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wandert und nicht heimkehrt, wahrlich: was ist das für ein Mensch! Die Welt hält ihn sicher für einen Verlorenen. Da ist ein anderer Mensch, der das äußere Leben wichtig nimmt, geschickt ist sich einen Namen zu machen und großartig auftritt in der Welt und keine Grenzen kennt, wahrlich: was ist auch der für ein Mensch! Aber die Welt hält ihn sicher für einen weisen und klugen Herrn. Aber beide sind Verlorene. Doch die Welt billigt den einen und verwirft den anderen, und nur der Berufene weiß, was zu billigen und was zu verwerfen ist.«

      9. DIE LEERE

      Es sagte jemand zu Meister Liä Dsï: »Wie kann der Meister die Leere so hochschätzen!« Liä Dsï sprach: »Die Leere braucht keine Hochschätzung. Es kommt nicht auf den Namen an. Nichts kommt der Stille, nichts der Leere gleich. Durch Stille, durch Leere findet man die Heimat, durch Nehmen und Geben verliert man seinen Ort. Wenn eine Sache verdorben und zerstört ist, und man fuchtelt nachher herum mit Liebe und Pflicht, so kann man sie nicht wieder gut machen.«

      10. DAS GLEICHGEWICHT DER KRÄFTE.

      STETIGE WANDLUNG

      Yü Hiung sprach: »Der Kreislauf hört nicht auf. Wer aber merkt die verborgenen Veränderungen von Himmel und Erde? Denn wenn die Dinge auf der einen Seite verringert werden, so werden sie auf der anderen Seite vermehrt; wenn sie hier voll werden, so nehmen sie dort ab. Verringerung und Vermehrung, Vollwerden und Abnehmen werden fortwährend erzeugt und hören fortwährend auf, ihr Gehen und Kommen ist miteinander verbunden durch unsichtbare Übergänge. Wer merkt es wohl? Überall nimmt eine Kraft nicht plötzlich zu, nimmt eine Form nicht plötzlich ab, darum bemerkt man auch ihr Vollwerden und ihr Abnehmen nicht. Es ist wie bei dem Menschen, der von der Geburt bis zum Alter im äußeren Aussehen und im Stand seiner Erkenntnis sich täglich ändert: Haut, Nägel und Haare werden fortwährend erzeugt und fallen fortwährend ab. Nicht gibt es ein Stillstehen auf der Stufe der Kindheit ohne Wandlung. Die Übergänge sind unmerklich; erst hinterher erkennt man es.«

      11. WELTUNTERGANG

      Im Reiche Gi lebte ein Mann, der war in Sorgen, daß Himmel und Erde untergehen könnten, so daß für seine Person keine Stätte mehr sein würde. Und er schlief nicht mehr und aß nicht mehr. Und da war ein anderer Mann, der war in Sorgen über die Sorgen jenes Menschen. Und er ging hin, ihn aufzuklären. Er sprach: »Der Himmel ist die Ansammlung der Luft. Es gibt keinen Raum ohne Luft. Zusammenziehen und Ausdehnen, Einatmen und Ausatmen wechselt täglich im Himmelsraum ab. Warum sollte man besorgt sein, daß er einfallen könnte?«

      Der andere sprach: »Wenn wirklich der Himmel die Ansammlung der Luft ist: können dann aber nicht Sonne, Mond und Sterne herunterfallen?« Der Aufklärer sprach: »Sonne, Mond und Sterne sind nur Lichterscheinungen in dieser Luftansammlung. Laß sie nur herunterfallen: auch dadurch kann niemand verletzt werden.«

      Der andere sprach: »Ja, aber was dann, wenn die Erde entzweigeht?« Der Aufklärer sprach: »Die Erde ist die Ansammlung der festen Teile, mit denen der ganze leere Raum ausgestopft ist. Es gibt keinen Raum ohne feste Teile. Täglich geht und tritt man fortwährend darauf herum: warum sollte man besorgt sein, daß sie entzweigeht?«

      Da ließ jener seine Sorgen und hatte eine große Freude, und der Aufklärer ließ auch seine Sorgen und hatte auch eine große Freude.

      Der Gelehrte Dschang Lu hörte das, machte sich über ihn lustig und sprach: »Regenbogen, Wolken und Nebel, Wind und Regen und die klimatischen Vorgänge: das sind die Bestandteile der Luft, die in ihrer Zusammensetzung den Himmel bilden. Berge und Täler, Flüsse und Meere, Metalle und Gesteine, Feuer und Holz: das sind die Elemente der Form, die in ihrer Zusammensetzung die Erde bilden. Wenn man nun weiß, daß sowohl die Luft als auch die feste Masse etwas Zusammengesetztes ist, wie kann man dann noch meinen, daß das nicht zugrunde geht?

      Was wir Himmel und Erde nennen, ist nur ein winziges Teilchen im leeren Raum. Es ist freilich unbestreitbar, daß diese Dinge, die größten innerhalb des uns bekannten Seins, nicht leicht ein Ende nehmen und sich erschöpfen. Und es ist ferner unbestreitbar, daß es nicht leicht zu berechnen und erkennen ist. Das, worüber jener sich Sorgen machte: daß sie untergehen, liegt allerdings in weiter Ferne. Aber das, was der andere sagte: daß sie nicht untergehen, ist auch nicht richtig. Himmel und Erde werden unvermeidlich untergehen und sich in ihre Bestandteile auflösen, und wer gerade zur Zeit ihres Unterganges lebt, der hat gewißlich Grund zur Sorge.«

      Meister Liä Dsï hörte es und sprach lächelnd: »Wer behauptet, daß Himmel und Erde untergehen, ist im Irrtum; wer behauptet, daß sie nicht untergehen, ist ebenfalls im Irrtum. Ob sie untergehen oder nicht, ist etwas, das wir nicht wissen können. Und doch behauptet der eine dies und der andere das. Das Leben versteht den Tod nicht, und der Tod versteht das Leben nicht. Die Zukunft versteht die Vergangenheit nicht, und die Vergangenheit versteht die Zukunft nicht. Warum also sollte ich mir darüber Gedanken machen, ob Himmel und Erde untergehen oder nicht untergehen?«

      12. EIGENTUM

      Schun (der große Herrscher) fragte den Dscheng und sprach: »Kann man den Sinn des Weltgeschehens sich zu eigen machen?« Der sprach: »Nicht einmal dein Leib ist dein Eigentum, wie willst du da den Sinn zum Eigentum dir machen?« Schun sprach: »Wenn mein Leib nicht mein Eigentum ist, wessen Eigentum ist er denn dann?« Jener sprach: »Er ist die Form, die Himmel und Erde dir zugeteilt. Dein Leben ist nicht dein eigen, es ist das Gleichgewicht der Kräfte, das Himmel und Erde dir zugeteilt. Deine Natur und dein Schicksal sind nicht dein eigen, sie sind der Lauf, den Himmel und Erde dir zugeteilt. Deine Söhne und Enkel sind nicht dein eigen, sie sind die Überbleibsel, die Himmel und Erde dir zugeteilt. Darum: wir gehen und wissen nicht wohin, wir bleiben, und wissen nicht wo, wir essen und wissen nicht warum: das alles ist die starke Lebenskraft von Himmel und Erde: wer kann die sich zu eigen machen?«

      13. ZWEIERLEI RÄUBER

      In Tsi lebte ein Mann namens Guo, der war sehr reich. In Sung lebte ein Mann namens Hiang, der war sehr arm und ging von Sung nach Tsi, um den Mann Guo um sein Geheimnis zu bitten. Dieser sagte zu ihm: »Ich bin tüchtig im Rauben. Nachdem ich Räuber geworden, da hatte ich im ersten Jahre schon etwas, im zweiten Jahr schon genug, im dritten Jahr schon ein großes Stück Land. Von da an ging es weiter, bis zum Besitz von ganzen Dörfern und Markungen.«

      Der Mann namens Hiang war hoch erfreut. Er hatte wohl die Rede vom Räubersein verstanden, aber nicht den Sinn, in dem jener Räuber war. So fing er denn an, über Mauern zu klettern und in Häuser einzubrechen, und nahm alles, was ihm unter die Hände und vor Augen kam. Nicht lange, da wurde er wegen des angehäuften Raubs bestraft und verlor so noch all seine frühere Habe dazu.

      Er dachte, der Mann Guo habe ihn zum besten gehabt, ging hin und machte ihm Vorwürfe. Guo sprach: »Wie hast du denn das Räuberhandwerk betrieben?« Hiang erzählte nun, wie es ihm gegangen. Da sagte Guo: »Ei, daß du den Sinn des Räuberseins so mißverstehen konntest! Nun will ich ihn dir erklären: Ich habe sagen hören, daß der Himmel seine Zeiten und die Erde ihre Gaben hat. Ich habe des Himmels Zeiten und der Erde Gaben geraubt, die Feuchtigkeit von Wolken und Regen, die Fruchtbarkeit von Berg und Tal, um mein Korn zu erzeugen und mein Getreide fett zu machen, um meine Mauern zu bauen und meine Häuser zu zimmern. Zu Lande raubte ich Vögel und Tiere, zu Wasser raubte ich Fische und Schildkröten. Alles war Raub. Denn Korn und Getreide, Erde und Holz, Vögel und Tiere, Fische und Schildkröten sind alle vom Himmel erzeugt und keineswegs mein Eigentum. Aber ich beraubte den Himmel und hatte deshalb kein Unglück. Gold aber und Edelsteine, Perlen, Kostbarkeiten, Lebensmittel, Reichtümer und Waren sind Dinge, die sich andere Menschen schon genommen haben, nicht freie Gaben des Himmels. Wenn man das raubt und wird dafür bestraft, wer kann sich darüber beklagen?«

      Der Mann Hiang kam in große Zweifel und meinte, Guo wolle ihn zum zweitenmal betrügen. Da begegnete er dem Herrn Dung Go, und fragte ihn, wie das sei. Der Herr Dung Go sagte: »Ist doch schon der Gebrauch deines Leibes ein Raub.

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