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und sagte: »Ja, es ist richtig, ich bin Tucholsky – ich seh’ nur nicht so aus!«

      Wenig später machte sich Hermann, der kleine Lehrling, auf den Weg, die Bücher zu liefern. Es verging eine Stunde, es vergingen zwei Stunden – Hermann kam nicht zurück. Endlich aber erschien er, mit freudestrahlendem Gesicht. »Wo bist du denn gewesen?«, fragte ihn seine Chefin. – »Na, doch bei Tucholsky.« – »Was, so lange?« – »Ja, als ich ihm die Bücher gab, fragte er mich: ›Was willst du lieber haben, ein Trinkgeld oder dass ich dir was auf dem Klavier vorspiele?‹ Natürlich habe ich gesagt: ›Was vorspielen.‹ Da hat er mich auf den Stuhl gesetzt und sich ans Klavier und hat mir bis jetzt vorgespielt. Es war wunderbar.«

      Redaktion der Weltbühne

      Wundtstraße 65

      14057 Berlin

      Kurt Tucholsky

      7 Rogacki Feinkost (Charlottenburg)

      Von außen unscheinbar: Rogacki Feinkost

      Schon Großvater Paul, ein passionierter Angler, verkaufte Fisch. Seit dem Jahr 1928 bepackte er seinen Bollerwagen und zog vom Weddinger Hafen los ins vornehme Charlottenburg, um die Köchinnen der Großbürger mit Flossentieren zu versorgen, an den Freitagen vor allem. Die Nachfrage wuchs, der Bollerwagen wurde immer schwerer und der Weg zunehmend mühsamer. So entschloss sich Paul Rogacki, den Bollerwagen einzumotten und stattdessen in die Nähe seiner Kundschaft zu ziehen. 1932 war es so weit. Die »Erste Charlottenburger Aal- und Fischräucherei« öffnete ihre Pforte. Auch wer nicht mehr gut sah, konnte die Fischhalle nicht verfehlen. Immer nur der Nase nach, die köstlichen Düfte von Rogacki zogen verheißungsvoll durch die Wilmersdorfer Straße. Wer wollte, konnte seinen aus der Spree gefischten Aal zu Rogacki tragen, um ihn dort räuchern zu lassen. Kaum zu glauben: Die gusseisernen Räucheröfen sind immer noch in Funktion. Auf diese Weise, mit echtem Buchenholz, räuchert heute keiner mehr. Für Rogackis Räucherfisch kommen selbst Berliner nach Charlottenburg, die ihren Kiez nicht einmal für die eigene Beerdigung verlassen würden. Aber auch Freunde des frischen Fischs zieht es in das Traditionsgeschäft. Gleich neben dem Räucherofen befinden sich die Fischbecken, in denen Lachsforellen und Saiblinge lustig ihre finalen Runden ziehen. Wer will, kann seinem Mittagessen persönlich in die Augen schauen und mit dem Finger drauf deuten, dann saust der Käscher des Fischmeisters fröhlich hinterher und schon zappelt der Fang im Netz. Ein beherzter Hieb mit dem Schlagstock gegen den Schädel, und der Forelle wird schwarz vor Augen. So bekommt sie nicht mehr mit, wie ihr die Kehle durchtrennt wird, ein schneller, ein gnädiger Tod. Zwischen 70 Fischsorten hat man die Qual der Wahl. Viele Stammkunden kommen wegen einer anderen Meeresfrucht: Gemütlich steht man an den Rundtischen zusammen, lässt eine Zitrone spritzen und schlürft bei einem Fläschchen Weißen genüsslich eine Auster nach der anderen.

      Doch nicht nur Freunde von Meeresfrüchten kommen bei Rogacki auf ihre Kosten. In dem weiträumigen Laden, dessen wahre Größe man von der Straße aus nicht vermutet, gibt es neben einem Käsestand auch eine Wursttheke. Ein echtes Kunstwerk ist das Hackepeter-Schwein. Nachdem man ein Schwein geschlachtet und zerlegt hat, wird es durch den Wolf gedreht und aus dem Gehackten sodann formvollendet ein neues Schwein modelliert. Ehrlicher geht’s nicht. Und nicht fröhlicher, blinzelt einem das Hackepeter-Schweinchen mit seinen Olivenaugen doch lustig zu. Auch das Ringelschwänzchen darf nicht fehlen, es ist sogar für Vegetarier geeignet, ist es doch liebevoll aus Paprika gedrechselt.

      Wunderbar nostalgisch ist die Inneneinrichtung, schönstes, altes Westberlin. Und so herrlich grün! Es grünt so grün, wenn Rogackis Fliesen blühn. Grüner ist kein Berliner Laden. 1972, zum 50. Firmenjubiläum, hat man die Wände neu gekachelt und damit den Charakter einer Markthalle unterstrichen. Unbestritten ist Rogacki Kult. Gestritten wird nur darüber, wie man den Namen eigentlich ausspricht. Rogakki? Oder polnisch Rogatz-ki? Egal, Hauptsache, es schmetz-kt!

      Rogacki

      Wilmersdorfer Straße 145/46

      10585 Berlin

      8 Otto-Suhr-Allee (Charlottenburg)

      Um ein Haar hätten wir sie überfahren. Es war schon nach Mitternacht, wir fuhren mit unseren Rädern die Otto-Suhr-Allee entlang, in nicht geringem Tempo, uns fror, wir wollten nach Hause, als wir den Schatten wahrnahmen, gerade noch rechtzeitig. Sie lag mitten auf dem Radweg. Regungslos. Eine Dame mit blondierten Haaren. Wir stiegen ab, berührten sie an der Schulter, sprachen sie an. Mühsam öffnete sie ihre Augen, erwiderte unseren Blick, nicht verwirrt, nicht verwundert, nur müde, sehr müde. Sie hatte getrunken, mehr als sie vertrug, das roch man. Musste auf dem Heimweg von irgendeiner Kneipe zusammengeklappt sein. Nun lag sie hier und machte keine Anstalten, aufzustehen. Was sollten wir tun? Die Sanitäter rufen? »Nein, nein«, sagte sie leise, »ich hab’s doch nicht weit, lasst mich liegen. Geht schon wieder.« Wir fragten nach, so erfuhren wir ihre Adresse, eine Querstraße, keine dreihundert Meter entfernt. »Wir bringen Sie heim.« So halfen wir ihr auf, hakten sie rechts und links unter, geleiteten sie über das Trottoir. Zum Glück schien sie sich nicht verletzt zu haben, ihr Gang aber war mehr als unsicher. Sie sah nicht aus wie jemand, der in U-Bahnhöfen schläft, im Gegenteil, sie machte einen gepflegten Eindruck. Die Kleidung geschmackvoll, Lippen und Lider dezent geschminkt, eine schimmernde Perlenkette, die Fingernägel sorgfältig lackiert. Dann begann sie zu reden. Es sei ihr Hochzeitstag, sie habe ihren Hochzeitstag gefeiert. Alleine. Ohne ihren Mann. Sie habe keinen Mann mehr, er hätte sie sitzengelassen. Es sei nicht seine Schuld, aber auch nicht die ihre. Man solle nicht immer nach der Schuld fragen, das sei ein Fehler.

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      Des Nachts auf der Otto-Suhr-Allee

      Wir hatten die Seitenstraße erreicht. Ihre Wohnung befand sich zum Glück im Erdgeschoss. Wir halfen ihr noch, die Tür aufzusperren. Als wir uns verabschiedeten, drehte sie sich nochmal um. Manchmal würden sich die Dinge so ergeben, das sei eben so. Aber dennoch, wenn man Hochzeitstag habe, müsse man doch feiern, nicht wahr?

      Otto-Suhr-Allee nahe Ernst-Reuter-Platz

      10585 Berlin

      9 Eichendorff-Denkmal vor der Eichendorff-Schule (Charlottenburg)

      Frühjahr 1842. Eichendorff verzieht das Gesicht. Er hatte den Vorsitz des zu gründenden Berliner Vereins zur Förderung des Dombauwerks zu Köln zu übernehmen und nun sollte er auch noch eine Chronik schreiben! Preußischer Beamter im Kultusministerium, ein elender Beruf. Wo bleibt der Freiraum für die Poesie? Ärgerlich schiebt er die Korrekturfahnen seines Taugenichts zusammen. Also dann, eine Chronik des Dombaus! Es wird Abend, bis er endlich die müden Glieder strecken kann. Erschöpft liest er sich das Ergebnis seiner Arbeit nochmals durch:

      »Kurze historische Übersicht des Kölner Dombaues von der ersten Grundsteinlegung bis jetzt (1842)

      Der erste Grundstein zu dem gegenwärtigen Kölner Dome wurde im Jahre 1248 am fünfzehnten August von dem Erzbischof Konrad Graf von Hochstaden gelegt. Nach dem ursprünglichen noch vorhandenen Entwurfe des Meisters Gerhard, der die französischen Dome genau studiert hatte […]«

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      Joseph-von-Eichendorff-Denkmal

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