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Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda Huch
Читать онлайн.Название Der Dreißigjährige Krieg
Год выпуска 0
isbn 9783962818555
Автор произведения Ricarda Huch
Жанр Документальная литература
Серия Sachbücher bei Null Papier
Издательство Bookwire
Wahr sei es, sagte Martinitz lachend, davon könne er zeugen, der es am eigenen Leibe erfahren habe; aber unerhört sei es freilich, und der gute Herr von Slawata, der schwer daniederliege, habe auch geklagt, es stehe wohl in den Historien, dass die römischen Patrioten den ehrgeizigen Cäsar mit Dolchen ermordet hätten, aber aus dem Fenster pflege man nur Katzen oder etwa ein junges Hündlein zu werfen. Ein solcher Schimpf sei unausstehlich, und es wäre kein Wunder, wenn man vor Kummer darüber hinstürbe.
Wie es denn zugegangen sei? fragte der Bischof. Martinitz solle ihm doch um Gottes willen alles haarklein erzählen. Und was für eine Bewandtnis es denn mit seiner Errettung habe?
Martinitz erzählte, dass sie am Tage zuvor gewarnt worden wären, als ob die Unkatholischen mit Mordgedanken umgingen, sie hätten es jedoch nicht beachtet, sondern wären, auf Gott und ihr gutes Gewissen trauend, zur anberaumten Sitzung auf die Burg gegangen; dass ihre Widersacher sie sogleich mit ungerechten Vorwürfen angebellt und ihre Verantwortung kaum angehört hätten und dass Graf Thurn das Zeichen gegeben und geschrien hätte, wegen ihrer Verbrechen müssten sie jetzt des Todes sein, worauf er und der Smirsitzky ihn gepackt und unter Hohnlachen aus dem Fenster geworfen hätten. Im Fallen habe er aber den Kopf nicht verloren, sondern fortwährend gemurmelt: »Jesus Maria, Maria steh mir bei, Maria verlass mich nicht«, unter welchem Beten er wohlbehalten im Graben angelangt und wie von mütterlicher Hand auf einen gepolsterten Sessel sanft niedergesetzt sei. Gleichzeitig sei in der unteren Stadt eine Prozession über die Brücke gegangen, und ein redlicher Mann, der dabei gewesen sei, habe die allerseligste Jungfrau im blauen Mantel in der Luft flattern gesehn, wie sie ihn, Martinitz, getragen und sorgfältig im Graben abgesetzt habe.
»Was für ein herrliches Wunder!« rief der Bischof, und der Rektor fügte mit funkelnden Augen hinzu, da alles so wohl abgegangen sei, müsse man sich freuen, müsse man frohlocken, dass die Unkatholischen einmal ihre Tücke und mehr als herodische Grausamkeit gründlich offenbart hätten. Nun müsse doch jedermann und auch der Kaiser einsehen, dass Moderation da nicht am Platze wäre, sondern dass dergleichen Disteln und Dornen nur mit Feuer könnten ausgerottet werden.
Gewiss habe Gott es eigens so veranstaltet, sagte Martinitz. Er und sein lieber Oheim Slawata hätten es immer gesagt, in Böhmen müsse man nicht glimpflich, sondern auf steiermärkisch reformieren, sonst wären diese gottlosen Schelme nicht zu beugen.
Ja, wie er denn so seltsam und eigentlich verschmutzt aussähe? fragte nun der Bischof, indem er des Martinitz Gesicht in der Nähe musterte.
So künstlich hätte ihn sein Bader hergerichtet, sagte Martinitz, hätte ihn mit Ruß angeschwärzt und auch den Knebelbart gestutzt, um ihn unkenntlich zu machen. Es sei auch notwendig gewesen; denn die Unkatholischen hätten berittene Mörder nach ihm ausgesandt, die ihn auch eingeholt hätten. Er habe aber aufrecht in seiner Kalesche gesessen und sie dreist angesehen, die Pistole in der Hand, worauf sie weitergeritten wären, sei es, dass sie ihn nicht erkannt oder sich nicht an ihn gewagt hätten.
Der Herr von Slawata, berichtete Martinitz ferner, sei schlimmer daran als er, könne das Bett nicht verlassen und kaum reden, so zerschlagen sei er; aber die hochgeborene Frau Polyxena von Lobkowitz pflege ihn unter ihrem Dache; das sei eine so kluge und majestätische Frau, dass die Unkatholischen sich keiner Gewalt gegen sie unterfangen würden.
Der Bischof tischte seinen Gästen ein prächtiges Abendessen auf, während Martinitz seinen Bericht wiederholen und im einzelnen ausmalen musste. Am folgenden Tage versah er den Flüchtling mit einem kleineren und leichteren Wagen, da man auf den schmalen und gefährlichen bayrischen Wegen, wie er sagte, mit einer schweren Kalesche, wenn sie etwa in den Graben stürzte oder im Schlamme steckenbliebe, übel daran sei. So ausgerüstet, kam Martinitz glücklich nach Landshut und am Tage darauf nach Freising; aber von dort an nahm die Unwegsamkeit der Straße so zu, dass der Diener, welcher die Zügel führte, in große Sorge geriet und endlich anhielt mit den Worten, dass er sich nicht weiter traue oder wenigstens der Verantwortung enthoben sein wolle. Der Bader Thomason stieg aus, um die Gelegenheit zu betrachten, und sagte nach einer Weile, zu Fuße würden sie vollends steckenbleiben, da sie keine hohen Stiefel hätten, und weil sie doch nach München wollten, sei sein Vorschlag, dass sie es mit Gott versuchten, hindurchzufahren. Martinitz warf nur obenhin einen Blick auf die Straße und sagte, freilich müssten sie weiter, nachdem ihn die Himmelskönigin eben erst beim Sturze von der Burg so tapfer behütet habe, wolle er sich jetzt nicht durch Zweifel beflecken. Auch hätten sie ja vier Pferde vor dem Wagen, man solle nur in Gottes Namen daraufschlagen. Unter Peitschenknallen, Stolpern und Ziehen wurde die Reise langsam fortgesetzt; indessen als die Dämmerung hereinbrach, kam es doch dahin, dass der Wagen umschlug, wobei zwar die Insassen mit einigen Quetschungen und Schrammen davonkamen, aber die Deichsel zerbrach. Martinitz half den Wagen aufrichten, was nach schweren Bemühungen glückte, und setzte sich dann auf einen Stein am Wege und betete, während die anderen mit den wenigen Werkzeugen, die sie bei sich hatten, das Fahrzeug leidlich zusammenflickten. Über den Saatfeldern und fernen sammetschwarzen Wäldern schwebte der Himmel wie ein ungeheurer Adler, von dessen Sturmfluge ein leiser, stetiger Luftzug über die tiefe Erde strich.