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herausgefunden hat, durch die er von Yang Dschu getrennt ist. Aber dennoch ist der Vorwurf des banalen Egoismus unberechtigt. Das Individuum als solches hat für Yang Dschu wenig Interesse, höchstens ist es die Menschheit im allgemeinen, die die individuellen Schicksale der Einzelnen mit all ihren Gegensätzen, all ihrem Leid und ihrer Freude gleichzeitig durchlebt (VII, 3). Für den Einzelnen handelt es sich demgemäß darum, daß er sich einfach auslebt (VII, 7), daß er sich all den Regungen, die in seiner Natur begründet sind, rückhaltlos überläßt, unbekümmert darum, zu welchen Folgen es führt (VII, 8). Denn trotz des Lebens Unverstand lohnt es sich nicht, gewaltsam dem Leben ein Ende zu machen, weil auch dazu kein zureichender Grund vorliegt (VII, 10). Vielmehr ist für ihn der einzig mögliche Standpunkt der, sich treiben zu lassen und zuzusehen, was daraus wird; sich dem Leben zu überlassen mit seinen Trieben und zuzusehen, wohin sie führen; und kommt der Tod heran, sich der Auflösung und Verwesung zu überlassen und zuzusehen, was daraus wird.

      Der Standpunkt Yang Dschu’s ist durchaus konsequent, und er hat auch die unerfreulichen Folgerungen daraus gezogen, ohne durch irgendwelche Phrasen es zu beschönigen oder abzumildern. Höchstens eine Inkonsequenz könnte man ihm vorwerfen, nämlich die, daß er gegen die Moral und ihre »Unersättlichkeit« polemisiert hat (VII, 4. 18). Das darf ein Prophet des Übermenschentums tun, der neue Werte an die Stelle der alten zu setzen sich berufen fühlt; in Yang Dschu’s Prinzipien liegt keine Veranlassung dazu vor. Gerade indem er selbst das Recht für sich in Anspruch nimmt, sich auszuleben, muß er auch den anderen, deren Wesen durch sittliche Grundsätze bestimmt wird, dieses Recht einräumen.

      Ganz anders sind die Folgerungen, die Liä Yü Kou aus den gemeinsamen Prämissen zieht. Gewiß, auch für ihn verliert das empirische Dasein mit der Zweideutigkeit seines Sinns den wesentlichen Ernst. Er kann wohl einmal seiner Frau in der Haushaltung helfen oder ihre beweglichen Klagen lächelnd über sich ergehen lassen (II, 13; VIII, 6); er kann wohl sich im Bogenschießen üben (II, 5); und er kann selbst – auf dem Wind nach Hause fahren (II, 3): das Leben, das er sucht, ist anderswo; denn er zieht das »Jenseits« in Betracht (IV, 15), das Jenseits nicht im Sinne einer Fortsetzung des individuellen Daseins unter ähnlichen Bedingungen wie jetzt (dieser vergröberte Unsterblichkeitsgedanke fand doch recht spät erst in China Aufnahme); das Jenseits, das Liä Dsï wichtig nimmt, ist von dem Diesseits nicht räumlich oder zeitlich geschieden; es ist eine wesentlich andere Daseinsform. Ehe der Becher auf dem Tische leer wird, kann man jahrzehntelang Erlebnisse jenseitiger Art sich zueignen, ohne daß man sich darum vom Platze bewegen müßte (III, 1), denn das Wandern im Höchsten ist wesentlich verschieden von der äußeren Ortsveränderung (IV, 7). Dieses Jenseits wird erreicht, indem man sich unabhängig macht von den drängenden Einwirkungen der Außenwelt. Und das hinwiederum geschieht, indem man es aufgibt, nach außen hin seinen individuellen Willen durchsetzen zu wollen, und sich anpaßt an das große Urgesetz: den SINN, wie der Schatten sich anpaßt an die Bewegungen des Leibes (VIII, 1; IV, 15). In dieser Harmonie mit dem Unendlichen, wo die Unterschiede zwischen Ich und Nicht-Ich aufhören (II, 3), findet man die große Einheit, das Sein, das weit erhaben ist über allen Wechsel der Erscheinung, über Leben und Tod. (Vgl. die Unterhaltung über das Totengebein am Wege I, 2).

      Es bleibt in der Schwebe, inwieweit die magischen Kräfte, von denen Liä Dsï redet, einfach als Gleichnis innerer Geisteszustände in Betracht kommen. Die überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß sie so aufzufassen sind, denn nichts liegt ihm ferner als die Sucht nach Wunderlichkeiten, wie sie später im Taoismus sich entwickelt hat. Immerhin werden wir gut tun, derartige Gedanken in der schwebenden Stimmung zu belassen, in der sie auftreten, eingedenk dessen, daß die orientalische Psyche von der nüchterneren westlichen recht wesentlich verschieden ist.

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      Der Tyrann Giä aus der Hia Dynastie

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      Der Herrscher Schung

      Liä Dsïs Gedanken von Staat und Gesellschaft sind von denen Yang Dschus ziemlich abweichend. Auch er steht freilich dem praktischen Staatsleben seiner Zeit ferne und vermeidet es ängstlich, seine Fähigkeiten im Staatsdienst zu verwenden (II, 14). Wohl aber ist für ihn die menschliche Gesellschaft eine wesentliche Größe (VIII, 2). Ihre Organisation sucht er in derselben Richtung, wie Laotse es tat. Die anziehenden Utopien, die er an verschiedenen Stellen gibt, sowie die Erzählungen von den Herrschern der Urzeit (II, 1. 2; III, 1; V, 2) sind ein Beleg dafür. Den brutalen Kampf ums Dasein, da nur der Stärkste Sieger bleibt, hat er als eines Edlen unwürdig bezeichnet.

      So finden wir in Liä Dsï eine im ganzen durchaus adäquate Ausführung und Weiterbildung der Geistesrichtung, die uns im Taoteking vorliegt. Was dort in dunkeln Aphorismen stammelnd ausgesprochen ist, ist hier Poesie geworden und in stilistisch fein geschliffenen Gleichnissen zur bildlichen Darstellung gebracht. In Dschuang Dsï fand dann diese Richtung ihren Höhepunkt und Abschluß.

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      Huang Di, der Herr der gelben Erde

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      Schen Nung, der göttliche Landmann

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      Der Große Yü, der Ordner des Wassers

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      Herrscher Yau

      1Die Verfasser des großen Kataloges der Kaiserlichen Bibliothek machen darauf aufmerksam, daß, da dieses Buch über den König Mu erst in der Dsin-Dynastie wieder aufgefunden worden sei, ein Fälscher aus der Zeit der Han-Dynastie unmöglich diesen Stoff, der in Liä Dsï doch enthalten ist, hätte bringen können, so daß auch hierin ein Indizium zugunsten der Echtheit des Buches liegt.

      2Wörtlich: Diebe, Schädiger. Gemeint sind wohl die fünf atmosphärischen Einflüsse: Regen, der dem Element des Holzes entspricht; Klarheit, die dem Element Metall entspricht; Hitze, die dem Element Feuer entspricht; Kälte, die dem Element Wasser entspricht; Wind, der dem Element Erde entspricht. Gewalttäter heißen diese Einflüsse, weil jeder auf Kosten der anderen sich durchsetzt. Auch die fünf Planeten können damit gemeint sein

      3Durch die fünf Sinne: Gehör, Gesicht, Geruch, Geschmack, Gefühl, die den fünf Eingeweiden: Herz, Leber, Magen, Lungen, Nieren entsprechen, hat der Mensch als Mikrokosmos Teil an den kosmischen Potenzen.

      4Nämlich: Augen, Ohren und Mund.

      5Weil

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