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als Sitzgelegenheit aufgestellt hat, während Wolfgang sich auf den Weg macht.

      »Na so was. Eine Freiwillige. Aufstehen!« Im Innern geht das erschütternde Schauspiel weiter. Jemand richtet sich auf und jetzt bin ich mir ganz sicher, dass es Gabriele ist. Zögernd tritt sie mit erhobenen Händen auf den Mann in Schwarz zu. Bestimmt ist das alles nur ein Bluff, um das Geld zu erpressen, rede ich mir ein. In Wahrheit würde er Gabriele nie und nimmer verletzen.

      Doch was danach geschieht, lässt mich umgehend an dieser Annahme zweifeln. Der Mann schiebt den Auslöser in seine Jackentasche, reißt Gabriele am Arm und dreht sie dabei mit dem Rücken zu sich. Das Küchenmesser hält er ihr gefährlich dicht an den Hals. Wenn sie sich nur einen Millimeter bewegt, hat sie einen tiefen Schnitt in der Kehle. So positioniert nimmt der Geiselnehmer den Fernzünder wieder in die linke Hand. Der Typ ist äußerst kaltblütig, weit erbarmungsloser als die Kriminellen, die man aus dem Fernsehen kennt. Mich fröstelt es, dabei ist heute ein warmer Spätsommertag.

      »Einer von euch ruft jetzt die Bullen an«, brüllt der Typ und tritt mit dem Fuß gegen etwas am Boden. Ich erkenne es nicht genau, tippe aber auf ein Telefon.

      »Anrufen, sofort!«

      In diesem Moment taucht Gabrieles Kollegin Adelheid in meinem Blickfeld auf. Beherzt hebt sie das Gerät auf.

      »Alles okay! Ich übernehme das«, erklärt sie und tippt eine kurze Nummer ein. Couragiert redet sie weiter: »Wir machen alles, was Sie sagen, Ehrenwort! Wir wollen keinen Ärger.«

      »Ich mag Ärger.« Die Stimme des Geiselnehmers klingt bedrohlich ehrlich.

      Wolfgang erreicht auf dem Boden robbend den Terrassenbereich des Bistros. Die große Glasfront macht es fast unmöglich, in Deckung zu bleiben und nicht gesehen zu werden. Bisher hat Wolfgang womöglich einfach nur Glück gehabt, dass der Mann in Schwarz viel zu abgelenkt ist, um ihn zu bemerken. Doch das kann sich jede Sekunde ändern.

      Außerdem, frage ich mich, wie will er dem Kerl zuvorkommen? Das Messer sitzt derart dicht an Gabrieles Hals, selbst wenn Wolfgang überaus beherzt eingreifen würde: Es kann ihren Tod bedeuten.

      Das alles ist wie ein schlechter Traum. Ein ungeheuer mieser, den man nicht einmal seinem schlimmsten Feind wünscht, wohlbemerkt. Wolfgang wird die Sache im Alleingang nie im Leben zu einem guten Abschluss bringen, das liegt auf der Hand. Nur ich kann das Schicksal noch wenden, sage ich mir und fasse einen kühnen Entschluss. Ich muss den Kerl auf andere Gedanken bringen, ihn irritieren und damit von der Gruppe fortlocken. Das ist die einzige Möglichkeit, um meinem Partner die Chance für einen Zugriff zu geben.

      Ich schieße los. Während ich eben noch bemüht war, möglichst leise zu sein, belle ich jetzt aus voller Kehle. Der Geiselnehmer braucht ein paar Millisekunden, um zu verstehen, was vor sich geht. Wer rechnet schon in einer solchen Situation mit einem wild gewordenen Dackel? Ich fixiere mein Ziel: den Fernzünder, den der Bursche achtlos in der herabhängenden Hand hält. Als ich an Wolfgang vorbeispurte, blitzen seine Augen mich wütend an. Hoffentlich weiß er, was zu tun ist, denke ich noch, als ich geradewegs auf den Irren zustürme, zu einem beherzten Sprung ansetze und den Überraschungsmoment nutze, um ihm mit meiner Schnauze den Fernzünder aus der Hand zu reißen.

      »Ei, du Mistvieh«, schreit der Psycho.

      Tatsächlich scheint er sich schlecht auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentrieren zu können. Glücklicherweise, denn um mich zu schnappen, lässt er schlagartig von Gabriele ab. Er stürmt mir hinterher. Alles ist gut, rede ich mir ein und laufe weiter. Mein Plan geht auf, denn der Kerl folgt mir in Richtung Kassenbereich. Dort, wo die ganzen Mitbringsel und Postkartenständer stehen. Da bin ich Winzling klar im Vorteil.

      Doch der Kerl ist rabiat. Mit Wucht schleudert er die Ständer zu Boden und kommt geradewegs auf mich zu. Die Postkarten flattern durch den Raum. Jetzt ist der richtige Augenblick, um einzugreifen, mein lieber Freund Wolfgang, denke ich und schaue mich nach Hilfe um. Am besten ziemlich bald, überlege ich panisch, denn der fiese Typ hat mich bereits in die Enge getrieben. Mit dem langen Messer rückt er mir immer näher. Einzig seine Augen sehe ich jetzt noch, und die prophezeien nichts Gutes. Warum nur habe ich unbedingt den Helden spielen müssen und warum kommt mir denn niemand von der berühmten saarländischen Hundestaffel zur Hilfe? Ich schließe die Augen, als ich den Atem des Irren spüre, der in diesen Sekunden die Worte »Hunde-Schmorbraten« murmelt.

      Es ist nicht Wolfgang, der beherzt eingreift und sein Leben für mich aufs Spiel setzt. Auch nicht die SEK. Es ist Gabriele. Sie hat sich eine der Kaffeekannen mit der Aufschrift »Das Leben ist zu schön für schlechte Laune« gegriffen. Es ist ein wenig schade um das gute Stück, das beim Aufprall in unzählige Scherben zersplittert. Aber es rettet mich fürs Erste. Das allein allerdings reicht nicht aus, um einen Psychopathen wie diesen Kerl auszuschalten. Er rappelt sich erneut auf, hält das Messer immer noch in seinen Händen. Nun kommt mir Adelheid, nicht weniger verwegen, zu Hilfe und greift nach einem der Keramik-Türschilder. »Herzlich willkommen im Chaos« – das passt fantastisch zum Thema und reicht aus, um den hundsgemeinen Typen endgültig k. o. zu schlagen. Er sinkt neben mir zu Boden. Das Messer weiterhin in seinen Händen. Jetzt erst, am Ende all dieser Aufregung, merke ich, dass ich den Fernzünder noch immer in der Schnauze halte.

      »Verdammt«, sagt Wolfgang, der reichlich spät dazutritt, und reißt Gabriele an der Schulter von mir weg. »Günther hat die Bombe aktiviert.«

      »Nein, ich glaube eher …« Gabriele holt tief Luft, bevor sie weiterredet: »Ich glaube, aktiviert wird sie erst, wenn Günther den Knopf wieder loslässt. Junge, beweg dich bloß nicht, keinen Millimeter. Sonst sehen wir alle alt aus.«

      Dieser Satz setzt mich offen gesagt ein bisschen unter Druck. Ich wage es kaum, zu atmen. Meine Pupillen wandern hinunter zu dem schwarzen Kasten. Gabriele liegt richtig, ich habe mit meinen Zähnen den Knopf heruntergedrückt. Bislang unabsichtlich, doch nun gilt es, alles daran zu setzen, ihn weiterhin in dieser Position zu halten. An irgendeiner Stelle in diesem Gebäude liegt eine Bombe versteckt, und es braucht nur eine winzige Bewegung von mir, damit das Ding uns alle in die Luft jagt.

      »Raus mit euch!«, brüllt Wolfgang und hebt die Hände zur Seite, während er rückwärtsgeht. Die verschüchterten Leute, die in den vorderen Teil des Bistros gedrängt sind, nachdem der Geiselnehmer außer Gefecht gesetzt wurde, weichen nun nochmals zurück. Manche machen direkt und automatisch das Richtige und flüchten zur Ausgangstür hinaus. Andere reagieren in ihrer Bestürzung erst, als Gabriele und Adelheid sie zum Gehen auffordern. Zurück bleiben die beiden Frauen, Wolfgang und ich sowie der Geiselnehmer, der allmählich aus seiner Ohnmacht erwacht.

      »Ihr müsst ihn übernehmen«, sagt Wolfgang und reicht Gabriele die Dienstwaffe. »Schafft den Burschen raus. Und lasst ihn keine Sekunde aus den Augen!«

      Gabriele nimmt mit fahrigen Fingern die Waffe entgegen und richtet sie sofort auf den Verbrecher. Sie zwingt sich, Ruhe zu bewahren, das ist ihr deutlich anzusehen. Mit dem Kopf weist sie zu dem Mann in Schwarz, der noch benommen wirkt. Adelheid versteht und greift dem verletzten Geiselnehmer unter die Arme.

      »Aufstehen, du Dreckskerl! Sonst kannst du hier mit deiner eigenen Bombe in die Luft gehen«, herrscht Gabriele ihn an, und der Kriminelle richtet sich mit Adelheids Hilfe widerwillig auf. »Vorwärts!« Sie weist mit der Waffe in Richtung Ausgangstür. Die drei setzen sich in Bewegung.

      »Passt auf euch auf«, flüstert Gabriele mit erstickter Stimme, als ihr Blick für einen kurzen Moment von den Vorausgehenden ablässt und zu Wolfgang und mir wandert. »Macht bloß keinen Quatsch, ihr zwei.«

      »Keine Angst: Wir sind ein Superteam – Günther und ich. Wie Tim und Struppi oder Flipper und Sandy. Da gibt es immer ein Happy End.« Als der Kommissar das sagt, lächelt Gabriele für einen kurzen Moment, gleichwohl merke ich ihr an, dass ihr nicht nach Lachen zumute ist. »Bis gleich. Wir sehen uns in ein paar Minuten, versprochen?«

      »Versprochen«, entgegnet Wolfgang.

      Und dann sind die drei auf und davon.

      Wolfgang wartet. Unendlich lange, wie mir scheint. Er will vermutlich sichergehen, dass die soeben aus dem Gartenbistro Entkommenen die Polizeisperre erreicht

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