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finishte in 12:22 Stunden. Im Ziel nahm ihn sein Trainingskollege Freddy in Empfang, der ihm damals den Anstoß zum Triathlon gegeben hatte und mittlerweile ein Freund geworden war. Dieses Finish markierte für Torsten den größten Tag in seinem Sportlerleben. Es steht für das Ende einer langen Reise, die sieben Jahre zuvor begonnen und in deren Verlauf er ein vollkommen neues Selbstwertgefühl gewonnen hatte.

       DOMINANZ UND MISSBRAUCH

      Natascha Badmann ist bekannt als die „Queen of Kona“, weil sie den Ironman Hawaii sechsmal gewann und damit zu den erfolgreichsten Triathletinnen aller Zeiten gehört. Weniger bekannt ist ihr Leben vor dem Triathlon und ihre traurige Kindheit. In ihrer bewegenden und lesenswerten Autobiographie spricht sie davon, zwei verschiedene Leben geführt zu haben.21 Das erste Leben begann mit ihrer Geburt am 6. Dezember 1966 in Basel. Ihre Mutter war zu diesem Zeitpunkt erst 21 Jahre alt und unverheiratet, der leibliche Vater war ein Deutscher und wollte sich nicht binden. Natascha war offenbar kein Wunschkind. Die Mutter musste sie alleine großziehen, was in der bürgerlichen Zeit der 1960er Jahre sehr schwierig war. Nach außen wahrte ihre Mutter stets den Schein und war zu anderen Kindern immer nett, ihr gegenüber aber ausgesprochen streng, um nicht zu sagen dominant. Natascha schreibt über ihre Mutter:

       „Die Kinder, die zum Spielen zu mir kamen, liebten sie. Doch ich denke heute, dass hinter dieser Fassade der Fröhlichkeit eine im Grunde zutiefst unglückliche Frau steckte. Um sich nicht mit ihrem Leben beschäftigen zu müssen, wollte sie meines vollkommen kontrollieren, was für mich grauenhaft war. Ich sollte so werden, wie sie es sich vorstellte, auch wenn es nicht meinem natürlichen Wesen entsprach. In ihrer vermeintlich süßen Art wurde sie zu meiner Herrin und Meisterin.“22

      Finanziell gesehen mangelte es Natascha in ihrer Kindheit an nichts. Die fehlende emotionale Nähe und Wärme wurden durch materielle Dinge kompensiert. Sie bekam schöne Kleider und Schuhe. Sie wurde mit Klavier- und Ballettstunden gefördert. Sie hatte einen eigenen Hund zum Spielen und später auch ein Pferd zum Reiten. Trotzdem entsprach sie nicht den Vorstellungen ihrer Mutter. Im Gegensatz zu ihrer schlanken, attraktiven Mutter war Natascha als Kind eher dick und unsportlich. Die Sportstunden in der Schule blieben ihr nicht in guter Erinnerung:

       „Ich gehörte zu den Dicksten in der Klasse, kam nicht die Kletterstange hoch, schaffte im Hochsprung keinen Meter, und der Ball flog aus meiner Hand keine fünf Meter weit. Wo es nur ging, machte ich eine schlechte Figur.“23

      Sie fühlte sich als Außenseiterin und als „Loser der Familie“. Als sei dies nicht schmerzlich und schlimm genug, wurde sie von ihrem Stiefvater über Jahre hinweg sexuell missbraucht. Der erste Übergriff fand während der Sommerferien im Tessin statt, als sie noch keine 12 Jahre alt war. Der letzte war mit 19 Jahren, als sie bereits eine erwachsene Frau und Mutter eines Kindes war. Der Stiefvater raubte ihr nicht nur die Kindheit, sondern auch die Jugend. Als Folge des sexuellen Missbrauchs wurde Natascha depressiv, und es gab eine Zeit, in der sie ihr Leben für nicht mehr lebenswert hielt. Die sexuellen Übergriffe waren jedoch nicht der einzige Grund für ihre Traurigkeit und Depressionen. Es war auch das Zusammenspiel aus Dominanz und Macht, das ihre Mutter und ihr Stiefvater auf sie ausübten. Aufmerksamkeit und Anerkennung erhielt sie nur, wenn sie sich anpasste und unterordnete. Dadurch wurde ihr die Möglichkeit genommen, ihre eigenen Vorstellungen, ihren Willen und ihre Persönlichkeit zu entwickeln. In dieser Situation war es kein Wunder, dass sie kein Selbstwertgefühl besaß. Sie war wie in einem Käfig gefangen, aus dem es kein Entfliehen gab. Das sollte sich erst ändern, als sie ihren Lebenspartner Toni Hasler kennenlernte und den Triathlon für sich entdeckte – der Beginn ihres zweiten Lebens.

      Natascha und Toni arbeiteten in derselben Firma und kamen dadurch ins Gespräch. Sie wollte abnehmen, weil sie sich noch immer zu dick fand. Toni, durch und durch Sportler, meinte zu dem heiklen Thema: „Fräulein, wenn Sie abnehmen wollen, müssen Sie erst einmal anfangen zu essen!“, wobei er hinterherschickte: „Aber Sie müssen sich auch ein bisschen bewegen.“24 Noch am selben Tag ging Natascha laufen und erzählte es ihm am nächsten Tag voller Stolz. Es habe sogar Spaß gemacht oder zumindest das Gefühl, das sich danach einstellte, weil sie etwas geleistet habe, selbst wenn es nur 1,5 Kilometer gewesen seien, die sie anfangs zurücklegen konnte. Dies war der Anfang ihrer Beziehung und der Einstieg in den Sport, der so richtig Fahrt aufnahm, als sie Toni zu einem Triathlon begleitete. Die Atmosphäre, der Kampfgeist und die glücklichen Gesichter im Ziel beeindruckten sie zutiefst. „Das will ich auch!“, war ihre erste Reaktion, als Toni nach dem Wettkampf aus der Dusche kam. Toni spürte ihre Begeisterung für den Sport und die Freude an der Bewegung. Er half bei den ersten Schritten im Training, und im nächsten Sommer startete sie zunächst bei einem Duathlon, bevor sie dann wenige Wochen später ihren ersten, lang ersehnten Triathlon über die Sprintdistanz bestritt. Für sie war es ein großes Abenteuer, da sie in einem See schwimmen musste und damals noch fast panische Angst vor offenen Gewässern hatte. Doch auch diese Angst und die gesamte Distanz konnte sie erfolgreich überwinden. Sie beschreibt ihre Gefühle wie folgt:

       „Ich landete auf einem Platz irgendwo im Mittelfeld, aber das war mir nicht so wichtig. Alles, was in diesem Augenblick zählte, war die Freude an der Bewegung. Vor allem aber der unheimliche Stolz, ins Ziel gekommen zu sein und einen Triathlon geschafft zu haben. Das war für mein Selbstwertgefühl enorm wichtig.“25

      Nach dieser schönen Erfahrung wurde der Sport allmählich zum festen Bestandteil in ihrem Leben. Die ersten Erfolge des regelmäßigen, systematischen Trainings unter Tonis Anleitung ließen nicht lange auf sich warten. Bei den Duathlon-Europameisterschaften 1990 in Zofingen, die auf der Kurzstrecke über 5 Kilometer Laufen, 30 Kilometer Radfahren und weitere 10 Kilometer Laufen gingen, erreichte sie in einem international gut besetzten Feld zur Überraschung aller den siebten Platz. Damit wurde sie beste Schweizerin, was eine Nominierung für die Triathlon-Nationalmannschaft nach sich zog. In den folgenden Jahren gewann Natascha eine Reihe von Duathlons und Triathlons über die Olympische Distanz auf nationaler und internationaler Ebene. Der Sieg 1996 über die Langdistanz beim Powerman Zofingen, der damals nicht nur für Duathleten, sondern auch Triathleten das Non plus ultra war, hatte weitreichende Konsequenzen für ihre Karriere. Sie erhielt damit eine Einladung für den Ironman Hawaii, wo sie bei ihrer Premiere lange Zeit in Führung lag, sich beim Laufen ein packendes Duell mit der damaligen Seriensiegerin Paula Newby-Fraser lieferte und am Ende sensationell Zweite wurde. Im Jahr 1998 konnte Natascha als erste Europäerin den Ironman Hawaii gewinnen. Der Rest, mit sechs Siegen auf Hawaii, ist Geschichte.

      Natascha Badmann im Trainingslager auf Gran Canaria

      Auf den ersten Blick haben die drei geschilderten Lebensgeschichten nicht viel gemeinsam. Auf der einen Seite stehen zwei Männer, die mit Anfang 30 eine verfrühte Midlife-Crisis hatten. Auf der anderen Seite eine Frau, die in ihrer Kindheit und Jugend traumatische Erlebnisse durchmachen musste. Auch wenn sich die drei Fälle voneinander unterscheiden, so verbindet sie doch eines miteinander: Triathlon, insbesondere der Ironman, war für alle der Schlüssel zu einem gesteigerten Selbstwertgefühl. Manchmal frage ich mich, wie mein Leben ohne den Ironman verlaufen wäre. Wäre es mir gelungen, mich so schnell und so gut aus einer toxischen Beziehung zu befreien? Hätte ich die Habilitationsschrift abgebrochen und damit meine wissenschaftliche Karriere aufgegeben? Die Fragen sind rein hypothetischer Natur, aber mein Leben wäre wahrscheinlich anders verlaufen. Die Vorbereitung und das Finish haben mir neues Selbstvertrauen gegeben und mir geholfen, diese Phase erfolgreich zu bewältigen. Diese Erfahrung werde ich immer als tieferen Sinn mit meinem ersten Ironman in Verbindung bringen. Ähnlich ging es Torsten, für den der Weg zur Challenge Roth eine Trendwende in seinem beruflichen und privaten Leben einleitete. Extrem ist der Fall von Natascha, die durch ihren ersten Triathlon ein vollkommen neues Selbstwertgefühl gewinnen konnte und mit dem Ironman ihre Bestimmung als Profisportlerin fand.

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