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Der entgrenzte Mensch und die Grenzen der Erde Band 1. Kersten Reich
Читать онлайн.Название Der entgrenzte Mensch und die Grenzen der Erde Band 1
Год выпуска 0
isbn 9783864898235
Автор произведения Kersten Reich
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Издательство Bookwire
Besonders wichtig ist als Mittel einer Gegensteuerung der Erhalt der vielfältigen Natur. Der Amazonas-Regenwald steht hierfür als ein Symbol, an dem studiert werden kann, wie menschliche Gier, globalisierte Märkte und die Machtlosigkeit der UN zusammenwirken, die zwar das Waldsterben beklagen, aber kaum etwas dagegen unternehmen zu können scheinen. Wir reden hier auch nur von einer Abwehr des Sterbens. Um positive Effekte zu erzielen, müsste die Menschheit ein riesiges Aufforstungsprogramm starten, weil allein so eine Regeneration mit wirksamem CO2-Abbau erreicht werden könnte.
Die menschliche Lebensweise hat nicht nur die Natur in Landwirtschaften verwandelt und dadurch Flächen versiegelt, auch die Bebauung zum Wohnen, zur Produktion und für den Konsum und Verkehr hat eine steigende Bodenversiegelung hervorgebracht. Weltweit schrumpfen kontinuierlich die Flächen, die noch nicht versiegelt sind. In Deutschland sind die Böden der Siedlungs- und Verkehrsflächen circa zu 50 Prozent versiegelt. Bezogen auf die Gesamtfläche von berechneten 15 Bundesländern beträgt der Anteil dieser Siedlungs- und Verkehrsfläche bereits 13,6 Prozent (Umweltbundesamt 2020). Weltweit sind insbesondere die Megacitys durch Versiegelung betroffen; vor allem Verkehrsflächen nehmen einen hohen Anteil versiegelter Fläche ein. Es werden also nicht nur die Ressourcen an Rohstoffen knapp, auch die vorhandenen Flächen schrumpfen. Ohnehin sind viele Flächen in Privatbesitz, die Erde ist bereits umfassend verteilt.
Als politische Gegenmaßnahme sollen in Deutschland Ökopunkte in einer Art modernen Ablasshandel die Geschwindigkeit, mit der diese Versiegelung zunimmt – zurzeit liegt sie bei 60 Hektar pro Tag – drosseln (zur Öko-Punkte-Lüge vgl. Report Mainz 2019). Ziel sind 30 Hektar bis 2030. Die Zunahme an Bebauungen in städtischen Bereichen kann durch Ökopunkte ausgeglichen werden. Wenn etwa ein Acker in eine Wiese umgewandelt wird, dann gibt es dafür Punkte. Diese Punkte können weiterverkauft werden, so an eine Kommune oder eine Baufirma. Wenn es für ein Vorhaben keine gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleichsflächen mehr gibt, dann können auch entfernte Flächen gekauft und in Punkte umgewandelt werden. Bei den Ökopunkten schlägt die Qualität der Umwandlung in etwas ökologische Sinnvolles sich in der Höhe der Punkte nieder. Eine Fischtreppe etwa gilt als wesentlich besser als eine Wiese, deshalb gibt es mehr Punkte. Mit nur einer Treppe, so kritisieren Umweltschützer, lassen sich mehrere Baugebiete ausgleichen. Die Wunschvorstellung eines Ausgleichs durch Formalisierung versucht hier eine Art Gleichheit im Wettbewerb herzustellen, der in der Bepreisung eher willkürlich als durchdacht ist. Die Regulierung im kleinen Maßstab führt in immer weitere unübersichtliche Teilmaßnahmen, die wie ein Flickenteppich der Nachhaltigkeit aussehen, ohne dass ein wirksames Gesamtbild erscheint und für die Menschen transparent wird.
Frischwasser und Meeresspiegel
Der Meeresspiegel ist in den letzten 100 Jahren bereits um 19 Zentimeter gestiegen. Ursache sind schmelzende Gebirgsgletscher und die thermische Ausdehnung des sich erwärmenden Meerwassers. Zwischen 1993 und 2017 erfolgte ein mittlerer Anstieg um 0,85 Zentimeter, allerdings ist zu beachten, dass regionale Unterschiede sehr groß ausfallen. Levermann et al. (2020) warnen, dass dieser Anstieg sich vervielfachen könnte. Als entscheidende Faktoren werden in verschiedenen Studien dabei die großen gebundenen Eisflächen in der Arktis und besonders der Antarktis angesehen. Je länger die Klimaerwärmung voranschreitet, umso dramatischer werden die Effekte. Die Forschungsgruppe vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat eine große Schwankungsbreite in Abhängigkeit vom Treibhausgasausstoß berechnet. Bis Ende des Jahrhunderts kann wahrscheinlich mit einem Anstieg zwischen 6 und 58 Zentimetern gerechnet werden. Könnten Emissionen rasch vermindert werden, dann liegt die Spanne immer noch zwischen 4 und 37 Zentimetern. Der Zuwachs wäre verglichen mit den letzten 100 Jahren erheblich und für Küstenregionen bedrohlich. Werden alle Faktoren zusammenfassend berücksichtigt, also die Ausdehnung der Meere durch Erwärmung, das Abschmelzen des Grönlandeises und der Hochgebirgsgletscher und des antarktischen Eisschildes, dann ist nach Berechnungen der Forschungsgruppe durchaus auch bei unverminderten Treibhauseffekten mit einem Anstieg von 1,5 Metern bis zum Ende des Jahrhunderts zu rechnen.
Insbesondere die kaum abzuschätzenden Wirkungen der Antarktisschmelze machen genaue Prognosen schwierig. Zudem sind alle Berechnungen noch mit weiteren Unbekannten versehen, denn das Abschmelzen der Tundra und das Freisetzen von Gasen können den Treibhauseffekt noch weiter beschleunigen.
Im ökologischen Fußabdruck wird der Frischwasserverbrauch nicht betrachtet. Das Wasser wird als eine biologisch neutrale Umlaufgröße betrachtet, da es scheinbar weder erzeugt noch verbraucht wird. Dies gilt auch für das Artensterben, das gleich noch charakterisiert werden soll. Aber Wasser ist ein Lebenselement, das alle bisherigen und die noch folgenden Gesichtspunkte durchdringt, mit ihnen verbunden ist und auch zu den planetarischen Grenzen gerechnet werden muss. Zunächst ist das Meereswasser und sind die vielen Seen auf der Erde, die 70 Prozent der Erdoberfläche bedecken, ein gigantischer CO2-Speicher. Etwa 38 000 Gigatonnen CO2 sind in den Meeren gespeichert. Bei steigenden Temperaturen – das ist eine der zusätzlichen Fallen der Erderwärmung – lässt diese Speicherkraft allerdings nach. Um das Wasser als Lebenselement nachhaltig zu schützen, gelten zunächst die Klimaziele auch hier, weil die Erwärmung des Wassers insbesondere für das Leben im Wasser eine Bedrohung ist. Der Überschuss an CO2 in der Atmosphäre führt dazu, dass der PH-Wert des Wassers zunehmend sinkt. Durch die Aufnahme von CO2 tritt neben dem Treibhauseffekt, der die Temperaturen weltweit steigen lässt, ein zweiter Effekt auf, der äußerst nachteilig ist. Die Meere versauern (siehe OA-ICC 2020). Dies erschwert kalkskelettbildenden Lebewesen die Produktion ihrer Skelette, und weil diese Lebewesen die Basis für weitere Nahrungsketten bilden, entstehen Ketteneffekte, die bis hin zur menschlichen Nahrungsgewinnung reichen. Wenn der PH-Wert sinkt, dann ist dies alarmierend. »Wie der Richterwert der Erdbebenskala ist der PH-Wert logarithmisch, so dass bereits eine sehr schmal erscheinende Differenz eine sehr große Veränderung in der realen Welt bedeutet.« (Kolbert 2015, 114) Die Korallenbleiche und das Aussterben vieler Arten sind hierfür ein Beleg.
Dramatisch ist insbesondere die Potenz der Veränderung, die eigene Kipp-Punkte in der Qualität des Wassers und im Artensterben entfalten wird. In bestimmten Meeresregionen ist dies schon offensichtlich und messbar geworden.
Die zunehmende Verschmutzung des Wassers ist ohnehin eine globale Herausforderung. Der Plastikmüll, der vom Land ins Meer dringt, hat ungeheure Ausmaße angenommen. Für 2025 wird geschätzt, dass pro drei Tonnen Fischen im Ozean bereits eine Tonne Müll existiert, 2050 gäbe es dann mehr Plastik als Fische (vgl. Ellen Macarthur 2016). Vor allem durch Überdüngung nimmt die Nährstoffbelastung der Gewässer und Meere weltweit zu. Dies führt nicht nur zu unangenehmen Effekten wie riesigen Algenteppichen, sondern auch zu einem Absinken der Biodiversität. Die Übersauerung des Wassers steht mit den hohen CO2-Werten im Zusammenhang; sie schädigt die Qualität des Wassers und damit des Lebens im Wasser wie der Ernährung durch Wasser. Zudem ist sauberes Trinkwasser auf der Welt nicht nur ungleich verteilt, es ist auch zunehmend schwerer herstellbar und wird dadurch teurer. Industrielle Produktion wie Agrarproduktion verschlingen Unmengen an Wasser, die anderen Kreisläufen entzogen werden. Besonders in wasserarmen Ländern gibt es eine Unterversorgung mit Trinkwasser.
Wasser und Müll bilden eine Einheit, da lösliche wie nicht lösliche Stoffe, insbesondere Plastik, im Wasserkreislauf landen. Deshalb ist der Schutz von möglichst reinem Wasser ein hohes Ziel, mit dem die Menschheit bisher sehr sorglos umgeht. Allein für das Trinkwasser wird in der Regel bezahlt, dessen Verschmutzung hingegen kostet bisher im Grunde nichts.
Artensterben
Im Anschluss an den Umweltgipfel von Rio haben Hunderte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Bericht Sustaining Life erstellt, der aufzeigt, wie sehr das menschliche Leben von anderen Arten abhängt (Chivian & Bernstein 2008). Diese Abhängigkeit und die Dienste, die durch die Evolution verschiedenster Lebensformen dem Menschen zum eigenen Überleben bereitstehen, die auch durch die weitere Umwelt wie selbstverständlich vorhanden zu sein scheinen, werden in menschlichen Handlungen ignoriert und übersehen, weil der Mensch sich angewöhnt hat, nur noch seine materiellen Vorteile