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gern hatte! Essono Medjo ging täglich aufs Feld, damit sie etwas zu essen bekamen. Kein Ezakok half ihm dabei, obwohl er Hilfe brauchte. Wenn Nkolo Medjo einen Anfall hatte, fand er sie immer allein und oft auf der Seite liegend, manchmal dicht am Feuer. Ihr linker Arm hatte zwei große Brandnarben.

      Die Ezakok besuchten sie selten, hatten Angst vor ihr wegen der bösen Gerüchte über sie. Viele glaubten, Nkolo Medjos Anfälle wären Hexerei, sie glaubten, dass sie immer mit Hexen in Kon war, wenn sie einen Anfall hatte. Kon ist für die Ezakok der Ort, wo die Toten leben und Sklavenarbeit machen.

      Schlimmer war, was sie über Essono Medjo, ihren eigenen Verwandten sagten: »Essono ist einer der größten Männer in Kon, er will seine Frau töten, damit sie mit ihm in Kon lebt. Das ist der Grund, warum sie immer fällt«, meinten sie. Die Ezakok verbreiteten dieses Gerücht im Dorf, um Essono Medjos Ruf zu schaden. Und viele von ihnen glaubten wirklich daran.

      Bis heute glauben noch viele Ezakok, es gebe Kon irgendwo in ihrem Dorf. Das glaubte auch Nkolo Medjo damals, aber für sie gab es keine Männer in Kon, sondern nur Hexen. Essono Medjo war im Dorf der einzige Mann, der an diese gruselige Geschichte nicht glaubte. Dafür wurde er aber hart bestraft!

      Im dritten Monat der Schwangerschaft Nkolo Medjos kam das, was beide die ganze Zeit befürchtet hatten: eine Blutung, die mit einer Fehlgeburt zu enden drohte. Nkolo Medjo war bei einem neuen Anfall auf den Boden ihrer Küche gefallen. Völlig hilflos lag sie dort auf dem Bauch, glücklicherweise nicht lange. Als sie wach wurde, blieb sie noch eine Weile liegen, bis ihr die Blutflecken auf ihrem Kleid auffielen. Entsetzt stand sie auf und ging zu der Hellseherin.

      »Ich habe auf dich gewartet. Es tut mir sehr sehr leid. Du bist auf den Bauch gefallen«, sagte sie zu der Schwangeren.

      »Sie wollen mich …, sie wollen mich töten, diese …, diese Hexen von Kon wollen mich …, wollen mich umbringen. Was soll ich tun?«, fragte Nkolo Medjo verzweifelt.

      »Beruhige dich, beruhige dich. Ich weiß alles: Sie wollen dich töten. Ich habe diese Hexen mit meinen vier Augen gesehen. Aber eins musst du wissen: Ich verfolge keine Hexen. Ich bin nur eine Hellseherin. Aber ich kann dir einen Rat geben. Lege dich immer ins Bett, wenn du allein zuhause bist, lege dich richtig hin, auf dem Rücken. Geh jetzt, komm morgen früh wieder, wenn das Gras noch Tau hat. Dann behandele ich dich. Mach dir keine großen Sorgen. Dein Mädchen lebt noch.«

      »Diese Hexen von Kon, gibt es sie wirklich, wie man erzählt?«, fragte ich meine Mutter.

      »Ich weiß es nicht. Ich habe nur zwei Augen«, antwortete sie. »Du, pass auf! Jetzt kommt der Teil der Geschichte, der deinen Geschwistern vorgestern Tränen von den Augen raubte«, bemerkte sie. Ich hörte ihr dieses Mal sehr gespannt zu:

      Es war schon Abend. Essono Medjo war vom Feld zurück. Erschrocken sah er seine Frau die Küche betreten.

      »Liebste, ist das von dir?«, fragte er, während er auf zwei Blutstropfen auf dem Boden zeigte.

      »Ja, ich bin auf den Bauch gefallen, aber das Kind lebt noch. Das sagt die Hellseherin.«

      »Gott, ich danke dir. Liebste, ich wusste nicht mehr, wohin. Keiner hier im Dorf wusste, wo du bist.«

      Ohne weiteres legte sich Nkolo Medjo ins Bett, auf den Rücken. Es war ein altes Bambusbett, das an jeder Ecke wackelte. Deshalb hasste Nkolo Medjo dieses Bett.

      Sie stand wieder auf, fühlte dabei, wie sie erneut Blut verlor. Verzweifelt sah sie ihren Mann an und fragte ihn, ob es besser wäre, zu dem Heiler zu gehen, dem einzigen im Dorf, der Kon heilte. Sie wartete noch auf seine Antwort, als sie wieder das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel. Dieses Mal fiel sie auf den Rücken. Das Weiße ihrer Augen drehte sich nach oben. Kurz danach schlossen sich ihre Augen. Für einen Augenblick glaubte Essono Medjo, ein Witwer zu sein. Völlig verwirrt brachte er seine bewusstlose Frau ins Krankenhaus der Mission von Ebolowo’o.

      »Sie ist schwanger, seit drei Monaten. Sie ist ohnmächtig. Es ist das zweite Mal heute. Ich hoffe, sie wacht bald wieder auf. Sie sollte schon wach sein«, erklärte er dem Arzt, der ihn in einem kleinen Untersuchungsraum empfing.

      »Wer hat Ihnen das gesagt?«, fragte der Arzt.

      »Was?«

      »Dass sie schon wach sein sollte?«

      »So lange war sie nie bewusstlos! Es sind fast zwei Stunden her!«, erwiderte Essono. Der Arzt wollte mehr wissen, stellte eine Frage nach der anderen.

      »Epilepsie?«

      »Was?«

      »Ich frage, ob sie epileptisch ist?«

      »Ich habe nie davon gehört. Meine Familie sagt, Hexen wollen meine Frau töten, in Kon. Ich aber glaube, es ist etwas anderes. Ich war einmal bei dem Konheiler unseres Dorfes. Aber nichts! Er hat meine Frau nicht geheilt. Deswegen bin ich hierher gekommen.«

      »Das ist auch richtig … Wann genau ist sie gefallen?«

      »Ich sagte es Ihnen eben! Es ist ungefähr zwei Stunden her. Viel zu lange! Sie war nie so lange ohnmächtig.«

      »Hat sie geblutet?«

      »Ja.«

      »Hat sie viel Blut verloren?«

      »Nicht besonders viel, soviel ich weiß.«

      »Wie ist sie gefallen?«

      »Das erste Mal auf den Bauch, das zweite Mal auf den Rücken.«

      »Seit wann fällt sie?«

      »Seit langem. Sie war noch ein kleines Kind, als sie damit anfing.«

      »Kommt manchmal Schaum aus ihrem Mund?«

      »Immer.«

      »Zuckt sie auch dabei? Wie in Trance?«

      »Ja. Wenn sie das hat, klammert sie sich an Sachen fest, die sie erst loslässt, wenn sie wieder wach ist. Meine Verwandten glauben, sie ist besessen.«

      »Gott! Diese Brandnarben! Ist sie oft allein zuhause?«

      »Ja, wenn ich auf dem Feld bin.«

      »Gibt es in der Familie niemanden, der auf sie aufpassen kann?«

      »Alle haben Angst vor ihr.«

      »Warum? Sie ist nur krank.«

      »Was ist das für eine Krankheit?«

      »Erst nach den Untersuchungen kann ich Ihnen genau sagen, was sie hat. Ich vermute schon Epilepsie. Es kann aber auch sein, dass sie viel Blut verloren hat. Ihr Puls ist sehr schwach«, erklärte der Arzt, während er den Arm der Bewusstlosen festhielt.

      »Sie darf bloß nicht sterben. Bitte tun Sie etwas!«

      »Keine Panik. Sie wird es überstehen … Sie ist schwanger, sagten Sie?«

      »Ja, drei Monate.«

      »Sie bleibt zuerst hier. Danach sehen wir, wann Sie sie wieder mit nach Hause nehmen können. Die Kosten trägt in einem Fall wie diesem allein die Mission.«

      Sie kam nie wieder mit offenen Augen nach Hause. Nkolo Medjo hatte die letzten sechs Monate ihrer Schwangerschaft im Krankenhaus liegen müssen. Es waren rund sechsundzwanzig Wochen, keine Woche ohne Tränen. So lange hat keine Frau geweint. Sie lag sechsundzwanzig Wochen im Krankenhaus der Mission von Ebolowo’o, hatte keine Wahl. Es war für eine Schwangere mit einer gefährlichen Krankheit wie ihrer die einzige Möglichkeit, eine Hausgeburt zu vermeiden.

      Sie lag voller Hoffnung im Krankenhaus, wünschte, dass das Ganze ein glückliches Ende nimmt, glaubte, dass ein Ende näher rückte, als im neunten Monat die Blutung aufhörte. Sie wusste leider nicht, dass es ihr Ende war: das Ende eines zu kurzen Lebens. »Gott sei Dank. Bald komme ich wieder auf die Beine. Die Wehen, ich fühle sie! Bald ist es so weit! Essono, bald sind wir so weit!«, sagte sie zu ihrem Lebensgefährten. Aber es waren ihre letzten Worte, denn am selben Tag, kurz vor der Geburt, fiel sie ins Koma.

      Sie hatte Wünsche gehabt. Ihr letzter Wunsch, sie wollte eine

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