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ein Gott, seit den Dead Kennedys zieht der das durch, der Mann ist sowas von gut...« – »... jaja, ich weiß schon, ein Gott«, fuhr ich Freund Kornfeld nun schneidend in die elegische Laberparade, »kannst du nicht endlich mal aufhören mit diesem verspießerten individualistischen Künstlerkrams, sieh den Mann doch mal in seinem soziokulturellen Kontext«, blaffte ich den einigermaßen verblüfften Gitarristen an, »diese Heldenverehrung ist doch sentimental und beliebig, du musst den Mann in seiner Funktion begreifen, das geht doch gar nicht gegen ihn, im Gegenteil, der Mann ist ja wichtig als Musiker und mit seinem Alternative Tentacles-Label, aber doch nicht, weil er genial ist, sondern wegen seiner Funktion!«, heulte ich nun beinahe schon auf den immer kopfschüttelnd-entgeisterter mich aus kalten Augen anstarrenden Kornfeld ein, »da iss was dran«, orakelte Müller mit vager Handbewegung in die Runde, »lass den Mann reden«, aber Kornfeld schenkte ihm keinerlei Beachtung, sondern sich einen Brandy ein und warf mir nur ein verächtliches »Du hast doch wohl total das Rad ab!« hin, griff zum abgestellten Glas, das sich aber bereits Steini gegriffen und einverleibt hatte, der begütigend auf Kornfeld einsprach, »Lass doch, er meint das doch gar nicht so, er meint das doch ganz anders«, was wiederum mich in höchste Enragiertheit – in solchen Angebervokabeln dachte und formulierte ich mittlerweile schon, so weit war es mit mir gekommen – versetzte, »Wohl!« schrie ich, »Genauso mein’ ich das und keinen Deut anders!«, »Na dann«, seufzte Steini, zuckte wie resigniert die Achseln und nahm erneut das von Kornfeld wiedergefüllte Glas, während der nur »Das Letzte, das Allerletzte!« geradezu ausspie, und immer noch wullackte Jello Biafras Musik, auf die schon lange keiner mehr hörte, außer Müller vielleicht, der mit pendelndem Kopf auf Kornfelds IKEA-Couch hockte, was aber evtl. auch als ein Zeichen seiner Unentschiedenheit und seines Vermittelnwollens gedeutet werden konnte, geschenkt, ich war nun nicht mehr zu bremsen, ich war der Spex-Mann, ich hatte sie drauf, die Termini des Wichtigwichtig, die Diktion des Hipsters, die Code- und Passwords des Dabeiseins, »Haha«, funkelte ich Kornfeld jetzt geradezu dämonisch an und stieß ihn zur Seite, eilte an sein riesiges Plattenregal und schaute ihm beckmesserisch ins Auge, »und wo sehe ich hier die Musik des Ghettos, häh? Na, wo? Kein HipHop? Und wo ist der Reggae?«, begann ich die Platten aus den Ständern zu zerren und hinter mich zu schleudern, gierend nach Negermusik, ich, Diedrich Diederichsen, D.D. bzw. Dee Dee, das Crossover aus Quintenzirkel und Sozialkundeleistungskurs, der Guru der hornbrillentragenden bürgerlichen Jugend, der Klassensprecher auf Lebenszeit, ich war der Mann, der mit Buddha persönlich frühstücken ging, täglich, haha, und ich hatte einen stream of consciousness, mein Gott, hatte ich einen stream of consciousness, »Rastaman Vibration, ah ah positive« röhrte ich, händeflirrend und hüft (»hip!«)-schwingend, mit geschlossenen Augen mich wiegend, »de angrieh man is an angrieh man« jodelnd, zeitweilig ein schrilles »Hippieesk! Hippieesk!« oder auch bloß »positive vibration« einflechtend, unterlegt von Jello Biafra, guttural auf Kornfeld ein; der wandte sich schaudernd ab, griff zum x-ten Male zum natürlich von Steini stoisch bereits in sich versenkten Schnaps, während Müller, ganz gegen seine Gewohnheit, sehr entschieden in eine durch das Ende der Platte entstehende Pause fest, ja wie gegossen hineinsprach: »Reggae ist, neben Blasmusik und Rassentrennung, das Widerlichste, das die Menschheit je ersann«, und ich schrie, das sei jetzt kein »Dissing« mehr, sondern zum »Raven«, jawohl, und das tat ich dann auch, konvulsivisch, ekstatisch und ruckzuckend, in einem Schwall aus heißen sauren Bröckchen direkt auf Kornfelds bedauerlicherweise auch noch von seiner Mutter handgeknüpften Teppich, und das nahm mir irgendwie meine gute, meine souveräne Position, regelrecht schlapp machte ich, Kornfeld führte mich dann zur Taxe und meinte, er nähme es mir »nicht krumm«; ich war viel zu apathisch, um ihm zu widersprechen, auf dem Weg musste der Fahrer zweimal halten, die Diederichsen-Reste wollten nicht drinbleiben und schwappten in den Straßengraben, und zu Hause, in meinem alten Jugendzimmer, blätterte ich, es ging mir schon wieder gut genug dazu, in älteren Spex-Nummern:

      »Gleich draußen vor den ratternden, expressionistischen Straßenbahnen in der rachitischen, ruinösen rheinischen Nacht«, oh Gott, das hatte ich geschrieben, ich, Diedrich Diederichsen, und ich fragte mich, wieso dann nicht gleich »rachitischen, ruinösen rheinischen Racht?«, stöhnend las ich weiter, »schlage ich die Kapuze über Kopf und Kragen zusammen ...« und es dämmene mir, dass, wenn’s Kapüzchen und der Kragen / überm Kopf zusammenschlagen und – pfffhhhh – heiße Luft entweicht, das nicht am Kragen liegt und nicht an der Kapuze, und leer und getröstet schlief ich endlich ein und hielt den Rand eine ganze, ganze Nacht lang.

      1991

       Johnny Thunders u.a.

      SAMSTAG, 27.4.1991, KOLLEGE WILLEN ruft an, ob ich schon gehört hätte, Johnny Thunders ist tot, ich sage nee, hätt’ ich noch nicht. Mir fällt das 88er Konzert im Berliner Loft ein, Thunders völlig fertig, kann kaum stehen vor heroinbedingter Abgewracktheit, neben mir zwei auf Hardcore getrimmte Fischgesichter, »»Mann ey, vielleicht kratzt er heute ab, ey«, oh ja, und dann wären sie live dabeigewesen und könnten ihrer miesen Existenz einen Schuss Maggi-Würze geben; dieselbe Sorte trieb es im selben Jahr in die Konzerte von Chet Baker im Quasimodo, Jazzfettsäcke, die darauf warteten, dass der ausgemergelte Mann vor ihren Augen authentisch und dekorativ zusammenbräche; dasselbe, ebenfalls 1988, bei den Geburtstagsauftritten von Wolfgang Neuss in der UFA-Fabrik, ausverkauft, Gerangel und Gemotze an der Kasse, »ach Scheiße, der krepiert eh bald, dann kann ich’s mir auf Video ankucken«,«, und er krepierte dann ja auch termingerecht für den Videoten nur ein halbes Jahr später; und noch mal, im selben Jahr 1988 in derselben UFA-Fabrik, ein Auftritt der Drei Tornados, 45° Celsius auf der Bühne, Tornado Klotzbach kippt um, Herzinfarkt, wird hinter die Bühne geschleppt, in die Garderobe, ein Arzt aus dem Publikum behandelt ihn notdürftig, und nur knapp zehn Minuten später Geklopfe an der Garderobentür, tja äh, was denn jetzt wäre, drucks, aber es wäre doch erst eine halbe Stunde gewesen, und wie das denn jetzt aussehen würde mit dem Eintrittspreis – all das von Menschen, die sich als links, underground und sonstwie prima begreifen und immer bereit sind, für die gute Sache ihre Unterschrift zu geben.

      Johnny Thunders hat den Voyeuren ein Schnippchen geschlagen und ist, wie vor ihm Chet Baker und Wolfgang Neuss, standesgemäß allein abgetreten. Holger Klotzbach ist wieder sehr lebendig, da haben die Aasfresser Pech gehabt, aber Nikki Sudden soll es sehr schlecht gehen.

      Und die, denen einer fehlt, weil Johnny Thunders nicht mehr da ist, setzen sich in eine Ecke, legen »Checkin out in your last Hotel« von Herman Brood oder »»So alone« von Thunders auf und sind dann: allein. Und traurig. Und halten den Rand.

      1991

       Wie ich einmal Scorpions-Sänger Klaus Meine war

      ICH WAR NIE KATHOLISCH, aber ich muss etwas beichten. Es war Sonntag, der 25. August 1991. Mit den Freunden und Kollegen Goldt und Weimer hatte ich in der Hamburger Kowalski-Redaktion bis zur Ausjemerjeltheit jeschuftet (»Mulde« machen), gegen drei Uhr früh hatten wir – Feierabend!!! – ein Lokal aufgesucht und zügig diverse durstlöschende Biere getrunken, woraufhin Herr Goldt auf dem Tisch herumkrabbelte und sich auch sonst eher zoologisch benahm, bis Herr Weimer und ich ihn nach guter alter Vater-Mutter-Art ins Alternativhotelbettchen verklappten, und dann waren Herr Weimer und ich noch in eine Normalokneipe Beim Grünen Jäger eingekehrt, fünf, halb sechs war es mittlerweile, außer Holsten gab es eine Musiktruhe, in die stopfte ich ca. 27 Mark hinein oder vielleicht auch 270 und drückte 300 oder 30.000 mal im Wechsel den »Shoop Shoop Song« von Cher – »If you wanna know if he loves you so it’s in his kiss – that’s where it is« –, so wunderbar wie wahr, und, nicht leicht geht es mir über die schamzerbissene Lippe, »Wind of Change« von den Scorpions. Noch nicht einmal die Ausrede, ich hätte nur die anderen Gäste, die Idioten, ärgern wollen, kann ich anführen – außer dem Wirt, Marcus Weimer und mir war niemand da, nein, einfach so, ohne Not, ohne Androhung von Folter o. dergl. drückte ich etwa 3.000.000 mal die Hymne der Greise jeden Alters, das Lied, das so platt ist, wie man die Scorpions dafür hauen müsste, »where the children of tomorrow share their dreams ...« jaulte ich, es war schrecklich, eine Mixtur aus Faszination und Ekel, ja, ich gestehe: Ich sang die definitive

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