der Artillerie, die vergleichsweise weit schießt und meist trifft. Wahrscheinlich mag auch Monsieur Juvaly sie deswegen so gern.

      »Leberflecke bilden sich nicht in so kurzer Zeit«, sage ich zu ihr.

      »Hinter dem linken Ohr haben sie einen Leberfleck«, widerspricht mir Natalia, »und werden es das ganze Leben lang haben.«

      »Keine so große Last.« Ich berühre mein linkes Ohr, mit dem sehnlichen Wunsch, dass das Gespräch über den Leberfleck ein Ende haben möge.

      »Sie ist keine Französin und sicher wahnsinnig schön«, versucht Natalia sich im Raten. »Sie ist jung, kaum aus der Schule, und hat Paris noch nicht gesehen. In Paris werden Sie Gott für sie sein.«

      »Die halbe Wahrheit.«

      »Sie ist nur einigermaßen hübsch und wohnt jetzt in Paris …«

      »Sie ist zehn Jahre älter als du«, muss ich Natalia enttäuschen, »hat schon fertig studiert und ist noch nie in Paris gewesen.«

      »Sie haben das Wichtigste vergessen, Žemaitis.« Ihre Schere erstarrt an meinem Scheitel.

      »Sie ist schön.«

      »Schöner als ich?« Natalias Hand mit der Schere rührt sich nicht.

      »Sie ist Nichtfranzösin.«

      »Auch ich bin Nichtfranzösin.«

      »Sie ist hübscher als Monsieur Juvaly«, will ich mich herausreden, »fünfmal hübscher. Sechsmal …«

      »Sie weichen aus, Žemaitis.«

      Die Schere hängt noch immer über meinem Haupt.

      »Sie hat grüne Augen und braunes Haar. Sie hat nichts Romanisches. Und nichts Slawisches.«

      »Ich pfeif drauf, was sie hat«, lässt Natalia nicht locker, »ich frage, wer hübscher ist?«

      »Verflixt nochmal, Natalie, ich bin zum Haareschneiden hier …«

      »Ich bin nicht Natalie und mir ist egal, wozu Sie hier sind.«

      »In Ordnung, Natalia, sie ist siebenmal hübscher als du.«

      »Sehen Sie, geht doch.« Sie lässt die Hand mit der Schere sinken und fährt mit dem Haareschneiden fort. »Eine, die zumindest um einen Leberfleck hübscher ist als ich, darf Sie nach Paris mitnehmen.«

      Für eine Weile schweigt sie und beeilt sich, eine Eile, die meinem Haarschnitt nicht gerade gut tut.

      »Sind Sie selten in Paris?«, bricht sie endlich das Schweigen.

      »Fast nie.«

      »Dort bedeutet nichts etwas«, wiederholt sie, »Slawinnen, Romaninnen, Äffinnen. Wenn die Äffin Natalia hübscher ist als ich, dann findet sie in Paris eine Arbeit.«

      »Ist sie jedoch in Fontainebleau Friseurin, dann hat sie keinen einzigen Kunden.«

      »Das stimmt.« Sie zerreibt die Brillantine zwischen den Handflächen und fährt mir durchs Haar. »Wie heißt denn die Nichtfranzösin?«

      »Elena«, antworte ich Natalie.

      »Elena ist also keine Französin.«

      »Nein.«

      »Hübsch.«

      »Göttlich.«

      »Alt.«

      »Einunddreißig.«

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