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fühlte ich mich gut gerüstet für den Ironman in Zürich. In der Woche vor dem Wettkampf ließ ich es ruhig angehen und malte mir aus, mich von morgens bis abends meiner wissenschaftlichen Arbeit zu widmen. Es war jedoch eine recht unproduktive Zeit. Vor lauter Nervosität konnte ich keinen klaren Gedanken fassen, geschweige denn, etwas niederschreiben. Am 1. August 1999 war es dann soweit. Es war ein wunderschöner Tag, und wir schwammen 3,8 Kilometer bei aufgehender Sonne im Zürichsee. Die Radstrecke war sehr anspruchsvoll und führte 180 Kilometer durch die umliegenden Berge. Dabei waren über 2.500 Höhenmeter zu überwinden. Den Abschluss bildete der Marathon, der am Ufer des Zürichsees entlangführte. Ich erinnere mich, dass es am Nachmittag sehr heiß war und viele Athleten gehen mussten oder am Wegesrand pausierten. Ich hatte mich beim Radfahren jedoch bewusst etwas zurückgehalten, um mir das Rennen und die Kräfte gut einzuteilen. Im abschließenden Marathon lief ich langsam, aber gleichmäßig, so dass ich viele Plätze gut machen konnte, was mich zusätzlich motivierte. Und so kam ich mit einer Gesamtzeit von 12:37 Stunden überglücklich ins Ziel. Das war ein wichtiger Moment in meinem Leben. Das Training und das erfolgreiche Finish hatten mich nachhaltig verändert. Ich gewann mein Selbstwertgefühl zurück, das ein Jahr zuvor noch am Boden gelegen hatte. In den Monaten nach dem Ironman konnte ich weiter an meiner Habilitationsschrift arbeiten, die ich 2000 erfolgreich abschloss.

      Ironman 1999: Das Rennen, das mein Leben veränderte

       LOKFÜHRER STATT PASSAGIER

      Meine Geschichte weist gewisse Parallelen zu Torstens Leben auf: Er studierte Elektrotechnik und trat nach dem Studium eine Stelle in München an.20 Als Projektingenieur nahm er große Maschinenanlagen in Betrieb und arbeitete regelmäßig 50 bis 60 Stunden pro Woche. Die Wochenenden brauchte er zur Erholung, wodurch sich die sozialen Kontakte auf ein Minimum beschränkten und sein Freundeskreis immer kleiner wurde. War Torsten früher sportlich aktiv und spielte viel Tennis, nahm diese Freizeitbeschäftigung mit dem Einstieg in den Beruf deutlich ab, bis der Sport schließlich ganz zum Erliegen kam. Nach außen hin war scheinbar alles gut, weil Torsten einen guten Job mit Karriereperspektiven hatte, aber in ihm drin sah es ganz anders aus. Aus seiner Sicht war das Glas immer halb leer statt halb voll. Er war latent unzufrieden mit sich und seinem Leben. Die mangelnde körperliche Fitness und sein Übergewicht trugen auch nicht dazu bei, sich besser zu fühlen.

      Bis zu jener Radtour im Jahr 2007: Wie jedes Jahr traf er sich auch damals mit drei guten Freunden zu einem langen Wochenende. In diesem Jahr beschlossen sie, an den Gardasee zu fahren, um tagsüber etwas in der schönen Umgebung am See oder den umliegenden Bergen zu unternehmen und abends in gemütlicher Runde zusammenzusitzen. An jenem Tag liehen sie sich Mountainbikes. Die Tour entwickelte sich schnell zu einer regelrechten Tortur für Torsten, die er folgendermaßen schildert:

       „Es war für den frühen Zeitpunkt im Jahr sehr heiß. Schon die Meter des ersten Anstiegs ließen mich wie eine Dampflok schnaufen und nach einer Zigarette verlangen. Meine Freunde hatten mich bereits nach wenigen Höhenmetern abgehängt, und der Frust stieg mit wachsendem Abstand. Was war nur aus mir geworden? Wieso tue ich mir das hier eigentlich an? Ich könnte jetzt bei einem Weißbier am See die Aussicht und das Leben genießen. Stattdessen fluchte ich bei jedem Tritt in die Pedale, und der Abstand zu den selbst nicht super fitten Freunden wuchs immer mehr. Erst einmal Pause und trinken. Meine Freunde rollten den Berg zu mir hinunter und fragten mich erstaunt: Ob ich eine Panne habe oder mein Rad streike?“

      Um sein Gesicht zu wahren, schob Torsten schlechtes Essen und eine Magenverstimmung vor. Sein Stolz und der Ehrgeiz ließen es aber nicht zu, dass er alleine umkehrte:

       „Störrisch und mit hochrotem Kopf trat ich eisern in die Pedale. Stoppte alle paar Meter, um kurz durchzuschnaufen und schob mich weiter mit der Geschwindigkeit einer Schnecke den Berg hinauf. Auf den letzten Metern des Anstiegs war ich längst total leer. Locker plaudernd warteten meine Freunde auf der Anhöhe – denn einen Gipfel konnte man das nicht nennen – doch ich war am Anschlag, vollkommen am Ende, und als ich oben ankam, fiel ich förmlich vom Rad. Die Reaktion meiner Freunde: Ungläubige Blicke verbunden mit der Frage, ob ich ok sei. Als sie bemerkten, dass es tatsächlich nur Erschöpfung war, wurde aus ungläubigen Blicken ein Schmunzeln und im weiteren Verlauf des Tages – und auch der Folgemonate – purer Hohn und Spott.“

      In diesen Tagen reifte in ihm die Erkenntnis, dass er in seinem Leben etwas ändern musste. Den entscheidenden Anstoß bekam er von seinem Arbeitskollegen Freddy, mit dem er eine Produktionsanlage in Betrieb nahm. Am Abend saßen sie in einem griechischen Restaurant, tranken Bier und aßen fettige Speisen. Irgendwann kam die Sprache auf Sport, und der übergewichtige Kollege erzählte erst zögerlich und dann mit immer größerer Begeisterung von seinem früheren Leben als Triathlet. Im Gespräch stellte sich heraus, dass er in den 1990er Jahren Langdistanzen in Spitzenzeiten absolviert hatte. Er sagte, dass der Einstieg mit einer kurzen Distanz für jeden machbar sei. Inspiriert durch diese Worte, meldete sich Torsten in einem Anflug von Übermut für den nächsten Volkstriathlon in München an, der über 400 Meter Schwimmen, 20 Kilometer Radfahren und 5 Kilometer Laufen ging. Für die Vorbereitung blieben ihm vier Monate Zeit. Gemessen an seiner damaligen Form war das für ihn eine große Herausforderung. Beim ersten Training konnte er kaum zehn Minuten am Stück laufen. Durch den Wechsel von Laufen und Gehen machte er jedoch kontinuierlich Fortschritte, was auch seiner Motivation zuträglich war. Das Radfahren schien ihm trotz der unguten Erinnerungen an den Gardasee machbar, da das Streckenprofil sehr flach war. Mehr Sorgen bereitete ihm das Schwimmen, da er noch nicht richtig kraulen konnte. Mit Brustschwimmen ließ sich die Sache jedoch meistern, so dass er seinen ersten Volkstriathlon im Mai 2008 erfolgreich absolvieren konnte und mit einem breiten Lächeln überglücklich ins Ziel lief.

      Wenige Monate später radelte Torsten mit dem Mountainbike rund 800 Kilometer die Elbe von der Mündung in Cuxhaven über Hamburg und Dresden bis an die deutsch-tschechische Grenze entlang. Er fuhr diese Tour bewusst alleine. Ursprünglich wollte er darüber ein Tagebuch führen, doch seine Einträge wurden immer mehr zu Reflektionen über sein eigenes Leben. Dabei kamen ihm grundlegende Fragen, die er sich in dieser Form vorher noch nie gestellt hatte:

       „Wo will ich im Leben stehen? Wie soll meine Karriere aussehen? Wie mein sportlicher Weg? Und was macht mich wirklich glücklich?“

      Torsten bezeichnet die Radtour entlang der Elbe heute als eine Reise zu sich selbst. Dabei stellte er fest, dass die Ziel- und Orientierungslosigkeit einer der Hauptgründe für seine latente Unzufriedenheit war. Er vergleicht sich selbst mit einem Passagier, der in einem Zug sitzt und die Welt an sich vorbeirauschen lässt. Er nahm sich für die Zukunft vor, die Rolle des Lokführers in seinem eigenen Leben einzunehmen, der die Weichenstellungen und das Tempo selbst bestimmt. Dabei sollte auch Sport eine wichtige Rolle spielen:

       „Mit jedem Kilometer, den ich der sächsischen Schweiz näher kam, stiegen das Selbstvertrauen und die Einsicht, dass Sport einfach zu meinem Leben gehört. Dass ich ihn brauche, um meine Laune hoch zu halten, um zu entspannen und nicht zuletzt für meine Ausgeglichenheit. Einfach dafür – damit es mir gut geht.“

      So wurde Sport vom einmaligen Projekt zur täglichen Routine. Neben kleineren Wettbewerben finishte er 2009 seinen ersten Triathlon über die Olympische Distanz. Und verfolgte so Schritt für Schritt seinen großen Traum: eines Tages einen Ironman zu schaffen. Er hörte mit dem Rauchen auf und eignete sich als Autodidakt Wissen zur Trainingslehre im Triathlon an. Nach einem Halbmarathon lief er auch seinen ersten Marathon. Vier Jahre später war es dann soweit: Nach einer erfolgreichen Mitteldistanz meldete er sich 2014 zur Challenge Roth an. Wie wichtig ihm die Erfüllung dieses Traums war und welche Priorität Sport in seinem Leben neben dem Beruf bekommen hatte, zeigen zwei Entscheidungen: Im Herbst 2013 bekam er ein gutes Jobangebot für eine neue Führungsposition in seiner Firma, das er mit der Begründung ablehnte, dass es nicht mit seinem privaten Ziel und dem Training für die Challenge im nächsten Jahr vereinbar sei. Im Frühjahr 2014 ging er noch einen Schritt weiter und bat um unbezahlten Urlaub, was damals für Führungskräfte in diesem Unternehmen ein

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