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diesen Schritt längst gegangen. Seine Weltumsegelung mit ärztlicher Mission ist (noch) nicht vollendet, sie wird es vielleicht niemals sein. Der Pazifik hält ihn fest, seit bald einem Jahrzehnt. Zum Geschäftsmodell hingegen hat Wolfgang Weber das Weltumsegeln ausgebaut: Als Gastgeber reiste er auf seiner Yacht um den Globus. Nicht einmal, gleich zweimal. Mit großem Erfolg.

      Nicht allen Reisenden war Fortuna so wohlgesonnen. Eine der Weltumsegelungen endete dramatisch, eine andere löste Zweifel aus. Dies sind jedoch die Ausnahmen, der Großteil der Rückkehrer wäre am liebsten gleich wieder losgesegelt. Oder gar nicht erst zurückgekehrt. Gerade die jüngeren Crews wären wohl heute noch unterwegs, hätten leere Bordkassen sie nicht irgendwann in die Heimat geschickt.

      Heimliche Hauptdarsteller der Geschichten sind die Segelyachten. Sie wurden zum Zuhause und zu Reisegefährten der Segler. Manche sind klein, alt und aus rostendem Stahl. Andere, wie die SCHÜSSEL von Christine und Herbert Graßhoff, brandneu und nach den Wünschen der Eigner in modernster Machart gebaut. Heinz Solka schweißte die Platten seines ersten Schiffes eigenhändig zusammen, das zweite konstruierte er selbst und spendierte ihm sogar eine Fahrt auf dem Frachtschiff. Renate und Dieter Heller brachen mit einem schmucken Klassiker zur Weltreise auf, einem Schiff mit hohem, pflegeintensivem Holzanteil.

      Schließlich unterscheiden sich die Weltumsegelungen dieses Buches durch die gesegelten Routen, den »Fahrplan«. Viele führen entlang der Barfußroute, geschoben vom Passatwind. Doch nicht wenige Segler entfernten sich vom Strom, reisten abseits der Segelhighways: zu den abgelegenen Inseln des Nordpazifiks, auf Flüssen und Kanälen in Europa und Amerika, in den hohen Norden und tiefen Süden dieses Planeten. Zum Mythos Kap Hoorn und weiter.

      Sie halten keinen Ratgeber für angehende Blauwassersegler in den Händen. Dennoch konnte ich es nicht lassen, die Weltumsegler um ihre besten Tipps, Tricks, Anekdoten und technischen Angaben zu ihrem Schiff zu bitten. Sie finden sich am Ende jedes Kapitels und vermitteln gemeinsam mit den Kurzporträts einen kompakten Eindruck davon, worauf es bei dem Unterfangen Weltumsegelung ankommt.

      Was die Protagonisten der folgenden Seiten wohl erzählen würden, säßen sie alle in einer lockeren Runde versammelt? Vielleicht ginge es um die optimale Ausrüstung, die schönsten Ankerbuchten – oder um die Fragen, die ich ihnen gestellt habe: In welchem Moment war klar, dass ihr um die Welt segeln wollt? Was werdet ihr nie vergessen? Und wie war es, wieder zurückzukehren?

      Für einige Stunden laden sie uns zu sich an Bord ein, um noch einmal, zwischen Seekarten und Konservendosen sitzend, zu planen und zu träumen, die Welt achteraus zu lassen und irgendwann wieder anzukommen.

      Vielen Dank euch Weltumseglern. Für die Offenheit, mit der ihr über den Törn eures Lebens und den Weg dorthin berichtet habt – in Kajüten, Kaminzimmern, Kneipen oder über eine brüchige Skype-Verbindung. Ein Hoch auf eure Abenteuerlust, dank der zwischen den folgenden Zeilen die Erfahrung aus einer halben Million Meilen und rund 100 Jahren auf See fließt.

       Kristina Müller, Hamburg 2017

       Tatjana Hartmann und Thomas Witt mit SY BREAKPOINT, Mai 2004 bis Oktober 2009, Lübeck–Lübeck, 42.200 Seemeilen, 1984 Tage

      1 Durchatmen am Ende der Welt

      Kap Hoorn und weiter: Tatjana Hartmann und Thomas Witt und ihr Traumtörn in eisige Breiten

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      Thomas Witt, kurz Tom genannt, träumt davon, um die Welt zu segeln, ohne je einen Fuß auf ein Segelboot gesetzt zu haben. Er malt sich Kap Hoorn aus, den Ort, der mehr als jeder andere von Stürmen erzählt, von Schiffbruch und Abgeschiedenheit. Aber auch von Freiheit, grandioser Natur und Abenteuer. Von den Dingen eben, die der Meeresbiologe sein Leben lang gesucht hat. 1986 reist er mit dem VW Bus durch Afrika, arbeitet später als Tauchlehrer an entlegenen Winkeln der Welt. Für die Reise seiner Träume braucht er ein Schiff – und verliebt sich in die gutmütigen Aluminiumbauten aus der Feder Kurt Reinkes. Und schließlich in Tatjana Hartmann, die – welch Glück – segeln kann.

      Hohe Breiten mit tiefen Temperaturen

      Es bedarf keiner großen Überredungskunst, um Tatjana für seine Idee von der langen Reise zu begeistern. Zusammen suchen sie ein Schiff und finden in Emden eine Reinke 13M. Die Eisversion, mit Schotten und verstärkter Bodenplatte. Gerade fertig gebaut und von den Eignern nahezu perfekt für eben den Zweck ausgerüstet, der im Kopf des Paares spukt: weltweite Fahrt, in die hohen Breiten mit den niedrigen Temperaturen. Wie es der Zufall will, vereiteln Hund, Kind und Krankheit, dass die stolzen Erbauer selbst mit dem Schiff aufbrechen können. Ihr erster und einziger Törn ist der Testschlag mit Tatjana und Tom, bei dem der Funke endgültig überspringt. Tom verkauft einen Teil seines geerbten Grundstücks, um das Schiff zu kaufen. Eine Win-win-Situation, denn die Erbauer sind froh, dass wenigstens die Yacht die große Reise antreten wird.

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      Ihre BREAKPOINT legen die neuen Besitzer an einen Abschnitt der Trave, den Besucher nur finden, wenn sie ihr Ziel kennen. »Dort konnten wir auch sonntags flexen«, lacht Tatjana. In den folgenden vier Jahren verbringen die Hamburger jede freie Minute an Bord. Segeln, schrauben, planen. Sie arbeiten und legen jeden Euro, der nicht ins Schiff fließt, zur Seite. Kein Kino, kein Essengehen, keine neuen Klamotten. Im Alltag treffen sie die nötigen Vorbereitungen: Tom, der im Vertrieb eines Energieversorgungsunternehmens arbeitet, kann einen fünfjährigen unbezahlten Urlaub durchsetzen. Tatjana kündigt. Als Fachkrankenschwester für Anästhesie hat sie keine Sorge, später wieder eine Stelle zu finden. So bekommt der Plan vom Ausstieg auf Zeit konkrete Züge: Fünf Jahre, sie wollen nach Patagonien, in die chilenischen Gletscherkanäle. Rund Kap Hoorn. Danach? »Das war alles offen.«

      Stürmischer Start

       Das erste schwere Wetter hinterlässt einen salzigen Vorgeschmack auf das, was sie abseits der Barfußroute erwartet.

      Disziplin und Tatendrang ermöglichen es dem Paar, im Mai 2004 den Liegeplatz an der Trave zu verlassen – nicht ohne zuvor zu heiraten. Tatjana ist 36, Tom 44 Jahre alt. Es werden stürmische Flitterwochen auf See: Das erste schwere Wetter erwischt sie schon auf der Nordsee und hinterlässt einen salzigen Vorgeschmack auf das, was sie abseits der Barfußroute erwartet. Denn dass sie die Segelhighways verlassen wollen, ist klar. In Schottland tanken sie Diesel und Kraft und entscheiden sich aus Zeitmangel gegen die Passage der irischen Westküste. Denn noch im August wollen sie über die Biskaya segeln, bevor die ersten Herbststürme die Querung der Atlantikbucht in einen rauen Endspurt entlang des europäischen Festlandes verwandeln. Der Plan geht auf, und Portugal sagt sachte Adieu.

       Dann knarren zwei Fragen in gebrochenem Englisch aus dem Lautsprecher: Wer seid ihr und wie viele?

      Erst der nächste lange Schlag auf dem Atlantik, rüber nach Madeira, bringt einen Zwischenfall mit sich, der bei Tatjana und Tom noch heute Gänsehaut erzeugt. Die Sonne hat sich gerade zurückgezogen und die Nacht stockdunkel ihren Dienst angetreten, als ein Motorboot sich unnatürlich nähert. Tom nimmt Funkkontakt auf – keine Reaktion. Dann erst knarren zwei Fragen in gebrochenem Englisch aus dem Lautsprecher: Wer seid ihr und wie viele? Auf dem Radarschirm verfolgen die beiden Segler, wie offensichtlich zwei Beiboote ausgesetzt werden. Piraten oder Polizei? Die drei Schiffe kreisen BREAKPOINT ein, kommen bis auf 200 Meter heran. Toms weitere Funksprüche bleiben unbeantwortet. Schließlich setzt Segelyacht BREAKPOINT einen Notruf ab, den Amateurfunker an die Einsatzzentrale in Bremen weiterleiten. Als ahnten die Unbekannten, welche Notfallstaffel gerade zu laufen begonnen hat, drehen sie ab und verschwinden vom Radar. Tatjana und Tom atmen auf. Für den Rest der Nacht schalten sie die Positionslichter aus.

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