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meine Abe stammst, gehe ich davon aus, dass du ihre Geschichte gut kennst.«

      »Ja«, antwortete ich wieder.

      »Früher, als meine Abe noch lebte, habe ich meinen Enkeln, deinem Mann Papa und seinen Schwestern diese Geschichte gern erzählt. Papa kann es bestätigen. Aber heute kann ich es nicht mehr, ich schaffe es einfach nicht mehr. Kaum mache ich den Mund auf, klingt mir jedes Wort traurig. Seitdem meine Abe tot ist, fällt es mir schwer, über sie zu reden … Ich glaube, ich bin noch nicht darüber hinweg. Ich bitte meine Urenkel deshalb um viel Verständnis. Mama, ich habe eine Bitte an dich: Kannst du den Kindern Abes Geschichte erzählen? Sie dürfen schon davon wissen, der Älteste ist schon acht Jahre alt.«

      »Opa, die Älteste, nicht der Älteste. Du meinst doch Ada! Oder?«, fragte dein Vater seinen Großvater.

      »Doch Ada, Ada meine ich. Tja, Papa, es ist das Alter, in meinem Alter wird man vergesslich. Aber, ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob es in unserer Familie jemanden gibt, der die Geburtsfolge deiner Kinder gut kennt. Zu viele Kinder auf einmal! Du bist in Mbaangok der erste, der in acht Jahren neunundzwanzig Kinder bekommen hat.«

      »Opa, mit fünf Frauen ist alles möglich. Außerdem sind viele Zwillinge dabei und einmal Drillinge!«, bemerkte dein Vater.

      »Ja, aber so was tut kein guter Papa«, meinte Obeme mit einer ernsten Miene.

      »Opa, das ist Männlichkeit«, erwiderte dein Vater stolz.

      »Lass das, Enkelchen. Das wirst du in ein paar Jahren nicht mehr sagen. Es kommt eine Menge auf dich zu … So, mein Lieber, kann Mama jetzt reden?«

      Dein Vater hatte mit Obemes belehrenden Bemerkungen zu seiner großen Familie gerechnet. Er war sie schon gewohnt, aber sie ließen ihn nie gleichgültig, deshalb redete er weiter, sprach weiter von Männlichkeit, Zeugungsfähigkeit und Potenz in Gegenwart seiner Kinder, die da saßen und ihn anstarrten.

      Aber seine Männlichkeit bedeutet ihm viel, und dein Vater meinte, dass die Bräuche es ihm erlauben, mit seinem Großvater zu scherzen, selbst wenn man sich dabei beleidigt.

      »Opa, sollte ich etwa wie du nur eine sterbende Kuh heiraten, mit ihr ein einziges Kind zeugen und am Ende die tote Kuh begraben? Ist es das, was du von mir erwartest?«

      Erschrocken sah dein Vamba seinen Enkel an! Ich fragte mich, ob Tate den Verstand verloren hatte. Welcher Enkel in Mbaangok hätte nur einmal gewagt, seinem Großvater so etwas zu sagen? Obeme war tief verletzt, ich sah es ihm an, aber dein weiser Vamba verzichtete auf einen großen Streit.

      »Papa«, sagte er enttäuscht, »kannst du, auch wenn du Tate heißt, mich nur eine Sekunde ernstnehmen? Hör mir bitte zu! Ich rede heute wie ein Vater zu dir, und nicht wie dein Großvater, der ich eigentlich bin. Aber ich tue es, weil mein einziger Sohn Otam, dein Vater, es immer versäumt, seine Pflichten zu tun … Ich fürchte …, wirklich, ich fürchte, dass du bald unser König Salomon wirst. Nur, vergiss nicht, dass er seine tausend Frauen und zahlreichen Kinder – ich möchte die Zahl seiner Kinder nicht wissen – versorgen konnte, weil er ein reicher König war! Aber du, was hast du? Allein mit deinen Kakaofeldern schaffst du es nie, Papa, nie, nie und nie! Bitte, denk darüber nach! Außerdem: Ich habe deine Familie heute wegen einer Angelegenheit versammelt, die du schon hättest erledigen können.«

      »Ist in Ordnung, Opa«, wagte dein Vater noch zu sagen.

      »Das hoffe ich … Außerdem …, ich muss dir noch etwas sagen, bevor Mama zu reden beginnt. Ich versammele euch alle heute wegen Ossounou, deinem fünften Kindes, wenn mich mein Gedächtnis nicht wieder täuscht.«

      »Dieses Mal nicht, Opa«, bemerkte dein Vater. Während er unter Tränen lächelte, warfen wir ihm vorwurfsvolle Blicke zu. Nur Ossounou kicherte. Aber Obeme ließ sich nicht weiter stören und sagte:

      »Heute, nach dem Mittagessen habe ich mich eine Weile mit Ossounou unterhalten. Da fragte sie mich plötzlich, was ein häßlicher Name wie Abe in unserer guten Familie zu suchen habe.«

      »Mein Kompliment, Töchterchen«, rief dein Vater. Ich war außer mir, konnte seine Frechheit nicht mehr aushalten. Abe war für Vamba Obeme alles. Wie konnte Tate in seiner Gegenwart so etwas sagen?

      »Mann, wirst du jemals erwachsen sein?«, fragte ich ihn.

      Erwachsen? »Es gibt Männer, die nie erwachsen werden. So ist dein Vater!«, sagte meine Mutter immer zu mir. Ich wollte mehr wissen, hörte ihr weiter mit Aufmerksamkeit zu:

      Erst nach dieser Bemerkung, die ihn sehr hart traf, schwieg dein Vater. Ich konnte Wut in seinem Gesicht sehen. Seine verkniffenen Lippen und die plötzlich rot gewordenen Augen verrieten seine verletzte Männlichkeit, die ihm selbstverständlich nicht alles, aber doch viel bedeutet. Am liebsten hätte er mich auf der Stelle beschimpft, mich »unfruchtbares Weib« gerufen, aber er schwieg, musste schweigen, weil er keinen großen Streit mit Obeme wollte. Denn, das weiß dein Vater besser als ihr alle, ich bin in seiner Familie die einzige Frau, die sein Großvater mag … Obeme war, ich konnte es ihm ansehen, mit meiner Bemerkung zufrieden. Zu seinem Enkel gedreht, redete er weiter:

      »Es war klar, dass meine Urenkel keine Ahnung von ihrem Stammbaum haben. Deinetwegen! Deswegen meine Bitte an deine Frau, das Versäumte zu tun.«

      »Gern tue ich es, Vamba«, erwiderte ich.

      Auch meine Mutter rief ihn manchmal Vamba, was an sich nicht üblich war, da Vamba zu der Generation ihrer Großeltern gehörte, er also eher ein Opa für sie war; aber in Mbaangok ist der Rufname Vamba ehrenvoller als Opa, etwa wie verehrter Ahne, ein Titel, der meinem Urgroßvater die Würde gab, die er auch verdiente. Meine Mutter versprach meinem schweigsamen Ahnen, seiner Bitte zu folgen. Was sie dann den Kindern erzählte, ist bisher die traurigste Geschichte, die ich von meinen Verwandten aus Meyozo gehört habe:

      Ich hörte, wie Obeme einen Seufzen ausstieß, als ich mich zu den Kindern drehte und zu ihnen zu sprechen begann:

      Bekolo be Tate Sohn von Tate be Otam, Tate be Otam Sohn von Otam be Obeme, Otam be Obeme Sohn von Obeme be Afane dem Gatten von Abiaye Abe, der Stammbaum geht weiter mit Obeme be Afane Sohn von Afane be Bita, Afane be Bita Sohn von Bita be Zanga … Noch einmal: Bekolo be Tate Sohn von Tate be Otam, Tate be Otam Sohn von Otam be Obeme, Otam be Obeme Sohn von Obeme be Afane dem Gatten von Abiaye Abe, Obeme be Afane Sohn von Afane be Bita, Afane be Bita Sohn von Bita be Zanga … und so geht es weiter. Merkt euch das: Euer Stammbaum erinnert an eure Ahnin aus Meyozo, an Abiaye Abe, die Frau von Obeme be Afane, sie war eine Ezakok. Das müsst ihr euch gut merken, denn es ist selten in der Geschichte der Bulu, dass ein Stammbaum die Namen beider Eltern darstellt. Die üblichen Stammbäume hier bei uns im Süden schließen immer Frauen aus und nennen nur unsere männlichen Vorfahren. Deswegen sagt man, dass euer Stammbaum einen Namen zu viel hat! Er ist auf alle Fälle ungewöhnlich! Aber nicht ohne Grund. Der Name Abiaye Abe ist in den Erinnerungen der Alten dieses Dorfes geblieben, weil er an eine außergewöhnliche Geburt erinnert.

      Abiaye Abe bedeutet, das hast du selbst schon gesagt, die Geburt des Bösen. Auch dies hat seinen Grund.

      Alles begann mit der sehr schwierigen Schwangerschaft eurer Ururgroßmutter Nkolo Medjo, der Mutter von Abiaye Abe. Sie war epileptisch, wollte trotzdem ein Kind. Sie wurde schwanger, aber das Kind fühlte sich nicht wohl in ihrem Leib. In Meyozo lebte eine Hellseherin, die die schwangeren Frauen bis zur Geburt betreute. Im ersten Monat ihrer Schwangerschaft suchte Nkolo Medjo diese auf. Hocherfreut empfing die Initiierte die Schwangere. Sie sah Nkolo Medjo nur kurz an, dann sagte sie zu ihr, dass ihr Baby keinen guten Eindruck machte, sie deshalb gut aufpassen sollte. »Nichts tun, was man den Schwangeren verbietet, das heißt, keine Reptilien essen, sonst krabbelt dein Baby sein Leben lang; nie quer und nie andersrum im Bett liegen, sonst kommt dein Baby zuerst mit dem Popo oder mit den Füßen; immer Affen aus dem Wege gehen, sonst wird sich dein Kind immer kratzen; kein fließendes Wasser überqueren, sonst hast du eine Fehlgeburt; nie auf dem Bauch liegen, sonst blutest du die ganze Schwangerschaft …« Nkolo Medjo versprach ihr, all das zu beachten. Sie bemühte sich auch darum. Aber sie war epileptisch. Menschen, die diese Krankheit haben, fallen immer wieder in Ohnmacht. Nkolo Medjo war oft allein zuhause. Manchmal, aber sehr selten ging sie mit ihrem

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