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in den sozialen Medien viele Beiträge von Triathleten, in denen sie über ihr Training und die damit verbundenen Naturerlebnisse berichteten. Das inspirierte mich, und nach und nach wurde aus meinem kleinen geplanten Reflexionsaufsatz ein größeres Projekt, das sich nicht nur mit meinen eigenen Gedanken und Gefühlen beschäftigte, sondern mit denen vieler Triathleten, die zur großen Ironman-Familie gehören. Als Wissenschaftler, der es gewohnt ist, mit qualitativen Methoden zu arbeiten, fing ich an, mich systematischer auf die Suche nach dem Sinn eines Ironman zu begeben. Ich verfolgte Posts in sozialen Medien, las Blogs, Bücher und Triathlon-Magazine, die ich gezielt im Hinblick auf Fragestellungen zu Sinn und Bedeutung auswertete. Darüber hinaus führte ich zahlreiche Interviews mit Altersklassen-Athleten und Profis wie Patrick Lange, dem zweifachen Ironman Hawaii Sieger.

      Der Frage nach dem „Warum?“ nachzugehen, war mir zunächst ein inneres Bedürfnis, das sich im Laufe der Zeit zu einem größeren Projekt auf der Suche nach dem Sinn entwickelte. Mit diesem Buch möchte ich der großen Ironman-Familie, mit der ich viele schöne Erlebnisse verbinde, etwas zurückgeben. Das Buch richtet sich an drei Gruppen: Zunächst ist es für alle Menschen geschrieben, die ihren Sport, insbesondere den Langdistanz-Triathlon, mit Begeisterung betreiben und einen tieferen (Lebens-) Sinn darin sehen. Darüber hinaus richtet sich das Buch an alle, die schon mal mit dem Gedanken gespielt haben, die Herausforderung Ironman anzunehmen. Sie werden sehen, wie facettenreich dieser Sport jenseits des Wettbewerbs und der Finish Line ist. Ich hoffe, die Erlebnisse und Emotionen von anderen Athletinnen und Athleten liefern ihnen Motivation und Inspiration für diese große Herausforderung, die sie und ihr Leben verändern wird. Um jedoch keine falschen Erwartungen zu wecken, möchte ich darauf hinweisen, dass es in dem vorliegenden Buch nicht um Trainingspläne und -methoden als Vorbereitung auf den Ironman geht. Wer daran Interesse hat, den verweise ich auf die sehr guten Trainingsbücher in diesem Bereich.1

      Last but not least wendet sich das Buch an diejenigen, die zwar mit einer gewissen Bewunderung, aber letzten Endes doch verständnislos den Kopf schütteln und fragen: Warum machen die das? Ich versuche, Antworten auf diese Frage zu liefern und beschäftige mich mit den Motiven und den Bedeutungen, die Sportler dem Ironman beimessen. Häufig wird der Langdistanz-Triathlon mit außergewöhnlichen körperlichen Leistungen und Schmerzen verbunden. Mit dem vorliegenden Buch möchte ich jedoch auch das Schöne und das Sinnliche dieses Sports aufzeigen, das häufig im Verborgenen bleibt.

      Freising, Januar 2021

      Frank-Martin Belz

       1IRONMAN ALS GLOBALER STAMM

      Ich war gerade auf dem Weg in die Innenstadt von Freising, als ich an einer Ampel auf ein Paar aufmerksam wurde, das Spanisch miteinander sprach. Beide trugen ein Finisher-Shirt vom Ironman Mexico. „Wie ist der Ironman auf der Insel Cozumel?“, fragte ich sie. „Ich habe mir kürzlich die Videos vom Wettkampf im Internet angeschaut und spiele auch mit dem Gedanken, dort mal zu starten.“ So kamen wir sofort ins Gespräch, und die beiden erzählten mir begeistert von dem Wettkampf. Es stellte sich heraus, dass das Ehepaar aus Südamerika gerade vom Halb-Ironman aus Slowenien kam und nun durch Europa reiste. Nach ein paar Minuten schien es, als wären wir schon seit Jahren befreundet, so gut verstanden wir uns. Dabei kannten wir noch nicht einmal unsere Namen. Als der Ehemann schließlich sagte: „Ironman ist ein globaler Stamm, der denselben Lebensstil pflegt, ähnliche Werte und Erlebnisse teilt, die auf Anhieb miteinander verbinden“, konnte ich ihm nur aus tiefstem Herzen zustimmen. Der Ursprung dieses globalen Stammes lässt sich auf eine kleine Gruppe von Sportverrückten zurückführen. Doch wie konnte daraus eine Community entstehen, die Menschen weltweit in den Bann zieht?

       MYTHOS

      Die offizielle Geburtsstunde des Ironman ist der 18. Februar 1978. Es ist der Tag, an dem das Rennen erstmals mit 15 Teilnehmern in Honolulu auf Hawaii stattfand. Obwohl Football, Basketball und Baseball zu den beliebtesten Sportarten in den USA gehören, gab es in den 1970er Jahren einen Trend zu Ausdauersportarten. Zurückzuführen ist dieser auf Kenneth H. Cooper, der 1968 das Buch „Aerobics“ veröffentlichte.2 Der Titel kommt von „aerobic“, einem leichten ausdauerndem Training im aeroben Bereich. Als promovierter Sportmediziner stellte Cooper in seinen wissenschaftlichen Untersuchungen fest, wie positiv sich regelmäßige Bewegung und Ausdauertraining auf die Fitness und die allgemeine Gesundheit auswirken. Diese Erkenntnis entwickelte er zu einem Fitnessprogramm mit einem einfachen Punktesystem für jedermann. Offenbar traf er damit den Nerv der Zeit. Das Buch wurde zum Bestseller. In der Originalausgabe sind auf der Titelseite die drei Ausdauersportarten Schwimmen, Radfahren und Laufen dargestellt.

      Das Buch und die Aktivitäten des „Cooper Aerobics Centers“, das 1970 gegründet wurde, lösten eine Fitnesswelle in den USA aus. Der Sieg des Amerikaners Frank Shorter über die Marathonstrecke bei den Olympischen Spielen von 1972 in München gab dem Ausdauersport nochmals zusätzlich Auftrieb. Joggen wurde zum Inbegriff des sportlichen „American Way of Life“, insbesondere in den Küstenstaaten Kalifornien und Florida. In San Diego, einer Stadt im Süden Kaliforniens, wurde die Kombination von Laufen und Schwimmen besonders populär. Gelaufen wurde am Strand und geschwommen in der geschützten Bucht von San Diego. Wettbewerbe dieser Art nannten sich „Biathlon“. Es waren Jack Johnstone und Don Shanahan, die auf die Idee kamen, Radfahren zu integrieren und am 25. September 1974 den ersten „Triathlon“ zu organisieren. Dieser nannte sich „Mission Bay Triathlon“ und ging über knapp 10 Kilometer Laufen, 8 Kilometer Radfahren und circa 500 Meter Schwimmen. Insgesamt gingen 46 Teilnehmer an den Start. Da das Rennen während der Woche stattfand und erst am späten Nachmittag startete, kamen die letzten Teilnehmer erst nach Einbruch der Dunkelheit ins Ziel. Um ihnen den Weg zu weisen, wurden Autos mit Scheinwerferlicht in die Zielarena gestellt. Unter den Finishern waren auch John Collins und seine Frau Judy, die vier Jahre später den Ironman ins Leben riefen.

      Dem Mythos nach geht der Ironman Hawaii auf eine Bierwette zurück.3 Im Februar 1977 saßen Athleten bei der Preisverleihung eines Staffellaufs im Garten der Primo Brauerei in Pearl City auf Hawaii zusammen. Die Teammitglieder des „Waikiki Swim Club“ und der „Mid-Pacific Road Runners“ diskutierten darüber, ob Schwimmer oder Läufer die fittesten Athleten seien. John Collins warf ein, dass es weder die Läufer noch die Schwimmer seien, sondern vielmehr die Radfahrer. Schließlich sei die höchste jemals gemessene maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit beim belgischen Radprofi Eddy Merckx festgestellt worden, der die Radszene in den 1970er Jahren dominierte und jeweils fünfmal die Tour de France und den Giro d’Italia gewonnen hatte.4 Damit goss Collins Öl ins Feuer der Diskussion. Um diese ein für alle Mal zu beenden, schlug er schließlich die Kombination von drei bestehenden Rennen auf der Insel Oahu vor: Den „Waikiki Rough Water Swim“ über 3,8 Kilometer, das „Around Oahu Bike Race“ über 185 Kilometer und den Honolulu Marathon über 42,2 Kilometer. Fünf Gesprächsteilnehmer sagten ihre Teilnahme spontan zu, einige meldeten sich als Freiwillige, um die Veranstaltung zu unterstützen. Ermutigt durch die positiven Rückmeldungen betrat John Collins die Bühne und erläuterte vor mehreren Hundert Staffelläufern das Vorhaben. Er schloss mit den Worten:

       „Whoever finishes first, we’ll call him the Iron Man.“

      Wer als Erster das Ziel erreicht, den nennen wir den eisernen Mann. Diese verrückte Idee, die in einer feucht-fröhlichen Bierrunde entstanden war, ließ John Collins in den Folgemonaten nicht mehr los, zumal ihn ein paar sportverrückte Athleten immer wieder an sein Versprechen erinnerten. Wie es das Schicksal so wollte, organisierten John und Judy Collins im Februar 1978 schließlich ein solches Rennen für die lokalen Ausdauerathleten. Im Vorfeld formulierte John Collins auf drei Seiten die Regeln für den „First Annual Hawaiian Iron Man Triathlon“. Um das Rennen den örtlichen Gegebenheiten anzupassen, wurde die Radstrecke um drei Meilen gekürzt.

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