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von Wegen der Zuversichtlichkeit die Rede sein soll, so muss zunächst von trügerischen Abkürzungen wie von vermeidbaren Um- und Irrwegen die Rede sein. So wohltuend nämlich eher auf erfreuliche denn unerfreuliche Zukunftsentwicklungen ausgerichtete Gemüter auf ihre Mitwelt wirken mögen (und so förderlich deren Bewusstseinshaltung vielleicht auch gerade deshalb beim Bemühen um die Erreichung des einen oder anderen Zieles), so irrig wäre es, sich über jeden Realitätsbezug erhebende Traumtänzereien für zielführende Größen zu halten. Ein solches »frisch, fromm, frei« serviertes, bloßes Wunschdenken mag freilich als sehr viel einfacher und daher auch willkommener erscheinen als die entschiedene Bereitschaft, sich vielleicht unbequemen, aber eben auch unverkennbaren Tatsachen zu stellen und Zielplanungen auf sie zu gründen. Wer einen Blick auf die Geschichte und Geschichten des politischen, sozialen, ökonomischen, kulturellen oder zum Teil auch psychischen und physischen Niedergangs von Individuen und Kollektiven wirft, wird hierfür zahllose Belege finden. In seinem Drama Biedermann und die Brandstifter hat Max Frisch dieser fatalen, sich in Schönrednerei und Schönfärberei verlierenden Leichtsinns-Mentalität ein eindrucksvolles literarisches Mahnmal gesetzt. Wie die schon früher genannten Beispiele zeigen, liegt solchen Anabasen ein immergleiches Bewusstseinsmuster zugrunde. Recht besehen, dürfte wohl jedes individuelle und kollektive Leben Aspekte zeigen, in denen »leere Hoffnungen« einer wenig erfreulichen Erfahrung vorweggingen. Bemerkenswerterweise ist der auf das Nordwest-Germanische zurückverweisende Wortstamm des Zeitwortes »Hoffen« mit der Wortgruppe von »Hüpfen« verwandt und somit auch mit den Zeitwörtern »Springen, Zappeln, Sich-Drehen oder auch (gleich einem Hasen) ›Hoppeln‹« assoziierbar.11 Wer absehbare, naheliegende oder zumindest nicht unwahrscheinliche unerfreuliche Entwicklungen oder Begleitumstände nicht wahrhaben will und daher auch keine Vorkehrungen zur Unheilsvermeidung trifft, darf sich nicht wundern, wenn ihn diese Entwicklungen ein- und überholen. Der Versuch, sich ihnen – in einem vagen Hoffnungstanz »hüpfend« – zu entziehen, ist in aller Regel zum Scheitern verurteilt.

      So jedenfalls werden all Diejenigen denken, die es – der aufklärerischen Tradition des Abendlandes verpflichtet – gewohnt sind, sich bei der Festlegung ihrer Zukunftsziele und bei der Abschätzung ihrer Zukunftschancen in erster Linie ihres Verstandes zu bedienen und dabei bisherige Erfahrungen, erkennbare Rahmenbedingungen und absehbare Begleitumstände zu berücksichtigen. Und im Hinblick auf fest ins Auge gefasste Ziele werden sie wohl stets einen beherzten Griff in die aus allen räumlichen und zeitlichen Ecken und Enden der Welt beschickte und deshalb auch reich gefüllte Schatzkiste philosophischer und psychologischer Erfolgsrezepte wagen – oder auch nur den berühmt-berüchtigten Fürstenspiegel (Il Principe, 1514/1519) des staatsklugen Florentiners Niccolò Machiavelli zur Hand nehmen, der seinen an (politischem) Machtgewinn interessierten Lesern zielführende Ratschläge erteilt.12 Wer nicht, so Machiavelli, unter Einsatz höchstmöglicher Einfalls- und Tatkraft (virtù) unter steter Berücksichtigung der jeweiligen Zeitumstände (qualità dei tempi) jede günstige Gelegenheit (occasione) wahrzunehmen weiß, um sich seinem Erfolgsziel zu nähern, der brauche sich auch keinerlei Hoffnung zu machen, das Rad der fortuna beim Aufschwung beschleunigen und beim Abschwung bremsen zu können.

      Unter rationalen Vorzeichen – und Machiavelli war ein sich völlig illusionslos gebender Rationalist vom Wirbel bis zur Zeh’ – dürfte die Befolgung solcher Empfehlungen nicht nur politischen, sondern auch allen sonstigen weltlichen Ambitionen des Menschen förderlich erscheinen. Von Hoffnung (oder gar Zuversicht) allerdings ist bei Machiavelli nicht die Rede. Sie betrachtet er wohl als selbstverständliche Begleiterscheinung eines jeden menschlichen Strebens nach einem – wie auch immer gearteten – Ziel. Dies jedenfalls legen seine anthropologischen Grundannahmen nahe, die – ähnlich denen des englischen Philosophen Thomas Hobbes (1588–1679) – von einem auf die verschiedensten Zustände und Güter ausgerichteten, unstillbaren und nagenden »Hunger nach Macht und abermals Macht« ausgeht, »der erst im Tode endet«13.

      Mit der Art von Hoffnung jedenfalls, die diese – wie es in der christlichen Religionskultur der Fall ist – neben Glaube und Liebe zur dritten »Ankertugend« macht (Paulus 1, Kor. 13, 13), hat eine mehr oder weniger beiläufige Erfolgserwartung allenfalls den Namen gemeinsam. Das Anch-Kreuz, von dem der Begriff des Ankers wie auch der Begriff der Ankertugend abgeleitet wird, stand schon in der altägyptischen Kultur für den Glauben an ein jenseitiges Weiterleben nach dem diesseitigen Tod. Dieser (in entsprechende Hoffnungen mündende) Glaube basiert zwar auf vielerlei Ahnungen, Wahrnehmungen, Offenbarungen und Bekundungen, die sich in den meisten Kulturen der Welt zu mehr oder minder kohärenten und konsistenten Pfadfindungserzählungen und Heilsverkündigungen verdichten, bedarf aber letztlich keiner rational nachprüfbarer Vergewisserungszusammenhänge, um sich in Zeit und Raum zu manifestieren. In Ermangelung von Verifizierungs- und Falsifizierungschancen vermögen im Kreis von Gleichgesinnten geteilte und bekräftigte Glaubensgewissheiten unter rationalen Vorzeichen die Hoffnung auf den Eintritt diesseitig erfahrbarer oder gar jenseitig vorstellbarer Ereignisse oder Zustände weder zu begründen noch zu erschüttern.

Illustration

      Hand mit dem Anch-Symbol, Relief im Hof des Kalabsha-Tempels, Ägypten

      Soviel jedenfalls scheint unabweisbar: Um aus dem Niemandsland »leerer Hoffnungen« in den Status einer »begründeten Zuversicht« aufzusteigen, müssen sich Erfolgserwartungen zumindest auf einer Ebene oder innerhalb eines Wahrscheinlichkeitsrahmens bewegen, der ihren Eintritt nicht von vorneherein ausschließt. Wer sich beispielsweise zum Ziel gesetzt hat, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden, muss zumindest in den U.S.A. geboren sein, weil die Verfassung der Vereinigten Staaten dies als zwingendes Erfordernis nennt. Ist dies nicht der Fall, so könnte er höchstens noch als erfolgreicher Führer einer Revolution oder eines Staatsstreiches sein Ziel erreichen. Dass man sich mit solchen Perspektiven unter den heutigen Zeitumständen (noch) außerhalb der Grenzen der Wahrscheinlichkeit bewegt, dürfte allerdings einleuchten. Aktueller, bedeutsamer und sehr viel bedrohlicher als ein solches hypothetisches Szenario ist – um ein aktuelles Beispiel zu nennen – die kollektive Fahrlässigkeit im Umgang mit der von Jahrzehnt zu Jahrzehnt fortgeschleppten Hoffnung, das Ansteigen der Erderwärmung auf zwei Grad Celsius begrenzen und damit die drohende Klimakatastrophe samt der von ihr zu befürchtenden Destabilisierung und Chaotisierung der gesamten soziopolitischen Weltordnung aufhalten zu können. Im Blick auf die globalen Fakten samt deren Implikationen und Konsequenzen spricht jedoch nichts (oder doch wenig) für die Tragfähigkeit dieser Hoffnung. Nichts aber spricht auch dagegen, sich dieser Einsicht zu stellen und alles Menschenmögliche zu tun, um das vermutlich Unvermeidbare wenigstens noch aufzuschieben oder doch abzumildern. Der amerikanische Publizist Jonathan Franzen war es, der in einem luziden Essay mit dem Titel »Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?«14 zu Recht darauf hingewiesen hat, dass es sich für jeden Einzelnen durchaus lohne, auch noch im Pfeilschatten der drohenden Katastrophe an einem ihm je und je besonders wichtig erscheinenden Einsatzort um die Abwendung oder doch Abmilderung des allem Anschein nach kaum noch aufhaltbaren Unheils zu kämpfen. Auch ein solcher Kampf ums (Über-)Leben freilich kann nicht im Zustand der Resignation erfolgreich geführt werden. Auch er bedarf eines gehörigen Quantums an Zuversicht. Und auch diese Zuversicht lässt sich rational nur begründen, wenn zumindest die bereits früher genannten Erfolgsfaktoren gegeben waren bzw. berücksichtigt wurden – Erfolgsfaktoren, deren Wirkung zweifelsohne noch durch »Zufalls«ereignisse gefördert oder gehemmt werden mögen, die (zumindest scheinbar) außerhalb menschlicher Einflussmöglichkeiten stehen.

      Mit dieser Feststellung dürften für die einzig auf den Pfad diesseitiger Sequenzlogik Vertrauenden die Rahmenbedingungen nachvollziehbarer Zuversichtlichkeit hinreichend abgesteckt sein. Der Horizont wahrnehmbarer Zuversichtlichkeit ist damit jedoch keineswegs abgeschritten, was im Folgenden erläutert wird.

      11 Vgl. hierzu Duden, Etymologie. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, bearbeitet von der Dudenredaktion unter Leitung von Paul Grebe, Mannheim 1963, S. 269.

      12 Vgl. Niccolò Machiavelli, Der Fürst, übersetzt und herausgegeben von Rudolf Zorn, Stuttgart 1955, Kap. XXV, S. 102 ff und passim.

      13 Thomas Hobbes, Leviathan oder Wesen, Form und Gewalt des

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