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Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda Huch
Читать онлайн.Название Der Dreißigjährige Krieg
Год выпуска 0
isbn 9783962818555
Автор произведения Ricarda Huch
Жанр Документальная литература
Серия Sachbücher bei Null Papier
Издательство Bookwire
Die Unterredung mit dem Schwiegersohn, die den Kommandanten nicht wenig beunruhigte, verlief bequemer, als er gedacht hatte, und ziemlich zufriedenstellend; wenigstens versprach er, der vor Dornheim viel mehr Angst hatte, als dieser ahnte, Besserung in jeder Hinsicht, das schuldige Verhältnis mit der Verführerin, an der er kein gutes Haar ließ, abzubrechen und seine Frau mit gebührender Rücksicht zu behandeln. Eine Versöhnung wurde zuwege gebracht, bei der der Mann weinte und schluchzte und die junge Frau blass und verschlossen dreinschaute. In seiner Freude lud Dornheim den Schwiegersohn und einige andere Offiziere auf den Abend zu einem Bankett ein und trank mehr als gewöhnlich, während er sich sonst, namentlich während der Dienstzeit, eher durch Mäßigkeit auszeichnete. Doch war er besonnen genug, um Mitternacht die Tafel aufzuheben; vor dem Zubettgehen, sagte er, wolle er noch eine Runde um den Wall machen; er fühle sich wach und nüchtern, als sei er eben aufgestanden, setzte er fröhlich hinzu, indem er seine kräftige Gestalt reckte. Von einigen Fackelträgern begleitet, traten sie den Rundgang an, bei dem Dornheim ziemlich festen Fußes voraufging, während die anderen, berauscht und schläfrig, ihm nachstolperten. Sie waren bei dem sogenannten Badehause angekommen, das ein Hauptziel der Belagerer war, als Dornheim stillstand, weil er ein Geräusch gehört zu haben glaubte; es rührte von einem Arkebusier bei den Mansfeldischen her, der auf dem Bauche bis an den Stadtgraben gekrochen war in der Hoffnung, etwa Gelegenheit zu einer kühnen Tat zu finden. In dem Augenblick, wo Dornheim, einem der begleitenden Soldaten die Fackel aus der Hand nehmend, sich zum Graben hinunterbeugte, legte der versteckte Schütze an und traf den feindlichen Kommandanten so gut ins Herz, dass er, nur noch einen einzigen Seufzer ausstoßend, tot vornüber in die Tiefe stürzte.
Sein Schwiegersohn wurde sein Nachfolger; allein unter seinem launischen Regiment, denn er ließ bequemer Nachsicht unvermittelt bösartige Härte folgen, wurde die Mannszucht der Besatzung locker, die Einwohnerschaft ihrer überdrüssig, und die Verteidigung fing an, dem Feinde allerlei Blößen zu zeigen. Da nun auch endlich von Prag aus Mahnungen an Mansfeld kamen, er solle Ernst gebrauchen, schritt er zum Sturme und konnte in der Frühe des 22. November als Sieger in die eroberte Stadt einziehen.
Vor Pilsen erkrankte einer der reichsten böhmischen Standesherren, Albrecht Johann Smirsitzky, und starb in seinem Hause in Prag, wohin er sich hatte bringen lassen. Er war mit der Prinzessin Amalie von Hanau, einer Enkelin Wilhelms I. von Oranien, verlobt gewesen, die den Bräutigam tief betrauerte und ihr Bild an einer Kette nach Prag schickte, damit es zu ihm in den Sarg gelegt werde. Der junge Mann, der ein wildes und liederliches Leben geführt hatte, war in ihren Augen ein Glaubensheld, da er sich bei der Defenestration der katholischen Räte als einer der Eifrigsten mit eigener Hand beteiligt hatte, und sie hielt sein Andenken heilig. Noch bevor ein Jahr verflossen war, heiratete sie den nunmehr ältesten Sohn des Landgrafen von Hessen-Kassel, Wilhelm, dem sie zwar nicht an Bildung, aber an Gesundheit und Tatkraft überlegen war und der sich ihr mit ganzem Herzen hingab.
29.
Spät an einem Dezemberabend des Jahres 1618 in Straßburg begab sich der Professor der Geschichte Matthias Bernegger mit seinen Schülern zum Münster, um den seit einiger Zeit sichtbar gewordenen Kometen zu betrachten. Bernegger hatte der Religion wegen seine oberösterreichische Heimat verlassen müssen und an der Straßburger Akademie eine Anstellung gefunden. In seinem Hause, das ein fröhlicher Sinn und tätiger Geist belebte, wohnten stets einige Studenten, die liebevoll und dankbar an ihm hingen, nicht selten aber auch ihn ausnützten und betrogen. Dies pflegte seiner Liebe keinen Eintrag zu tun, wie er denn immer mit innigem Anteil von dem Schlesier erzählte, der lateinische Verse aus dem Stegreif machte, zur Mandoline sang und, wenn er ihm Geld abborgte, ihn so unschuldig schelmisch ansah, als ob er ihm im Voraus zu verstehen geben wollte, dass er es nie zurückgeben werde. Ebenso von jenem Basler, der durchaus nichts lernte, sei es, dass er es nicht konnte oder dass er keine Lust dazu hatte, aber seiner Frau in der Küche so anstellig zur Hand ging, dass sie nicht mehr ohne ihn fertig werden konnte, der freilich auch einen ärgerlichen Handel mit einer Dienstmagd anstellte, sodass Bernegger um seinetwillen bittenderweise bei den Ratsherren umherlaufen und bei Freunden eine Anleihe machen musste, um den Schaden einigermaßen zu decken. Noch mehr Not hatte er mit dem von Küssow, einem jungen Pommer, auszustehen, der sich betrank und niemals bezahlte und, wenn Bernegger einen Zweifel aussprach, ob er auch zu dem Seinigen kommen würde, stolz entrüstet sagte, er sei von uraltem deutschem Adel, wolle lieber das Leben einbüßen als die Ehre und fordere jeden vor sein Schwert, der ihm zu nahe träte. Er war faul und begriff nichts, konnte aber gut rechnen und löste, wenn er nüchtern war, die längsten und schwierigsten Aufgaben so geschwinde, als ob sie ihm jemand einbliese.
Während der kleine Trupp, von einem Laternenträger geführt, durch die nebelerfüllten Gassen schritt, erzählte Bernegger von dem Kometen und seiner etwaigen Bedeutung. Viele glaubten, sagte er, ein Komet zeige insbesondere den Tod hoher Herren an, und nachdem kurz vor seinem Erscheinen der Erzherzog Maximilian, sechzigjährig, gestorben sei, habe man ja nun auch den Tod der Kaiserin Anna erfahren müssen, und von bedenklicher Leibesschwäche des Kaisers werde viel gefabelt. Andere bezögen die drohende Fackel mehr auf Krieg und Pest, und auch das könne ja nur allzu leicht eintreffen, da von gewisser Seite, nämlich von den Jesuiten, ungescheut zum allgemeinen Kriege aufgerufen werde und der Krieg schon für sich eine Pest sei. Er wolle ihnen, seinen Schülern, aber nicht verhalten, dass einzelne, zum Beispiel der große Kepler, den er mit Stolz seinen Freund nenne, von solchen Andeutungen nicht viel hielten, indem Kepler auf alle Erscheinungen der Welt die physikalischen Gesetze angewendet wissen wollte, welche wohl Gottes Größe im Allgemeinen offenbarten, nicht aber seinen Willen in Bezug auf die menschlichen Geschicke im einzelnen. Er wies auf Keplers großes Werk von der Harmonie der Welt hin, wonach die ganze Welt mit Einschluss der Erde in sich zusammenhänge und durch sich bestehe; freilich wären dies alles gefährliche Wahrheiten