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König Philipps von Mazedonien (»Was sollte es Neueres geben als dass der Makedonier siegen und herrschen wird über den Hellenen«6) wurden ebenfalls in den Wind geschlagen – und ihre Nichtbeachtung dann in der Folge mit dem Untergang der athenischen Demokratie bezahlt. Die Reihung solcher Beispiele ließe sich beliebig verlängern. Abschließen mag sie ein Paradefall aus der jüngeren Geschichte Europas: Dass der britische Premier Neville Chamberlain mit seiner Beschwichtigungspolitik u. a. Winston Churchills weitsichtige Warnungen vor der Unaufhaltsamkeit des Hitler’schen Expansionsdranges ignorierte, führte zum Münchner Abkommen von 1938, das die Hitler’schen Aggressionspläne indirekt förderte, die alliierten Verteidigungsvorbereitungen verzögerten und damit auch deutlich schwächten. Mit fatalen Konsequenzen missachtet wurden mit dieser schwächlichen Appeasement-Politik von der britischen Regierung gleich zwei klassische Weisheiten der internationalen Politik – die Maximen »Principiis obsta« (»Wehre den Anfängen!«) nämlich, und »Si vis pacem, para bellum!« (»Wenn Du den Frieden willst, sei bereit zum Krieg!«). Und auch – um ein sehr viel aktuelleres Beispiel anzuführen – im Hinblick auf die Corona-Krise sollte die Missachtung begründeter Warnungen wegen des anfänglichen Fehlens von Schutzkleidung dramatische Folgen für zahlreiche Ärzte, Pfleger und Patienten haben. In Deutschland hatte das hierfür fachlich zuständige Robert-Koch-Institut schon im Dezember 2012 vor den fatalen Folgen des Fehlens ausreichender Bestände an Schutzkleidung bei Ausbruch einer Virenepidemie gewarnt, ohne damit »höheren Orts« Gehör zu finden. Ein (freilich nicht auf Deutschland beschränktes) obrigkeitliches Versagen, das nicht nur Tausenden das Leben, sondern auch zahlreichen von der Krankheit verschont Gebliebenen die wirtschaftliche Existenz und den Staatsfinanzen »nachhaltig« das Gleichgewicht kosten sollte.

      Kurzum: In allen uns selbst, unsere Mit- und unsere Umwelt betreffenden Problemlagen und Zweifelsfragen gibt es in aller Regel genügend Gründe für ein gerüttelt Maß an Skepsis und einen hinreichend großen Abstand zu jeder Art von seichtem Optimismus im Sinne des – den sprichwörtlichen »rheinischen Frohnaturen« oft allzu glatt von der Zunge gleitenden – »Et hät noch immer jut jejangen«. Tatsache nämlich ist, dass es eben nicht immer »jut jejangen« ist. Und dies oft genug in schon lange zuvor unverkennbarer Weise. Tollkühnheit abzulehnen aber heißt schließlich noch lange nicht, allen Mut zu verlieren. Gerade der übergangene Winston Churchill aus dem obigen Beispiel war es, der als Nachfolger Chamberlains schon wenig später nach Kräften (und letztlich mit Erfolg) bemüht war, das in München politisch verspielte Terrain mental und militärisch wiederzugewinnen. Wie die Erfahrung lehrt, öffnen sich – nicht stets, aber doch oft genug – auch in schwierigsten oder gar ausweglos erscheinenden Situationen unversehens Freiheits- und Erfolgspfade. Wie heißt es doch in dem altbekannten Merkvers: »Und wenn du denkst, es geht nicht mehr / kommt irgendwo ein Lichtlein her«?!

      So erbaulich und kindlich-naiv dieser Spruch auch klingen mag, so unabweisbar ist sein Wahrscheinlich-keitsgehalt. Und dies gilt sowohl für individuelle als auch für kollektive Belange. Auch hinter makropolitischen, makroökonomischen, makroökologischen und makrosozialen Entwicklungen stehen stets einzelne Menschen, deren Anlagen, Begabungen, Fähigkeiten, Absichten und Verhaltensweisen den Gang der Dinge zumindest mitbestimmen. Wo von der Sicht auf solche Entwicklungen – und zumal von Skepsis oder Zuversicht – die Rede ist, muss also von den Menschen die Rede sein, aus denen sich (wie auf dem Titelblatt der Hobbes’schen Leviathan-Ausgabe von 1651 bildhaft dargestellt) Staat und Gesellschaft, aber auch ganze Völker und Völkergruppen zusammensetzen. Sie sind es, die deren Pulsschlag bestimmen. Wo er intakt ist, werden auch diese Völker nicht dauerhaft Schaden leiden, sofern nicht weit außerhalb ihres Einflussbereiches auftretende externe Faktoren solches bewirken sollten. Externe Faktoren vermögen das individuelle wie das kollektive Wohl sowohl zu beeinträchtigen als auch zu fördern. Für die Frage jedoch, was Zuversicht als interner Motivationsfaktor zu bewirken vermag, ist deren Einfluss zunächst ohne Belang. Von erheblicher Bedeutung freilich ist die Frage, ob (und, falls ja, unter welchen Voraussetzungen) eine zuversichtliche Bewusstseinshaltung zu einem wichtigen individuellen und damit indirekt auch kollektiven Erfolgsfaktor werden kann, oder ob es sich bei dem psychologischen Phänomen der individuellen oder auch kollektiven Zuversichtlichkeit um einen bloßen emotionalen Luxus handelt, der letztlich ohne Einfluss auf den Gang des Geschehens ist. Der Suche nach einer Antwort auf diese Frage gelten die folgenden Überlegungen.

      1 Vgl. Horaz, Sämtliche Werke (Lateinisch-Deutsch), München/Zürich 1982, S. 223, sowie Vergil, Hirtengedichte (Eklogen), übersetzt und erläutert von Harry. C. Schnur, Stuttgart 1982, S. 16.

      2 Vgl. Rainer Maria Rilke, Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke, in: Rainer Maria Rilke, Werke in sechs Bänden, Bd. III, 1, 2. Aufl., Frankfurt 1982, S. 93 ff: »Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag … Und der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht so groß.«

      3 Abgedruckt in: Erich Kästner, Ein Mann gibt Auskunft, Zürich 1930.

      4 Vgl. Vergil, Aeneis 2/246 (1990, S. 56). Hyginus, 108 (1963), S. 295. Zu Kassandra allgemein vgl. auch Aischylos, Agamemnon 1080, 1256 (1990), S. 174 ff; Euripides, Hekae 88, 676 (1990), S. 159, 176.

      5 Jeremia 21, 1 ff; 37,17 ff; 38,14 ff.

      6 Vgl. Demosthenes, Erste Rede gegen Philipp, IV (1985), S. 9.

       Ohne Durch- und Fernblick geht es nicht

      Während der Regierungszeit des heute fast schon legendären bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß (1915–1988) rief ihm der damalige Landtagspräsident Heubl während einer politischen Kundgebung zu: »Franz Josef, gib uns Zukunft, gib uns Perspektive!« Und genau das ist es, was von allen erwartet wird, die sich für eine wie auch immer geartete Gruppierung von Menschen verantwortlich fühlen, weil ihnen im Rahmen dieser Gruppierung Führungsaufgaben übertragen wurden – von prominenten Politikern also, von Wirtschaftsführern, Gründern oder Oberhäuptern von Religionsgemeinschaften, Universitätsrektoren, Verbandspräsidenten und Vereinsvorsitzenden. Nichts Anderes als dieses dürften auch der oder die Verfasser der biblischen »Sprüche Salomonis« gemeint haben, als er bzw. sie schrieb(en): »Ein Volk ohne Weissagung wird wild und wüst.« (11,14)

      Die »Weissagung«, die herkömmlicherweise Beruf und Berufung der »Propheten« war7 und heute zumeist von Wissenschaftlern oder wissenschaftlich informierten Philosophen und Publizisten verkündet wird, aber letztlich von einem Jeden stammen könnte, dessen soziale Stellung ihm Gehör zu verschaffen verspricht, kann selbstverständlich auch Warnung vor unerfreulichen Entwicklungen sein. Wie schon erwähnt, kennt die Geschichte eine fast unaufhörliche Folge von – dann auch tatsächlich eingetroffenen – »Jeremiaden«. Im Fall von Jeremias war die Warnung berechtigt, wurde aber nicht beachtet. Im Falle der (wohl zumindest hinsichtlich ihrer lokalen Fokussierung fiktiven) biblischen Erzählung vom Propheten Jona bekehrt sich Fürst und Volk von Ninive – und wird deshalb auch verschont.8 Ob die seit den Hoch-Zeiten des (west)europäischen Wirtschaftswunders ab den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts anhaltenden, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts dank der Initiative der schwedischen Schülerin Greta Thunberg schon in eine Art von ökologischen Kinderkreuzzug mündenden Warnungen zahlreicher Wissenschaftler und Philosophen vor einer globalen Um- und Mitweltkatastrophe endlich fruchten werden, wird abzuwarten sein. Ohne eine sowohl grundstürzende als auch grundlegende – und daher im Blick auf die politökonomischen und soziokulturellen Befindlichkeiten der äußerst heterogenen Weltgesellschaft eher unwahrscheinliche – Neuorientierung unseres kollektiven Handels und Wandels dürfte dies jedenfalls kaum gelingen. Und eine solche ist noch keineswegs in Sicht. Noch immer ist der von den Staaten gewährte »Umweltschutz« Ausdruck jener »Politik des peripheren Eingriffs«, die vom Autor dieser Zeilen und seinen Mitautoren Charles Doran und Manfred Hinz schon vor nun fast einem halben Jahrhundert in einem gleichnamigen Buch kritisch hinterfragt wurde.9

      Willkommener als warnende »Weissagungen« sind stets die den Blick in eine glückhafte, jedenfalls aber bessere Zukunft eröffnenden Voraussagen – die nach allgemeinem Verständnis »zuversichtlichen« also. Zuversichtlich nämlich nennen wir all diejenigen, die ihre Sicht auf eine erfreuliche Zukunft richten. Wen

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